Auf den letzten Stufen der Treppe begrüßten laute Musik und Gelächter Noël im nächsten Stockwerk. Die Holztür mit der Nummer 14 schien erst einmal nicht besonders. Ein weihnachtlicher Kranz umrahmte die Wohnungsnummer eher schlicht, grüne Zweige geschmückt mit Holzsternen in verschiedenen Größen. Doch die Freude der Menschen hinter der Tür, schien bis auf den kühlen Flur davor abzustrahlen.
***
Der Tag war, wie viele in der Vorweihnachtszeit es waren, halbwegs anstrengend gewesen. Nicht so, dass man am frühen Abend schon schlafen gehen wollte, aber es war auch nicht mehr genügend Energie übrig, um noch viel zu machen. Und wie an den meisten dieser Tage lagen Leonie und Nick eingekuschelt auf der Couch, ließen den Fernseher laufen und tippten sich durch die Apps und Spiele auf ihren Smartphones.
Die Serie, die im Hintergrund lief, hatten beide schon x-fach gesehen, waren im Grunde in der Lage sie mehr oder weniger mitzusprechen. Genau die Art von Hintergrundrauschen, bei der sie die Köpfe abschalten konnten. Sicher, beide wussten, dass das weder die sinnvollste, noch gesündeste Art war, seine Freizeit zu verbringen. Aber es war gemütlich und vertraut. Plötzlich sah Nick jedoch hoch, fixierte das Geschehen auf dem Bildschirm mit neuem Interesse.
„Li?" Leonie mochte, dass er sie so nannte, denn sie war nie richtig warm geworden mit ihrem Namen. Sie lächelte leicht und reagierte ohne aufzusehen mit einem halb abwesenden „Hm?". „Wann haben wir eigentlich das letzte Mal miteinander getanzt?" Jetzt hob sie doch den Blick. „Wie kommst du denn jetzt da drauf?" Dann sah sie genauer hin, erkannte die Szene, die gerade lief. „Ah!" Sie lächelte wieder und richtete sich etwas an der Couch auf.
„Unsere Hochzeit, oder?" Nick sah nachdenklich aus, beobachtete die tanzenden, lachenden Menschen, die gerade ihren Abschlussball nachholten. Leonie nickte, fügte dann hinzu, da ihr Mann nicht zu ihr hinüber schaute: „Ja, ich glaube schon." Eine seltsame Aufregung durchströmte sie mit einem Mal und sie legte ihr Smartphone auf den Wohnzimmertisch.
„Weißt du was?" Nick löste seinen Blick vom Fernseher und sah sie fragend an. „Warum machen wir nicht mal was ganz anderes? Schieben alles ein bisschen zur Seite und tanzen mal wieder?" Ein breites Grinsen breitete sich auf Nick's Gesicht aus und er schoss regelrecht von der Couch hoch, die gleiche Aufregung versprühend, die sie selbst empfand.
„Ja!" Er streckte seine Hand aus, die Leonie sofort ergriff, zog sie hoch und in seine Arme. „Irgendwie eine verrückte Idee, aber ich glaube, das ist jetzt genau das Richtige." Leonie schaute mit Wärme im Bauch zu ihm hoch und drückte ihm einen Kuss auf das Kinn, wofür er sich mit einem Kuss auf ihre Stirn revanchierte. Wenige Minuten später hatten sie eine kleine Tanzfläche in ihrem Wohnzimmer geschaffen, alle Stolperfallen und möglichen Hindernisse zur Seite geräumt.
Etwas ratlos sah Leonie Nick an. „Hast du eine Idee, worauf wir jetzt tanzen könnten?" „Sollte schon ein Walzer sein." Ihr Mann lachte. „Ist ja das Einzige, das wir können." Sie kicherte und ergänzte: „Und vielleicht was Passendes zur Jahreszeit, was Weihnachtliches!" „Oooh, genau!" Beide schnappten sich wieder ihre Handys und tippten in einem kleinen Wettbewerb los. „Hah!" Leonie riss ihr Gerät in die Höhe. „Ich hab's!" „Dann lass hören!"
Die ersten festlichen Klänge schallten aus den Lautsprechern, Leonie steckte ihr Handy wieder weg und zusammen mit Nick bezog sie Position zum Tanzen. Ein paar Takte lang wiegten sie sich gemeinsam zum vertrauten Dreivierteltakt, dann prusteten sie gleichzeitig los. „Okay, okay, okay." Leonie winkte lachend ab. „Das ist vielleicht doch ein bisschen alt für unseren Geschmack." „Es ist... klassisch." Nick grinste noch immer über das ganze Gesicht. „Und hey, immerhin kennt es jeder."
„Stimmt, aber die Version scheint das Original von ‚It's the most wonderful time of the year' zu sein. Von...", beim Versuch sich zu erinnern kniff sie die Augen zusammen, „Andy Williams, meine ich." „Scheint nicht ganz meine Richtung zu sein; den kenne ich nicht", sagte Nick achselzuckend. „Aber es ist echt spannend, Walzer findet man in allen möglichen Musikrichtungen. Also den Dreivierteltakt." Er griff nach seinem Smartphone, tippte kurz darauf herum, schon lief ein Popsong an.
Sofort nahm Leonie den Takt auf, tanzte ein paar Schritte allein. „Ja, stimmt! Und wer ist das?" „Owl City mit ‚Plant Life'." „Das macht Spaß! Lass uns noch nach anderen schauen." Neugierig probierten sie Interpreten und Lieder aus, die sie noch nicht kannten, tanzten zu „Ready to fight" von Roby Fayer und Tom Gefen genauso wie zu „Love Story" von Indila. Bei „Shadow of mine" von Alec Benjamin waren sie außer Puste und ein bisschen schwindelig von den ganzen Drehungen, so dass sie erst einmal eine Pause einlegten. Auf der Couch sitzend wiegten sie sich aber weiter zum Dreivierteltakt, konnten nicht stillhalten.
„Schau mal, im Metal- und Hard Rock-Bereich gibt's auch Einiges, auf das man Walzer tanzen kann." Leonie beugte sich zu ihrem Mann, um die Liste besser sehen zu können, die er aufgerufen hatte. „Oh, das kenne ich sogar." Sie zeigte auf den Eintrag „Metallica – Nothing else matters". „ Davon gibt's auch eine tolle Version mit Orchester." Er nickte. „Hat mich überrascht, wie viel es da gibt. Walzer und Metal habe ich gar nicht so zusammengebracht."
Leonie strich ihm über den Arm, brummte zustimmend und küsste ihn auf die Wange. Ihr war warm und sie war sich sicher, dass das nicht nur von der Bewegung kam. Sich mal wieder so zusammen zu freuen und gemeinsam etwas Neues zu machen, es war ... gut. Es fühlte sich lebendig und richtig an.
Eine Weile kuschelten sie sich einfach aneinander, zeigten sich ihre Funde und hörten den Interpretationen des Walzers in verschiedensten Musikstilen zu. Dann sprang Leonie auf und strahlte Nick an.
„Komm, eine Runde noch. Ich habe das perfekte Abschlusslied gefunden: Natürlich ein Walzer, dazu romantisch und im Titel geht's schon um Weihnachten." „Alles klar, da bin ich dabei!" Er schlang seine Arme um die Taille seiner Frau, hob sie hoch und wirbelte sie herum. Während sie ausgelassen lachten, ertönten die ersten Takte des nächsten Lieds.
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Vor der Tür setzte Noël lächelnd seinen Weg durch das Haus fort, beschwingt von den Klängen von wärmender Fröhlichkeit und Sias „Everyday is Christmas". Was wohl noch alles geschehen würde?
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