Kapitel 10 - die Revanche

136 8 3
                                    

Es war Samstagmorgen als ich meine Wohnung mit meiner Sporttasche über der Schulter verließ. Ich stieg auf mein Fahrrad und fuhr zum Tartanplatz. Den heutigen Wettkampf trug unser Verein aus, weshalb keine weite Autofahrt anstand. Ich hatte seit gestern zwar eigentlich ganz andere Dinge im Kopf, die mich nicht los ließen, doch Sport befreite und außerdem konnte ich den Wettkampf so kurz vorher nun auch nicht mehr absagen. Als ich ankam empfing mich mein Trainer und die anderen Vereinsmitglieder. Als schließlich alle umgezogen waren, starteten wir rasch mit den üblichen Aufwärmübungen vor einem Wettkampf. Es dauerte eine Weile bis ich an dem heutigen Tag an der Reihe war, da zuerst die jüngeren Läufergruppen dran waren. Um 14 Uhr war es dann so weit. Mittlerweile hatten auch Sophie und Amelie auf der Zuschauertribüne Platz genommen. Die Damen 800-Meter-Gruppe wurde an den Start gerufen. Ich ging also zur Startlinie und ließ einen Blick über meine Konkurrentinnen schweifen, wobei mein Blick an einem blonden Haarschopf hängen blieb. Wie konnte ich sie nicht vorher schon gesehen haben? Mein Blick verharrte auf der Frau einige Reihen neben mir, bis sie mich schließlich ebenfalls ansah und ich meine Augen schnell wieder von ihr los riss. "Auf die Plätze", ertönte nun eine Stimme und ich zuckte kurz zusammen, da ich durch diese wieder aus meinem kleinen Gedankenkarussell gerissen wurde. Vor meinen inneren Auge hatte sich gerade nochmal das Gespräch zwischen Frau Hanses und mir bezüglich der Drogen abgespielt, dann der Kuss und zuletzt irgendwie auch wieder unsere aller erste Begegnung beim 800-Meter-Lauf vor mittlerweile einem guten Monat. Was seitdem schon alles passiert war, war echt krass. Bevor ich den Gedanken weiter nachgehen konnte, ertönte das zweite und damit letzte Signal: "Los", und die Klappe schallte aufeinander. Wie ein Roboter setzte sich mein Körper auf das Signal hin automatisch in Bewegung, ohne das meine Gedanken bereits auf der Höhe waren los zu laufen. Ich rannte direkt an die Spitze und spürte die Schritte der anderen direkt hinter mir. Noch war somit keiner vor mir. Auch kein blonder Haarschopf der mich irritieren konnte. Meine Gedanken ließen mich auch beim Laufen nicht los. Die ersten 400-Meter verbrachte ich damit an meine Konkurrentin zu denken und am Ende der ersten Runde fiel mir auch mein geknickter Stolz nach dem ersten 400-Meter-Lauf gegen sie wieder ein. Ganz klar: Egal was zwischen uns vorgefallen war - heute würde sie mich nicht nochmal besiegen. Der Ehrgeiz hatte mich gepackt, weshalb ich nochmal mein Tempo anzog und somit die Gruppe hinter mir ließ. Alle bis auf eine Konkurrentin. Nach 600 gelaufenen Metern tauchte direkt neben mir Frau Hanses auf. Ich sah ihre blonden Haare im Augenwinkel und hörte ihren schnellen Atem. Direkt verspürte ich eine Anspannung. Erneut zog ich mein Tempo an. Nun waren es nur noch 150 Meter bis zur Ziellinie und ich reihte mich direkt vor ihr ein. Versuchte sie mich von links zu überholen, wich ich nach links, versuchte sie es von rechts, wich ich nach rechts, sodass sie nicht an mir vorbei kam. Zudem legte ich auf den letzten 100 Metern noch einmal ein Zielsprint hin und schaffte es schließlich schweratmend als erste die Ziellinie zu überqueren. Schwer atmend und mit wackeligen Beinen legte ich meine Hände auf den Kopf und rang nach Luft. Mein Trainer kam im nächsten Moment zu mir gerannt und beglückwünschte mich. Er strahlte mich an und erklärte mir stolz, dass ich heute eine neue Bestzeit gelaufen sei. Das machte mich natürlich super stolz und glücklich, aber ich musste mir selbst eingestehen, dass das Wichtigste für mich heute war, meine Lehrerin zu schlagen, und nicht das Aufstellen einer neuen Bestzeit. Auch Sophie und Amelie kamen von der Tribüne zu mir und beglückwünschten mich mit Umarmungen. "Wow! Das war so spannend! Am Ende war es auch nochmal richtig knapp! Da hätte sie dich fast überholt! Aber dann hast du nochmal Gas gegeben, sie abgehängt und das Ding nach Hause gebracht!", schilderte Amelie mir ihre Laufanalyse und ich musste etwas lachen. Es war schon echt süß, wie die zwei immer für mich mitfieberten. Ich trank bei ihnen noch etwas und ging mich im Anschluss daran noch einmal auslaufen. Von Frau Hanses war keine Spur zu sehen. Auch auf der Tartan-Bahn zum Auslaufen hatte ich sie nicht mehr gesehen. Ich verabschiedete mich dann noch ausgiebig von Amelie und Sophie, ehe ich mir dann meine Sporttasche schnappte und schließlich in die Umkleide ging, um mich umzuziehen. Ich durchquerte die Umkleide einmal, um zu meinem Standartspind zu gelangen, wobei ich zu meiner Überraschung bemerkte, dass ich nicht alleine in der Umkleide war. Frau Hanses zog sich gerade um und stand nur auf Sport-BH und kurzer Sporthose vor ihrem Spind. Sie hatte mich noch nicht bemerkt und ich konnte es mir nicht verkneifen, sie für einen kurzen Moment zu mustern. Ihre Figur war wirklich wunderschön. Sie hatte eine sehr athletische Figur, die dennoch weiblich war und ihre Haut sah total glatt und weich aus. Ich stoppte mich selber bei meinen Gedanken, denn wie konnte ich sowas überhaupt schon wieder denken? Erst der Kuss, jetzt solche Gedanken und nebenbei führte ich doch eigentlich eine glückliche Beziehung. Schnell drehte ich mich weg und widmete mich möglichst leise und unauffällig meinem eigenen Kleidungswechsel. Ich musste heute wirklich kein Gespräch provozieren. Gerade nachdem sie mir gestern geschrieben hatte, dass sie Abstand wollte. Vermutlich hatte ich sie mit meinem Gewinn schon genug provoziert. Kurz nachdem ich mich von meinem Vereinstop befreit hatte und nun ebenfalls nur noch einen Sport-BH trug, hörte ich eine Stimme hinter mir. "Ich hätte nicht gedacht, dass du am Ende so unfair gewinnen willst.". Diese Stimme konnte ich mittlerweile problemlos zuordnen, zumal wir beide uns allein in der Kabine befanden. Ich drehte mich um und sah eine nun komplett umgezogene Frau Hanses im Raum stehen, welche mich vorwurfsvoll ansah. "Warum unfair? Wenn Sie wirklich schneller gewesen wären, hätten Sie ja wohl einen Weg gefunden, um an mir vorbei zu kommen.", entgegnete ich nun ganz neutral. Zugegebenermaßen freute es mich innerlich etwas, dass ich sie jetzt auch in ihren Stolz gekränkt hatte, so wie sie vor einem Monat meinen. Sie verdrehte mit einem Seufzer die Augen. "Du lügst, du betrügst... weißt du was? Bei dir wundert mich mittlerweile echt gar nichts mehr.". Dieser persönliche Angriff traf mich unerwartet. Dass sie so über mich dachte, verletzte mich extrem und machte mich rasend! Ich war nicht so, wie sie mich darstellte! Ich mochte nicht immer die Wahrheit sagen, aber das hatte dann auch seine guten Gründe und betrügen tat ich auch nicht! Ich zog meine Augenbrauen zusammen. "Sie kennen mich nicht! Sie haben echt keine Ahnung! Warum sagen Sie sowas zu mir? Wissen Sie was? DAS find ich unfair! Ich sag doch auch nicht zu Ihnen, dass Sie oft 'nen Stock im Arsch haben, auch wenn ich das manchmal denke!", sprudelte es nun aus mir heraus. Sie wurde persönlich und irgendwie konnte ich dieses Mal nicht anders als ihr gegenüber auch persönlich zu werden. Immer hackte sie auf mir herum, aber ich war nicht immer das Problem. Das Püppchen war nämlich ganz bestimmt auch nicht fehlerfrei. Ich hatte sie getroffen. Das sah ich an der Veränderung in ihrem Blick. Er wechselte nämlich für einen kurzen Augenblick zwischen wütend und verletzt. "Nora, das geht zu weit!", kam es nun in einem scharfen und strengen Ton von ihr zurück. Aber ich war nicht mehr zu stoppen. "Ich gehe zu weit? Ja ne, ist klar! Sie sind doch diejenige, die mich gefühlt seit Tag eins auf dem Kieker hatte. Wir hatten keinen guten Start beim Wettkampf und daran bin ich vielleicht auch nicht ganz unschuldig, aber ich mein - woher hätte ich wissen können, dass sie einen Tag später als Lehrerin an meiner Schule auftauchen? Und dann? Wer ermahnt mich denn wegen jedem Scheiß im Unterricht? Wer holt mich andauernd nach der Stunde für ein Gespräch zu sich? Und wer steht plötzlich einfach in der Umkleide während ich mich umziehe? Ich hätte Sie doch niemals so weit in mein Leben gelassen, wenn das alles nicht passiert wäre!", entgegnete ich also mit einer gereizten Stimme. Frau Hanses Miene hatte sich verdunkelt. "Ach ja, das ist also alles meine Schuld? Meinst du denn, ich hab das alles mit Absicht gemacht? Das war Zufall, Nora. Und das hätte jeden anderen Schüler genau so treffen können, der sich mir gegenüber so verhalten hätte wie du! Und deswegen kann ich dir auch sagen, dass ich dir mit meinem Verhalten garantiert keinen Anlass gegeben habe, mich zu küssen!", warf sie mir nun mit einem scharfen Blick vor. Mit dieser direkten Ansprache hatte ich nicht gerechnet, weshalb ich kurz etwas perplex war. Außerdem verletzte es mich irgendwie enorm, dass sie mir indirekt vermittelte, ich wär wie jeder andere normale Schüler für sie und das war alles komplett einseitig. Es verletzte mich und machte mich andererseits erneut wütend, da ich wusste, dass das eine Lüge sein musste. "Ach, ist klar, ich bin also 'ne normale Schülerin für Sie? Und warum haben Sie meinen Kuss gestern dann erwidert?", konterte ich vorwurfsvoll. Ich ließ mir so einen Quatsch von ihr nicht einreden. Da müsste sie mich schon besser überzeugen, aber noch glaubte ich mir definitiv mehr als ihr. Nun war auch sie für einen Moment perplex. "Du hast recht, so weit hätte es nie kommen dürfen.", sagte sie dann recht trocken. Sie verhielt sich mal wieder sehr kalt und distanziert und das störte mich, denn so konnte ich einfach kein richtiges Gespräch mit ihr führen. "Und warum ist es dann soweit gekommen?", fragte ich nun einfach hartnäckig weiter, in der Hoffnung wenigstens etwas Ehrlichkeit zu bekommen. Frau Hanses schwieg für einen Moment und zwischen uns herrschte eine kurze Stille. Sie sah sehr nachdenklich aus und man konnte in ihrem Blick sehen, dass sie etwas stark beschäftigte. Im nächsten Moment sah ich in ihren Augen eine Veränderung. Von kalt und distanziert wurde ihr Blick plötzlich wieder etwas nahbarer und weicher. Dann kam sie auf mich zu und drückte mir einen ganz kurzen, kleinen Kuss auf die Wange. "Ich weiß es nicht.", flüsterte sie mir zu. In ihrer Stimme konnte ich Verzweiflung erkennen. Sie sah mir noch einmal für einen kurzen Augenblick in die Augen, ehe sie dann schnell aus der Tür verschwand. So ließ sie mich also einfach da stehen. Halb-nackt in der Umkleide und mit einem immer größer werdenden Fragezeichen in meinem Kopf.
*
*
*
(Hey :) Ich hoffe ihr hattet alle einen guten Start ins neue Jahr! Nächste Woche kommt ein neues Kapitel. Ich denke, dass ich die neuen Kapitel jetzt immer wöchentlich hochladen werde.
Wie gefällt euch das heutige Kapitel? Über eure Meinung oder einen Stern als Bewertung würde ich mich freuen :)
Damit noch eine schöne Rest-Woche und bis zum nächsten Kapitel :))

Renn für mich!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt