Kapitel 8 - unwiderstehliches Angebot

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Ich schwang mich auf mein Fahrrad und radelte so schnell ich konnte nach Hause. Dort angekommen schleuderte ich meine Schultasche in die Ecke und ließ das Gespräch zwischen Frau Hanses und mir noch einmal Revue passieren. Sie schien sich wirklich Sorgen um mich zu machen. Ich erinnerte mich an den Zettel, den sie mir gegeben hatte und kramte ihn aus meiner Hosentasche hervor. >Jana Hanses< hatte sie aufgeschrieben. Jana. Der Name passte irgendwie zu ihr. Ich rang einen kurzen Moment mit mir, ob ich sie nun wirklich einspeichern sollte oder sie einfach aus dem ganzen raus halten sollte. Dann entschied ich mich dazu sie einzuspeichern. Ich müsste sie ja nicht direkt kontaktieren, wenn ich sie überhaupt jemals anschreiben würde. Es wunderte mich nicht, dass sie kein Profilbild hatte, denn sie hatte mich ja nicht als Kontakt und wenn ich mir eines hätte denken können, dann dass sie ihr Profilbild ganz sicher nicht für alle sichtbar machte. Etwas schade fand ich es aber schon, denn ich konnte nicht leugnen ein klein wenig neugierig gewesen zu sein. Mein Handybildschirm wechselte zum Anrufbildschirm. Ich hätte es mir denken können und trotzdem zog sich alles in mir wieder kurz zusammen, als ich den Namen des Anrufers las. Ich wartete einen Moment ab, um mich zu sammeln, dann ging ich ran. "Ja?", fragte ich in die Leere. "Hallo Nora, ich bin's. Es tut mir leid, dass mir letzte Woche die Hand ausgerutscht ist, aber deswegen ruf ich nicht an.", mein Gehirn ratterte und versuchte seinen Worten zu folgen. War das eine Entschuldigung? Wow. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Das machte den Vorfall zwar nicht besser, aber irgendwas gab es mir trotzdem. Auch wenn mein Bauchgefühl direkt den Wahrheitsgehalt der Aussage anzweifelte. Dass er allerdings nicht nur angerufen hatte, um sich zu entschuldigen, war jetzt keine Überraschung für mich. Das hätte er gar nicht noch hinten anschieben müssen. "Du hattest mir letzte Woche ja zu wenig Kohle gegeben. Ich brauch die restlichen 100 € noch von dir. Am besten machst du da gleich 200 draus, als Entschädigung für deinen Fehltritt.", seine Dreistigkeit verschlug mir fast die Worte. Er hatte letzte Woche seine eigene Tochter halb zusammengeschlagen und meinte jetzt ich wäre diejenige, die den Fehltritt gemacht hätte? Innerlich kochte die Wut nur so in mir, doch die Angst überwiegte dennoch, sodass ich nachgab. "Alles klar, besorg ich dir. Wann brauchst du das Geld?". "Heute. Am besten wir treffen uns so um 19 Uhr im Park.", entgegnete er neutral, als wäre es das normalste der Welt. Ich hatte mich heute Abend eigentlich mit Amelie treffen wollen, aber musste das nun wohl verschieben. Meinem Vater konnte ich schließlich definitiv schlechter absagen. "Okay, das schaff ich. Bis dann.", gab ich also knapp von mir und legte schließlich auf. Ich schmiss mein Handy auf die Coach, auch wenn ich es gerade am liebsten aus dem Fenster geschmissen hätte. Um nicht weiter über das Treffen nachzudenken machte ich laute Musik an und fing an wie wild mit zu singen und tanzen. Das war vielleicht nicht der beste Weg, um mit meinen Emotionen klar zu kommen, aber es half mir das Gespräch zu verdrängen und das war alles, was ich in dem Moment wollte.

Die Zeit verging wie im Flug und so war es 18:15 Uhr, als ich mir meine Jacke anzog und mir einen Schal um bund. Ich hatte kurz überlegt eine Nachricht an Frau Hanses zu schreiben und sie über das Treffen zu informieren, doch das war mir dann irgendwie auch zu blöd. Es ging eigentlich nie etwas schief und jetzt paranoid zu werden nur wegen eines Treffens war ja wohl auch übertrieben. Außerdem war ich auch noch nicht so ganz begeistert davon, dass sie seit heute Mittag so viel aus meinem Privatleben erfahren hatte.

Ich schwang mich also auf mein Rad und fuhr erneut zur Bank, um Geld abzuheben. Ich steckte die Karte in den Bankautomaten und tippte 200 € in das Eingabefeld. >Nicht genug Geld auf dem Konto!<. Las ich nun auf dem Bildschirm. Ich sah wie versteinert auf die Anzeige. Dann sah ich auf meinen aktuellen Kontostand und schluckte einmal, als ich las, dass der Kontostand 0,00 € betrug. Ich versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Was konnte ich jetzt nur tun? Tom konnte mir kein Geld herzaubern, der steckte in Portugal. Meine Mutter war 4 Stunden Autofahrt von mir entfernt und meine Freundinnen wussten von all meinen Problemen nichts. Mir fiel nur eine Person ein, die über das ganze Bescheid wusste, vermutlich irgendwo in der Nähe wohnte und von der ich ausging, dass sie 200 € auch irgendwo Bar zuhause haben könnte. Alles in meinem Körper streubte sich dagegen sie anzurufen und doch trieb die Angst vor meinem Vater mich dazu mein Handy zu zücken und ihren Kontakt auszuwählen. Mein inneres Chaos wurde nicht besser als nach einigen Malen tuten ihre Stimme durch den Lautsprecher meines Handys erschien. "Jana Hanses, hallo?", ertönte ihre Stimme. Ich war zu perplex um zu antworten und wusste irgendwie auch gar nicht was ich sagen sollte. "Hallo?", ertönte nun erneut ihre Stimme. Wenn ich jetzt nicht bald was sagen würde, würde sie bestimmt gleich wieder auflegen. "Hallo, hier ist Nora Jakobs.", überwindete ich mich dann ihr zu antworten und musste mich konzentrieren, damit meine Stimme gefasst klang. "Nora? Ist alles ok bei dir?", kam nun eine überraschte Stimme zurück. "Ja... also naja. Ich weiß nicht ganz wie ich das jetzt fragen soll.", ich lief in der Bank nervös auf und ab. "Was ist los?". Ihre Stimme klang nun direkt ein wenig besorgt. "Sie haben nicht zufällig 200 € Zuhause rumliegen, die Sie mir leihen könnten? Am besten jetzt? Ich geb Ihnen das Geld innerhalb dieser Woche direkt wieder, versprochen! Es ist gerade nur etwas dringend.", erzählte ich dann und bei jedem Wort, was meinen Mund verließ, wurde mir die Situation unangenehmer. Wie bescheuert war ich eigentlich meine Lehrerin nach Geld zu fragen? Und zwar nicht nur nach 5 €, sondern direkt nach 200. Es war einen Moment still am anderen Ende des Telefons. Dann hörte ich ein Räuspern. "Wofür brauchst du das?", fragte sie schließlich ohne meine Frage mit ja oder nein zu beantworten. "Ich glaub Sie wissen wofür. Das hab ich Ihnen heute Mittag doch alles erzählt. Ich erzähl das sicher nicht nochmal und schonmal gar nicht am Telefon.", erwiderte ich auf die Frage, was vielleicht nicht die netteste Antwort war, dafür, dass ich was von ihr wollte. Aber irgendwie war ich innerlich voller Panik und Verzweiflung und dachte nicht mehr sonderlich nach bevor ich sprach. "Okay, alles klar. Wo bist du denn?", fragte sie nun und blieb erstaunlich ruhig im ganzen Gespräch. Ich nannte ihr den Standort der Bank in der ich mich gerade befand und hoffte das es ein gutes Zeichen war, dass sie das nachgefragt hatte. "Gut, ich bin in 10 Minuten bei dir.", hörte ich sie dann sagen, ehe ich auch schon wieder ein tuten vernahm. Aufgelegt. Ich warf einen Blick auf die Uhr. 18:30 Uhr. Ich hatte noch eine halbe Stunde bis ich beim Treffpunkt sein musste und wenn Frau Hanses nun auch noch 10 Minuten brauchte bis sie hier war, müsste ich ganz schön rasen, um die Zeit einhalten zu können. Die 10 Minuten vergingen wie in Zeitlupe. Ich wartete draußen auf meine Lehrerin und sah schließlich einen weißen BMW aufleuchten. Schnell ging ich zu dem Auto in dem ich Frau Hanses vermutete und als ich sie dann auf dem Fahrersitz erkannte stieg ich ein. Mein Herz war noch immer am rasen von der ganzen Aufregung und zudem war es mir einfach unfassbar peinlich so neben ihr zu sitzen. "Es tut mir wirklich leid mit so einer Bitte zu Ihnen zu kommen. Das ist mir unfassbar unangenehm, das können Sie mir glauben.", sagte ich als Begrüßung und schaffte es kaum ihr in die Augen zu sehen. "Ich hab das Geld dabei. Aber ich möchte mitkommen Nora. Ich lass dich nicht nochmal alleine zu diesem Kerl, jetzt wo ich weiß was er dir letzte Woche angetan hat.". Mein Gesicht versteinerte. Ich sah sie fassungslos an und wenn sie nicht das Geld dabei hätte, wär ich so wieder ausgestiegen. "Das kommt gar nicht in Frage. Ne, ne, ne! Tut mir leid, aber ausgeschlossen! Das war nicht die Abmachung!". Die Worte prasselten nur so aus mir heraus. Sie hatte wirklich schon genug mitbekommen. "Die Abmachung heute Mittag war, dass du mich direkt informierst, wenn ihr euch nochmal trefft und nicht erst wenn irgendwas schief läuft und plötzlich 200€ fehlen. Du wolltest das hier schon wieder alleine durchziehen, aber ich lass dich da, jetzt wo ich Bescheid weiß, nicht nochmal alleine hin.", sagte sie nun bestimmend. "Wollen Sie jetzt wieder einen auf strenge Lehrerin machen oder was? Da hab ich gerade echt keine Nerven für!", entgegnete ich nun etwas gereizt und sah kurz zur Uhr im Armaturenbrett. "Das hat damit nichts zu tun. Ich mache mir einfach Sorgen, dass du die nächste Woche wieder verletzt zuhause liegst.", entgegnete sie ruhig auf meinen kleinen Angriff. "Haben Sie die passende Summe dabei?", fragte ich nun, ohne auf ihre Worte einzugehen. "Ja.". "Dann wird mir auch nichts passieren.", gab ich stur von mir. "Der Kompromiss auf den du dich hier jetzt einlassen musst, ist echt nichts dafür, dass ich dir 200 € leihe, ok?", verdeutlichte die Blondine mir schließlich erneut. Ich seufzte etwas verzweifelt auf. Aus Zeitgründen konnte ich gar nicht mehr viel mit der Frau diskutieren und zudem hatte ich irgendwie auch keine andere Wahl als mich darauf einzulassen, denn ich glaubte nicht, dass sie mir das Geld geben würde, wenn ich sie nicht mitkommen ließ. "Newton Park.", antwortete ich schließlich knapp und wendete meinen Blick von ihr ab. "Aber Sie warten im Auto! Und zwar so, dass mein Vater Sie nicht sieht! Ich komm immer mit dem Rad, es wird ihn bestimmt skeptisch genug machen, dass ich das nicht dabei habe.", stellte ich schließlich noch ein paar Regeln auf, sodass ich wenigstens etwas besser mit ihrem Kompromiss leben konnte. Sie startete den Motor und nickte bezüglich meiner Forderungen. "Geht klar.", stimmte sie diesen schließlich zu. Die Fahrt verging recht schnell, auch wenn es sich zugegebenermaßen etwas komisch anfühlte in dem Auto meiner Lehrerin zu sitzen. Beim Park angekommen, parkte Frau Hanses so, dass ich noch ein kleines Stück zum Treffpunkt laufen musste, damit man das Auto auch wirklich nicht sah. Sie holte schließlich ihre Tasche von der Rückbank und kramte einen Umschlag heraus. Diesen übereichte sie mir und sah einmal prüfend zu mir. Ich war mittlerweile sichtlich angespannt und kaute nervös auf meiner Unterlippe herum. "Danke.", sagte ich beim Entgegennehmen. "Ich bin dann gleich wieder da.", fügte ich dann hinzu. Innerlich streubte ich mich gegen die anstehende Begegnung. "Pass auf dich auf, Nora.", sagte Frau Hanses noch und gab mir einen warmen, mutmachenden Händedruck. Bei der Berührung fuhren kleine Blitze durch meinen Körper, welche ich auf die Anspannung schob. Ich nickte ihr noch einmal zu und stieg schließlich aus. Es war kurz nach 7, als ich schließlich beim Treffpunkt ankam. Ich sah meinen Vater bereits auf mich warten und spürte wie sich direkt wieder der mir all-bekannte Kloß im Hals bildete. "Du bist spät dran.", erklang seine raue Stimme. "Ich hab mich beeilt, tut mir leid.", erwiderte ich und ordnete mich somit widerwillig direkt unter. Er stand von der Bank auf, auf der er gesessen hatte und ging auf mich zu. Automatisch wäre ich am liebsten direkt einen Schritt zurück gegangen, doch ich riss mich zusammen und blieb starr vor ihm stehen. Als er nun direkt vor mir stand, roch ich mal wieder seine starke Alkoholfahne. Es widerte mich an ihn so zu sehen und so zu erleben. Früher war er wirklich mal ein liebevoller Vater gewesen, aber wohin diese Seite in ihm verloren gegangen ist, konnte ich mir nicht erklären. "200 €, wie du wolltest.", sagte ich schließlich während ich den Umschlag aus meiner Jackentasche raus holte. Er nahm ihn mir entgegen, machte ihn direkt auf und zählte das Geld. "Du scheinst aus deinem Fehler gelernt zu haben.", sagte er mit einem leicht zufriedenen Unterton. Die Summe stimmte also. "Nora, ich hab mir Gedanken gemacht und hab da eine neue Idee.", sagte mein Vater schließlich. Das konnte für gewöhnlich nichts Gutes heißen. "Ein paar meiner Kumpels verticken Drogen und haben mich gefragt, ob ich in das Geschäft einsteigen will. Ich komm allerdings gar nicht an die Zielgruppe ran. In meiner Altersklasse verkauft sich das Zeug nicht so gut.", er sah mir direkt in die Augen und ich wusste nicht, ob mir nach lachen oder weinen zu Mute war, denn ich ahnte worauf er hinaus wollte. "Wenn du mir hilfst, dann wären wir zwei finanziell unabhängig von deiner Mutter. Wir könnten ganz einfach eigenes Geld verdienen. Du müsstest das Zeug nur an der Schule verticken. Das kriegst du doch hin, oder?", er sah mich prüfend an. Es war eher weniger eine Frage als eine Erpressung. "Ich... ich kann das nicht. Ich bin doch gerade mitten in meinem Abi. Ich muss nur noch dieses eine Jahr schaffen und dann bin ich durch. Wenn ich jetzt mit Drogen erwischt werden sollte, dann schmeißen die mich direkt von der Schule.", erklärte ich nun in der Hoffnung meine Widerrede würde auf ein wenig Einsicht stoßen. Doch Fehlanzeige. Die Miene meines Vaters verdunkelte sich und bevor er wütend werden konnte, knickte ich ein. "Ist ok. Ich mach es.", sagte ich kleinlaut und schaffte es nicht mehr seinem Blick stand zu halten. Er kramte in seiner Hosentasche und holte direkt ein paar kleine Tütchen raus. "Es ist nur Gras, keine Sorge.", zwinkerte er mir zu und ich nahm die Tüten widerwillig entgegen. "Ich muss dann jetzt wieder los.", gab ich knapp von mir und er nickte, was mir total ausreichte, um mich möglichst schnell von diesem Ort des Grauens zu distanzieren. Ich erblickte schließlich das Auto von Frau Hanses und sah mich kurz um, ob jemand in der Nähe war, der mich beobachtete, ehe ich zu ihr ins Auto stieg. Mir war kotzübel und ich war wie paralysiert. Damit hatte ich nicht gerechnet. Damit konnte ich nicht rechnen. Das mein Vater mich in seine Scheiße mit rein ziehen würde, hätte ich nicht mal ihm zugetraut. Das ich zu schwach bin, um mich dagegen zu wehren, hab ich irgendwie auch nicht erwartet. Aber das lag zum großen Teil wohl an den Vorfall von letzter Woche und der panischen Angst, die mich seitdem verfolgte, sobald ich auch nur an ihn dachte. Frau Hanses sah fragend zu mir rüber, aber ich konnte und wollte gerade nicht mit ihr sprechen. "Wie war's?", stellte sie schließlich die Frage, die sie selbstverständlich interessierte. "Können Sie bitte erstmal hier weg fahren?", war das einzige was ich ihr antworten konnte. Mein Kopf war leer und zugleich unfassbar voll. Ich dachte darüber nach, ob ich Frau Hanses von dem Gras erzählen sollte, doch das wär wohl mein Untergang. Das Ganze hin und her in meinem Kopf machte mich total fertig und ich beachtete gar nicht, wo Frau Hanses mich hin fuhr. Erst als der Wagen einige Zeit später hielt, nahm ich meine Umgebung wieder wahr. Um uns herum war ein Wald und wir standen an einem Felsvorsprung, der sich über die kleine Stadt, in der ich zur Schule ging, erstreckte. Perplex drehte ich mich zu Frau Hanses. "Hier steht aber nicht mein Fahrrad. Wollen Sie mich jetzt auch noch entführen?", sprudelte es direkt aus mir raus und ich war drauf und dran aus dem Auto zu springen und einfach weg zu rennen. "Beruhig dich, Nora. Das hier ist ein ganz besonderer Ort für mich. Wir bleiben auch nicht lange.", sagte sie nun und stieg aus dem Auto. Ich blieb einen Moment sitzen und sah einfach nur starr aus dem Auto. In meinem Kopf war noch immer totales Chaos. Schließlich stieg ich ebenfalls aus. Ich hielt Ausschau nach Frau Hanses, welche ich dann sitzend auf einem großen Felsen entdeckte. Ich ging zu ihr rüber, kletterte ebenfalls hoch auf den Felsen und setzte mich neben die junge Blondine. Erst jetzt bemerkte ich den schönen Sonnenuntergang, der sich gerade über die Stadt erstreckte und sie in ein magischen gold-orangenen Farbton tunkte. "Wow, die Aussicht ist wirklich krass.", gab ich schließlich zu, denn es war wirklich nahezu magisch und hatte in dem Moment eine sehr beruhigende Wirkung auf mich. Sie nickt leicht und für einen Moment herrschte einfach eine Stille zwischen uns. "Ich war früher oft hier, wenn es mir schlecht ging.", sagte Frau Hanses nun sanft und mein Blick hebte sich fragend zu ihr hoch. "Ich war mit 16 in einer Beziehung, die mir alles andere als gut getan hat.", fuhr sie schließlich fort. Ich war etwas verwirrt, dass sie mir jetzt etwas aus ihrem Privatleben erzählen wollte, doch hörte gespannt zu. Ablenkung war gerade echt nicht schlecht. "Mein Freund hatte Depressionen und hat seine ganze Lebensfrust dabei immer ziemlich an mir ausgelassen. Wenn mir das alles zu viel geworden ist, dann hab ich mir meistens meine Sportklamotten angezogen und bin den ganzen Tag durch die Gegend gerannt. Es war fast eine Art weg rennen. Vor ihm und vor all meinen Problemen. Laufen war mein Ventil, um dem Ganzen irgendwie zu entkommen. Eines Tages hab ich dabei diesen Ort hier entdeckt und bin seit dem immer hier her gerannt.", sagte sie schließlich und ich merkte an ihrer Stimme, dass sie die Geschichte noch immer nicht kalt ließ. "Warum erzählen Sie mir das?", fragte ich schließlich. "Du meintest ich weiß zu viel von dir und das ich mich aus deinem Privatleben raus halten soll. Ich kann das gut verstehen, ich mag es auch nicht gerne wenn ein Ungleichgewicht zwischen mir und meinem Gegenüber herrscht, vor allem wenn es um so private Geschichten geht. Deswegen dachte ich mir gerade, ich erzähl dir das, jetzt wo wir eh hier sind. Damit du auch etwas über mich weißt. Und ich wäre dir sehr dankbar, wenn du das ebenfalls für dich behalten könntest.", erklärte sie mir nun und sah mir dabei eindringlich in die Augen. In diesem Blick lag mal wieder eine gewisse strenge, doch zugleich etwas verletzliches und vertrautes. "Ich bin nicht so ein Plappermaul, wie Sie vielleicht denken.". "Das habe ich auch nie gesagt.", antwortete Frau Hanses. Sie hatte sich mir geöffnet und ich wusste nicht genau was ich davon halten sollte. Irgendwie fand ich es gut und nett, aber ganz einordnen konnte ich es nicht. "Sie wollten wissen wie es mit meinem Vater lief.", griff ich schließlich ihre Frage von vorhin wieder auf. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich wäre ihr die Antwort nun schuldig. "Es lief ganz gut, das Geld hat gepasst. Ich bin nach seinen Begegnungen nur immer etwas durch den Wind, deswegen war ich gerade so in meiner Welt.", erklärte ich ihr, wobei ich maximal die halbe Wahrheit von mir gab. Die Drogengeschichte ließ ich komplett aus dem Spiel. Das konnte ich ihr einfach nicht anvertrauen. Das könnte ich vermutlich nicht mal Tom anvertrauen, denn wenn er wüsste, dass mein Vater mich in diese Situation gebracht hatte, würde er vermutlich komplett durch drehen.

Frau Hanses nickte auf meine Erklärung hin und legte den Kopf kurz etwas schief, als wäre sie dennoch etwas skeptisch, ob das alles war. "Das war alles, gucken Sie mich bitte nicht so an. Ich fühl mich sowieso schon komplett nackt vor Ihnen.". Ein kleines Schmunzeln erschien auf den Lippen der Blondine. "Das mein ich natürlich nicht wortwörtlich.", schob ich also hastig hinterher und merkte wie ich ungewollt etwas Farbe bekam. "Alles gut, das hab ich mir gedacht. Ich glaube dir.", erwiderte meine Lehrerin schließlich und lächelte etwas in sich hinein. "Wissen Sie was ich übrigens ziemlich unfair finde?", beschloss ich nun das Thema zu wechseln, um von diesen ganzen unangenehmen, privaten Geschichten wegzukommen. Ich sah sie fordernd an. Frau Hanses zog die Augenbrauen fragend hoch. "Das Sie mich hier die ganze Zeit duzen und ich Sie noch siezen muss. Das ist auch ein ziemliches Ungleichgewicht, finde ich.", sagte ich schließlich und mein fordernder Blick verschärfte sich ein wenig. Sie allerdings lachte nur leicht und verdrehte die Augen. "Ich bin nun mal deine Lehrerin.", sagte sie schließlich und tat so, als wär das ein absolutes totschlag Argument. "Es ist 21 Uhr und wir sitzen mitten in der Pampa. Also Sie mögen gerade vieles für mich sein, aber sicher nicht meine Lehrerin. Oder wollen Sie mir jetzt gleich was von Aristoteles an die Backe quatschen?". Ich persönlich muss schon sagen, dass mir meine Argumentation eindeutig stärker vorkam. "Du, ich fahr dich jetzt eh gleich zurück, also überspann den Bogen nicht.", zwinkerte sie mir zu und ich seufzte geschlagen. Sie lächelte nur und stand schließlich auf. "Na komm. Wir müssen morgen beide wieder früh raus.", sagte sie dann und kurz darauf schlenderten wir auch schon wieder zum Auto.

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(Hey, wie gefällt euch das Kapitel? Das nächste Kapitel kommt wahrscheinlich nach den Feiertagen. Ich wünsche euch daher erstmal frohe Weihnachten und möglichst wenig Weihnachtsstress ;))

Renn für mich!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt