Kapitel 3 (Adys POV)

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Mrs. Palmer drückte schwach meine Hand, während ich ihr Fieber maß. Es war wie ein Ritual zwischen uns. Die 87 Jahre alte Dame hatte Lungenkrebs im Endstadium, eine Krankheit, an der ihr Mann vor ein, zwei Jahren bereits gestorben war. Da sie keinerlei Verwandte mehr hatte, war das Klinikpersonal so etwas wie ihre Familie geworden. Wir hatten uns erst um ihren Mann und dann um sie gekümmert. Sie hatte mir einmal erzählt, dass die Momente an denen ich ihre Hand hielt, die wenigen waren, an denen ihre Schmerzen erträglich waren. Für meine Kollegen war das eine süße Aussage einer einsamen Frau, doch ich wusste, dass es wahr war. Denn ich spürte ihren Schmerz. Immer wenn ich ihre Hand hielt, versuchte ich ihr einen Teil ihrer Schmerzen zu nehmen. Es half, aber nicht lange. Sie würde sterben und das wusste sie. Wenn es so weit wäre, würde ich da sein und ihr helfen, ihren Mann wiederzusehen. Das Thermometer zeigte 38.2 °C. Mrs. Palmer hatte leichtes Fieber, was mich nicht wunderte. Ich konnte den Schmerz ihrer Lunge in meiner eigenen spüren und ihr Körper versuchte zu kämpfen. Leider war nach der fehlgeschlagenen Chemie nicht mehr viel da, wofür man kämpfen konnte. „38.2 Mrs. Palmer, trinken Sie bitte viel und Dr. Hoffman wird später noch einmal nach Ihnen sehen. Brauchen Sie noch etwas gegen die Schmerzen?" Ich drückte ein letztes Mal ihre Hand, bevor ich sie langsam losließ. Die Dame kniff leicht ihre Augen zusammen, als der Schmerz sie wieder vollständig erreichte, dennoch schüttelte sie denn Kopf.„Nein nein Liebes, ich brauche nichts. Aber ich würde mich freuen, wenn du mich heute noch mal besuchen würdest." Ihre Stimme wurde gegen Ende immer leiser, so als hätte sie Angst mich darum zu bitten, und mein Herz zerbrach für die liebe Dame. „Natürlich", ich schenkte ihr ein Glas Wasser ein und stellte es auf ihren Nachttisch. „Ich sehe noch mal nach Ihnen, bevor ich für heute Schluss mache." Nach einem letzten Blick zu ihr verließ ich den Raum und warf einen Blick auf den Flur. Hier versammelten sich oftmals ruhelose Seelen und beobachteten die anderen Patienten. Sie waren nicht bösartig oder gefährlich, dennoch musste ich mich erst an sie gewöhnen. Jetzt wanderte ihr Blick Richtung Fenster und ich wusste schon, was das bedeutete. Ein Rettungswagen war auf dem Weg. Für die Geister hier gab es nichts Spannenderes als neue Menschen an diesem Ort. Ich beeilte mich, runterzukommen, und das keine Sekunde zu früh. Der Haupteingang wurde aufgerissen und rein kamen zwei Sanitäter, die eine junge Frau in die Klinik schoben. Dr. Hoffman kam bereits angeeilt und winkte mich zu sich.„Wie ist die Lage?"„Gabriela Mendoza, 24, ist beim Eisschwimmen ausgerutscht. Ansprechbar, mögliche Gehirnerschütterung, rechtes Bein gebrochen, Rippen wahrscheinlich geprellt."„Zimmer 2", kam die Anweisung von Dr. Hoffman.Während Anton, unser Sanitäter, die junge Frau in das besagte Zimmer schob, wechselten wir einen kurzen Blick. Sie war nicht der erste Fall, der sich beim Eisschwimmen dieses Jahr verletzt hatte und wenn sich die Unfälle weiter häuften, musste der Sheriff etwas dagegen unternehmen. Dr. Hoffman stellte ihre die Routinefragen, aber meine Aufmerksamkeit lag bei ihrem Schmerz. Geprellte Rippen taten noch um einiges mehr weh, als wenn sie gebrochen wären und ich ergriff ihre Hand, während Anton ihr die Medikamente gegen ihre Schmerzen gab. Sie würde sie also nicht wundern, wenn es ihr auf einmal besser ging. Wie immer, wenn ich das tat, überwältigte mich der Schmerz kurz, doch ich fing mich schnell wieder. Es war nur für den Anfang, bis die Medikamente tatsächlich wirkten und Dr. Hoffman alle Antworten hatte, die er brauchte. Die junge Frau war eine Touristen und würde demnach nicht in unseren Akten stehen.Ich konnte spüren, wie die Spritze langsam ihre Arbeit machte und ließ die Hand der Frau los, während sie in das Behandlungszimmer geschoben wurde. „Ady, ich will ein CT von Bein und Rippen und ein MRT um irgendwelche Blutungen im Hirn auszuschließen. Melde das an."Mit diesen Worten war ich auch schon entlassen und machte mich an meine Arbeit. Ich konnte durch meine Erfahrung und durch das, was ich gefühlt hatte, sagen, dass Anton recht hatte. Das Bein war definitiv gebrochen und die Rippen geprellt. Ob die Dame etwas am Hirn hatte, konnte ich nicht sagen. Schmerzen im Kopf hatte sie jedenfalls keine gehabt. Mein Blick wanderte über den Flur. Es musste dringend wieder durchgewischt werden, der Boden war nass von geschmolzenen Schnee. Hoffentlich hatte Garry, unser Hausmeister, kurz Zeit dafür. Aber erst eins nach dem anderen. Zuerst das CT und MRT für Miss Mendoza. Ich setzte mich neben meine Kollegin Joanna und sah mir die heutigen Buchungen an. Da nicht viel los gewesen war, konnte unsere Patientin gleich runter zu den Geräten. Da ich Dr. Hoffman mittlerweile gut kannte, meldete ich das MRT zuerst an. Das Gehirn war immer an erster Stelle, der Rest konnte warten. Mein Blick wanderte über unseren leeren Eingangsbereich und blieb schließlich bei unserem einzigen Besucher hängen. Diesen Mann hatte ich heute doch schon einmal gesehen. Ich war mir ziemlich sicher, dass es derselbe war, der heute Morgen vor der Klinik gestanden war. Stirnrunzelnd wandte ich mich an Joanna und deutete mit dem Kopf auf ihn.„Hast du ihn schon angemeldet? Oder wartet er auf jemanden?" Meine Kollegin folgte meinem Blick und sah mich an mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Wen angemeldet? Die leere Wand?" Ihre Stimme klang sarkastisch, während sie mich besorgt musterte.Verdammt. Ich konnte doch nicht den Fehler gemacht haben, einen Lebenden mit einem Toten zu verwechseln. Das war mir nicht mehr passiert, seit ich ein Teenager war. Der Mann schien mitbekommen zu haben, dass wir über ihn sprachen, denn ich spürte seinen Blick selbst durch die Sonnenbrille auf meiner Haut. Nur mit Mühe zwang ich mich, ihn nicht weiter zu beachten, sondern Joanna beruhigend anzulächeln. Es gelang mir sogar ein kleines Lachen, auch wenn es gezwungen klang. „Stimmt. Oh man, wo hab ich nur wieder meinen Kopf. Das muss der Schlafmangel sein. Kommst du zurecht? Dann würde ich Dr. Hoffman eine Übergabe machen und mir dann einen Kaffee holen gehen." Ich wusste zwar nicht, ob sie mir das abkaufen würde, aber etwas Besseres fiel mir einfach nicht ein. Geschlafen hatte ich schließlich wirklich nicht viel in den letzten Tagen und meine Augenringe machten die Aussage glaubhafter. Joanna sah auf die Uhr und scheuchte mich weg.„Mach ordentlich Pause, du bist schließlich schon über acht Stunden hier und wie ich dich kenne, hast du heute noch nicht einmal etwas gegessen."Acht Stunden? Überrascht sah ich auf die Uhr. Sie hatte Recht. Wie schnell die Zeit doch verflogen war. Ich warf ihr einen Luftkuss zu und beeilte mich, zu Dr. Hoffman zu kommen. Er war ein relativ junger Arzt, vielleicht 35 Jahre alt, und die Schwester bezeichneten ihn alle als gutaussehend. An sich war er das auch. Er war aber auch ein Playboy. Es gab nur wenige Schwestern, mit denen er noch nicht geschlafen hatte, und ich war leider keine davon. Als wir beide auf dem College gewesen waren, waren wir ein paar Monate ein Paar gewesen, bis ich mich von ihm getrennt hatte. Seitdem behandelte er mich ausschließlich professionell, wenn nicht sogar kalt. Es kam mir vor, als versuchte er Fehler in meiner Arbeit zu finden, aber das würde er nicht schaffen. Ich machte selten Fehler.Also ging ich brav zu ihm, teilte ihm die Termine seiner Patientin mit und machte mich auf den Weg in den Pausenraum. Eine halbe Stunde hätte ich Zeit, dann wären noch vier Stunden Arbeit übrig für heute. Gähnend schenkte ich mir einen lauwarmen Kaffee ein und holte mein Essen aus der Tasche. Mein Thermobecher wartete bereits in meinem Spint und den würde ich als Nächstes befüllen. Es ging nichts über Kaffee, der lange heiß blieb. Gerade bei meiner Arbeit. Vor mich hin summend nahm ich einen Schluck von meinem Kaffee und sah meinem Essen in der Mikrowelle beim Aufwärmen zu. Mir war nicht klar, woher ich es wusste, aber ich war nicht mehr alleine in diesem Raum. Irgendetwas hatte sich verändert. Ich hörte nicht auf zu summen und holte mein Essen. Nur nichts anmerken lassen. Doch ich hatte Recht gehabt. Auf unserem Sofa lag der Mann von vorhin, hatte die Beine ausgestreckt und den Kopf in meine Richtung gedreht. Während ich mich an den Tisch setzte war mir klar, dass er mein Gesicht deutlich erkennen konnte. Wenn ich ihn also ansehen würde, würde er es sehen. Er war definitiv kein Lebender mehr, aber ein Toter auch nicht. Die fühlten sich anders an, sie waren anders. Wer war dieser Typ? Was war er?

THE CONTRACT - Du Gehörst MirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt