Kapitel 21 (Blakes POV)

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Ich sollte es nicht tun. Ich sollte ihnen ihre Privatsphäre geben und wäre ich ein besserer Mensch, hätte ich das sicherlich auch getan. Aber das war ich nicht. Allein die Vorstellung davon, dass der Mann sie Schatz nannte, sorgte für Mordgedanken bei mir. 

Dabei versuchte ich rational zu denken. Das hier war ein Altersheim. Höchstwahrscheinlich war der Mann also nicht ihr Ehemann, sondern in Vater oder Großvater. 

Trotzdem gefiel es mir nicht. Ich musste mich vergewissern, dass ich Recht hatte. Das der Mann in diesem Zimmer keine Gefahr bedeutete. Weder für mich, noch für sie. Aber dafür durfte Ady mich nicht sehen. Meine kleine Seherin wäre sicher nicht sehr begeistert, wenn sie erfahren würde, dass ich hier her gefolgt war. Besonders, nachdem ich ihr explizit versprochen hatte es nicht zu tun. 

Ich lehnte mich an die Wand hinter mir, Ady jedoch immer im Blick. Sie war noch nicht ins Zimmer gegangen, als wäre sie nicht sicher was ihr nächster Schritt sein sollte. Kurz zögerte sie, bevor sich ein liebevolles Lächeln auf ihrem Gesicht bildete. Ich wollte, dass sie mich auch so ansah. Doch das tat sie nicht.

"Hallo Harry."

Mit diesen Worten unterbrach sie endlich das Schweigen. Ihre Stimme klang unglaublich sanft und schließlich ging sie ins Zimmer. Die Tür hinter ihr ließ sie offen und ich näherte mich langsam dem Raum. Immer wieder gingen Krankenpfleger an mir vorbei, ohne mich zu sehen. Einen Vorteil hatte es doch unsichtbar zu sein. So wie ich die Einrichtung einschätzte, könnte hier nicht einfach jeder hereinkommen. Auch Ady hatte sich vorne vorstellen müssen, obwohl sie sicherlich nicht selten hier war. Wie viel das hier wohl kosten würde? Sicherlich ein Vermögen. Die Wände waren in hellen Farben gestrichen und an jeder Wand hingen Bilder. Hier und da standen ein paar Pflanzen und hohe Fenster sorgten für eine angenehme Atmosphäre. Auch der Garten, den ich durch die Fenster sehen konnte, schien perfekt zu sein. Kein Grashalm wuchs am falschen Platz. 

Jetzt wunderte es mich auch nicht, warum Ady ständig so müde aussah. Das meiste ihres Gehalts ging sicherlich für diesen Ort drauf. 

Mittlerweile hatte ich mich hinter ihr positioniert und ich erhaschte einen ersten Blick in das Zimmer vor mir. Eigentlich bräuchte ich die Tür nicht, ich könnte einfach durch die Wand gehen, aber da ich nicht wusste wie der Raum eingerichtet war, wollte ich nichts riskieren. Was ich jetzt sah waren weiße Wände, einen Fernseher und einen Sessel. Keine Spur von dem Mann. Er müsste also auf der anderen Seite des Raumes sein. 

Ady stand mit dem Rücken zu mir und ihre Körperhaltung war alles andere als entspannt. Sie hatte ihren Rücken durchgedrückt und ich konnte genau erkennen, wie sie leicht zitterte.

Das gefiel mir überhaupt nicht. Wer war der Mann, der so etwas bei ihr auslöste? Wer war er, dass er meine Seherin zum zittern brachte? Ich wollte sie schnappen und zurück in ihre Wohnung bringen. Sie sollte nicht hier sein, sondern in meinem Armen wo sie sich ausruhen konnte. Wo ich sie beschützen konnte. 

Immer wieder nahm ich jeden in Augenschein, der an mir vorbeiging. Schließlich konnte ich nie wissen, ob sie eine Gefahr für sie sein könnten. Dieser Gedanke ließ mich kurz inne halten. Seit wann war ich so beschützerisch ihr gegenüber? Sie hatte ihr Leben auch vor mir gelebt, doch der bloße Gedanke daran, dass ihr etwas passieren könnte löste eine tiefe Dunkelheit in mir aus. In meinem Zustand konnte ich sie nicht beschützen und das gefiel mir überhaupt nicht. Früher hätte ich jedem der ihr gefährlich werden können in wenigen Sekunden das Leben nehmen können. Es war Scheiße sich so machtlos zu fühlen. Meine kleine Seherin hatte nicht einmal eine Vorstellung davon, was für ein Monster sie in ihr Leben gelassen hatte. Irgendetwas sagte mir, dass es Ady nicht gefallen würde, wenn ich jemanden ihretwegen verletzten würde. Also müsste ich es so tun, dass sie es niemals erfährt. 

Ein dunkles Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Ja, ich würde mich für sie zusammen reißen. Sie würde erst erfahren, welche Dunkelheit tatsächlich in mir war, wenn es schon zu spät für sie wäre. Wenn sie mir bereits vollkommen verfallen wäre. Aber dafür musste erst dieser Mann da drin verschwinden. 

Mit langsamen Schritten ging Ady tiefer in das Zimmer ohne die Tür zu schließen. Beinahe so, als wollte sie, dass ich sie hörte. 

"Wo warst du denn so lange mein Schatz? Ich habe dich vermisst."

Die Worte des Mannes lösten Mordgedanken in mir aus und ich fühlte mich hilfloser den je.

"Ich habe dich auch vermisst. Ich musste arbeiten, dass weißt du doch. Wie geht es dir heute?"

Ich hasste es, wie sanft ihre Stimme klang. Dennoch hörte ich die Sorge und Bitterkeit darin. Warum? 

Langsam kam ich näher und stellte mich jetzt in die Tür um einen besseren Blick zu bekommen.

Neben dem großen Fenster stand ein Bett auf dem ein älterer Mann lag. Er hatte bereits graue Haare und um seine Augen und seinem Mund waren Falten zu sehen. Sein Gesicht hatte früher sicherlich fülliger ausgesehen, jetzt war er dünn. Eine schwache Hand hielt die meiner Seherin und er strich immer wieder sanft darüber. Es war die Geste eines Liebenden. Wie gerne hätte ich ihm diese Hand abgerissen, aber ich zwang mich dazu, meinen Kopf zu benutzen. Die logische Erklärung wäre, dass er Ady Vater war. Jetzt kam ich mir noch mehr wie ein Eindringling vor, doch ich würde dennoch nicht gehen. 

"Du arbeitest viel zu viel. Mir geht es gut, die OP ist wohl gut verlaufen, ich bin nur etwas müde. Wo sind die Kinder?"

"Liam und Ady sind in der Schule." Ich konnte deutlich hören, wie schwer ihr dieser Satz viel. 

Der Mann seufzte tief und runzelte die Stirn.

"Kannst du sie das nächste Mal bitte mitbringen? Ich vermisse die zwei. Es kommt mir vor, als hätte ich die beiden seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Ist Liam immer noch wütend auf mich?"

Ady beugte sich vor und strich ihm leicht über die Schulter.

"Bitte denk das nicht, er ist nicht wütend auf dich, er konzentriert sich bloß auf die Schule. Das nächste Mal bring ich die Beiden mit, versprochen."

Ein Geräusch im Flur sorgte dafür, dass Ady sich in meine Richtung drehte. Und bevor ich etwas dagegen tun konnte, hatte sie mich bereits gesehen. Ihre Augen nahmen meine gefangen und weiteten sich leicht. Sie hatte nicht erwartet mich hier zu sein. Ich könnte jetzt verschwinden, aber das tat ich nicht. Ich blieb genau dort stehen wo ich war und sah ihr fest in die Augen. Es interessierte mich nicht, was im Flur geschah. In ihrem Blick konnte ich so viele Emotionen sehen, die viel interessanter waren. Wut, Überraschung und auch... Scham? 

Aber warum sollte meine kleine Seherin sich Schämen?

"Was ist los Schatz?", fragte jetzt der Mann und sah an Ady vorbei zu mir. Natürlich ohne mich wahrzunehmen. Schließlich war sie die Einzige, die das konnte. Jetzt presste sie ihre Lippen zusammen und wandte sich von mir ab.

"Nichts Harry. Überhaupt nichts. Wartest du bitte hier, ich würde gerne etwas mit deinem Arzt besprechen."

Nachdem der Mann kurz nickte und dann geistesabwesend aus dem Fenster sah, stand sie auf. 

Mit einem giftigen Blick bedeutete sie mir ihr zu folgte, während sie den Raum verließ. 

Meine Kleine hatte Feuer.

THE CONTRACT - Du Gehörst MirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt