Kapitel 10 (Adys POV)

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Meine Hände zitterten immer noch, während ich die Tür meiner Wohnung öffnete. Ich hasste es, wenn die Gespräche mit James so abliefen. Es fühlte sich dann an, als wären wir zurück in unserer Beziehung. Er war nie gewaltig mir gegenübertreten gewesen, aber wenn etwas nicht so lief, wie er es sich vorgestellt hatte, konnte es gut sein, dass er laut wurde. Beleidigend sogar. So wie vorhin.

Ich hasste Konfrontationen und er wusste es. Früher hätte ich niemals so mit ihm gesprochen, also was war heute anders gewesen?

Mein Blick wanderte über meine Schulter. Gelangweilt sah er sich im Flur des Gebäudes um, die Hände in den Hosentaschen. War er vielleicht der Grund für meinen spontanen Ausbruch? Aus irgendeinem Grund hatte ich mich bei ihm sicher gefühlt. Merkwürdig. Wenn ich aber an meine Beziehung mit James zurückdachte, hatte er bei jedem Streit darauf geachtet, dass nur wir beide anwesend waren. Er war immer der perfekte Gentleman gewesen, nie hatte jemand mitbekommen, wie er mit mir gesprochen hatte. Bis heute. Ob der Typ nun echt war oder nicht, ich hatte mich nicht alleine in der Situation gefühlt. 

Meine Zungenspitze fuhr über meine Lippen und ich schüttelte innerlich den Kopf. Nein, dass hatte ich mir sicher nur eingebildet. Ich hatte seine Lippen unmöglich auf meinen spüren können. 

Innerlich aufgewühlt und durcheinander ging ich endlich in meine Wohnung, gefolgt von meinem unsichtbaren Begleiter. Irgendwie gefiel mir der Gedanke nicht, dass er meine Wohnung genauso ansah wie den Flur. Oder wie James. Ich wollte mich nicht für mein zuhause schämen. Es war zwar klein, aber es reichte mir. Und es war alles, was ich mir leisten konnte. Der Gedanke ließ mich wieder innehalten. 

Dad. Ich wollte heute noch zu ihm fahren.

Seufzend hängte ich meine Jacke auf und legte meine Sachen ab. Die ganze Tagesplanung war durcheinander geraten. Ich konnte nicht nach Mrs.Palmer sehen und zu Dad würde ich wahrscheinlich heute auch nicht besuchen können. Definitiv nicht mit einem Geist im Schlepptau. Ich bezweifle, dass ich ihn die ganze Zeit ignorieren konnte. Schon auf der Heimfahrt war es nicht gerade einfach gewesen. 

Ich hatte mich auf meinen üblichen Platz gesetzt. Auch mein Geisterfreund war auf seinem üblichen Platz gewesen und hatte meinen unsichtbaren Begleiter mit den Augen verfolgt. Normalerweise beachtete er niemanden um sich herum, aber das war nicht unbedingt merkwürdig. Das komische war eher, dass mein Begleiter ihn scheinbar nicht wahrgenommen hatte. Geister konnten einander sehen. Sie sprachen zwar meistens nicht miteinander, aber sie sahen sich wenigstens an. Mein Begleiter tat das nicht. Stattdessen sah er die ganze Zeit nur mich an. Er hatte sich neben mich gesetzt und mich mit seinen Blicken durchlöchert. Währenddessen hatte sein Bein scheinbar beiläufig immer wieder meines gestrigen. 

Wenn er dasselbe auch im Altersheim machen würde, hätte ich ein Problem. Ich wusste nicht, ob ich vor meinem Vater so ruhig bleiben konnte. Wenn ich meinen Begleiter aber richtig einschätzte, wäre er mit Sicherheit nicht einstimmen mich in Ruhe zu lassen. Meine Schläfe begann unerträglich zu pochen und genervt ließ ich mich mit geschlossenen Augen auf meinem Sofa fallen. Langsam reichte es mir mit den Schmerzen, aber es war der Preis, denn ich für meine Fähigkeiten bezahlen musste. 

Wieder spürte ich, wie etwas mein Bein streifte und diesmal war ich mir sicher, dass es sich um seine Hand handelte. Diese legte sich nun warm auf mein Bein. Seufzend öffnete ich die Augen und sah in seine. Oder eher in seine Sonnenbrille.

„Alles in Ordnung?", fragte er sanft, während er mein Knie leicht drückte. 

„Kopfschmerzen.", kam es knapp von mir zurück, während ich seine Hand abschüttelte und aufstand. Mit den Händen an den Hüften drehte ich mich zu ihm um. „Du wolltest meine Aufmerksamkeit haben, jetzt hast du sie. Also, wer bist du und was willst du von mir?"

Langsam lehnte der Mann sich zurück und wandte sein Gesicht in meine Richtung. Wie sehr mich diese schwarzen Gläser ankotzen. Ich wollte seine Augen sehen. Ich wollte wissen wohin er schaute. Seine Mimik war alles andere als vielversprechend. Wie konnte jemand nur so ein Pokerface haben? 

„Willst du nicht lieber zuerst eine Aspirin gegen die Kopfschmerzen nehmen?"

Wie ruhig er wirkte und ich wurde immer wütender. Außerdem würde eine Aspirin einen Scheiß helfen. Ich brauchte Ruhe und Schlaf. Und die Arme meines Traummannes um mich.

„Danke, aber nein. Ich will wissen wer du bist und was du von mir willst. Also spuck es aus."

Immer noch sah er mich an und die Stille brachte mich beinahe um. Dann machte er endlich den Mund auf.

„Mein Name ist Blake Stuart und ich brauche deine Hilfe." 

Blake, wie ironisch. Nichts an ihm wirkte dunkel, außer vielleicht sein Charakter. Eher erinnerte er mich an frisch gefallenen Schnee. Seine Haut, seine Haare und bestimmt auch seine Augen. Warum sonst trug er die Sonnenbrille? Aber wer war er? Sein Name sagte mir nichts.

„In Ordnung Blake und wobei soll ich dir helfen?"

Jetzt lehnte er sich wieder vor und stützte seine Arme auf seinen Knien ab.

„Mein Name aus deinem Mund löst ganz besondere Gefühle in mir aus, kleine Seherin." 

Seine dunkle Stimme löste ebenfalls besondere Gefühle in mir aus, aber damit durfte ich mich jetzt nicht ablenken lassen.

„Was willst du von mir?"

Ich betonte jedes meiner Worte und sah ihn fest an. Ich musste wissen, was er von mir wollte, damit ich ihn so schnell wie möglich aus meinem Leben und meinem Kopf vertreiben konnte. 

Sein Mundwinkel hob sich leicht, bevor er wieder das Pokerface aufsetzte.

„Nun gut. Wie dir sicher aufgefallen ist, ist meine Situation keine gewöhnliche."

„Du bist kein Geist oder?", fragte ich, als er kurz innehielt. Ich musste es einfach wissen. 

Blake runzelte die Stirn und endlich kam mehr Bewegung in sein Gesicht.

„Ein Geist? Nein. Wieso, siehst du oft Geister?"

„Hin und wieder."

„Hast du heute auch einen Geist gesehen?"

So wie er diese Frage stellte, so vorsichtig, würde ihm meine Antwort sicher nicht gefallen.

„Ja, ich sehe sie jeden Tag."

Fassungslos lachte er auf und rieb sich über sein glattes Kinn.

„Diese verdammten Wichser. Und ich habe mich schon gewundert, wohin die ganzen Toten verschwunden sind." Jetzt war es an mir die Stirn zu runzeln.

„Was meinst du?"

„Ganz einfach kleine Ady", er stand auf und jetzt fühlte ich mich neben ihm tatsächlich klein, „ich wurde verflucht. Vor drei Jahren wurde meine gesamte Familie, mein gesamter Clan, ausgelöscht. Auf mich wurde ein Fluch gelegt. Seit drei fucking Jahre kann mich niemand sehen oder hören oder berühren. Hast du eine Ahnung, wie sich das anfühlt? Als du mich angesehen hast, hatte ich endlich wieder die Hoffnung, diesen Fluch ein für alle mal zu beseitigen."

Seine Worte machten mich sprachlos. Eine ganze Familie töten und ihn verfluchen? Aber warum warum und was konnte ich da schon tun?

„Ich weiß aber nicht, wie ich diesen Fluch brechen soll. Ich kann dir da nicht helfen."

„Doch Ady." Blake kam einen Schritt auf mich zu und ergriff mit seinem starken Armen meine Schultern. 

„Ich kann dich berühren. Ich kann mit die sprechen und deine Blicke auf mir spüren. Du bist die Einzige, die mir helfen kann."

Sein Gesicht war meinem jetzt unglaublich nah und ich konnte meinen Blick nicht von seinen Lippen nehmen.

„Und wie?", kam es leise aus meinem Mund.

„Wir müssen einen Vertrag schließen."

THE CONTRACT - Du Gehörst MirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt