Die folgenden Wochen verliefen erfreulicherweise weniger turbulent, nach der Aussprache zwischen Jana und mir. Wir schafften es in der Schule professionell miteinander umzugehen, da wir uns beide an die Abmachungen hielten. Auch an die Abmachung, dass ich mich in Philosophie mehr beteiligen würde, hielt ich mich zu meiner eigenen Überraschung. Immer mal wieder gab es kurze Momente, in denen eine Spannung zwischen uns entstand, doch wir konnten uns beide gut beherrschen und einfach nicht darauf eingehen. Zudem vermieden wir eins zu eins Begegnungen oder Gespräche weitgehend.
Zwischen Tom und mir hatte es sich auch wieder besser eingespielt. Ich hatte es irgendwie geschafft Frau Hanses in seiner Gegenwart möglichst weit aus meinen Gedanken zu entfernen, sodass ich mich wieder mehr auf ihn und unsere Beziehung einlassen konnte. Insgesamt versuchte ich das Geschehene in den letzten Wochen einfach zu vergessen. Ich spielte mir selbst vor, das alles sei nicht passiert. Es war für mich der einzige Weg, damit ich die Beziehung zu Tom aufrecht erhalten konnte. Es war also mehr oder weniger wieder alles beim Alten. So wie ich es mir gewünscht hatte. Zumindest redete ich mir auch das die letzten Wochen immer wieder ein.
Ich saß auf meinem Fahrrad und war mal wieder auf dem Weg zur Schule. Tom hatte ich gerade an der Gabelung verabschiedet und so fuhr ich nun das letzte Stück alleine, bis ich schließlich ankam und mein Fahrrad bei den Fahrradständern abschloss. Heute war Montag und für mich stand nun eine Doppelstunde Englisch auf dem Stundenplan. Zu meinem Glück waren Sophie und Amelie beide in diesem Kurs, sodass diese Doppelstunde wie im Flug verging. Danach hatte ich Musik. Für mich persönlich eines der unnötigsten Fächer auf meinem Stundenplan, da ich mich, außer dass ich gerne Musik hörte, so wirklich null für Musik interessierte. Unsere Lehrerin war eine hoch engagierte Referendarin, was den Unterricht nicht weniger erträglich machte. Als wir schließlich die ersten 45 Minuten überstanden hatten, klopfte es an der Tür. Alle Augen richteten sich schlagartig auf diese, denn jede Unterrichtsunterbrechung war bekanntlich ein willkommenes Geschenk bei allen Schülern. Unsere Lehrerin öffnete die Tür und ich erkannte den Kopf von Herrn Vierkant in die Klasse rein luschern. Er ließ seinen Blick einmal durch die Klasse schweifen und verharrte mit einem kleinen zufriedenen Lächeln bei mir. Was er dann meiner Musiklehrerin erzählte war zu leise, als dass ich es hätte verstehen können, doch sie gab mir im nächsten Moment die Erlaubnis mit Herrn Vierkant aus dem Unterricht zu gehen. In meinem Kopf war ein riesiges Fragezeichen. Was wollte Herr Vierkant denn nun von mir? Er begrüßte mich warmherzig und leitete mich schließlich in einen Raum, in dem sich ein weiterer Schüler aus der Leichtathletik-AG befand. "Setz dich ruhig kurz, Nora. Wir sind gleich vollzählig.", sagte er dann, ohne zu verraten, worum es sich bei diesem mysteriösen Treffen handelte. Ich setzte mich auf den Stuhl neben dem anderen Schüler und sah fragend zu ihm rüber, doch er zuckte auch nur mit den Achseln. Dann ging die Tür auf und ein weiteres Mädchen aus der Leichtathletik-AG kam dazu, gefolgt von einem blonden Haarschopf. Direkt wurde ich innerlich etwas angespannter. Frau Hanses und das Mädchen setzten sich ebenfalls zu uns und schließlich begann Herr Vierkant endlich zu erzählen, worum es hier ging. "So! Da sind nun unsere drei Top-Athleten. Ihr fragt euch sicherlich was das Ganze hier soll und das werde ich euch jetzt verraten. Du, Lukas, hast dich mit deiner hervorragenden Leistung im Kugelstoßen für die Schul-Landes-Meisterschaften in Berlin qualifiziert. Ebenso hast auch du, Lisa, das mit deinen hervorragenden Hochsprung-Ergebnissen in der Vorrunde geschafft. Und auch du, Nora, hast es mit deinen Laufzeiten über 800-Meter nach Berlin geschafft! Ihr wisst gar nicht, wie stolz ich auf euch drei bin! Es ist schon so lange her, dass unsere Schule Schüler zu den Schul-Landes-Meisterschaften nach Berlin schicken durfte!", er strahlte uns glücklich an und bei diesem Strahlen konnte man kaum anders, als sich mit zu freuen. "Auch ich gratuliere euch Dreien! Das ist wirklich eine starke Leistung von jedem Einzelnen!", fügte dann auch Frau Hanses noch einmal hinzu und sah uns der Reihe nach an. Auch sie freute sich sichtlich für uns mit und das löste irgendwie ein schönes Gefühl bei mir aus. Als sich unsere Blicke trafen, schossen mir kleine Blitze durch den Körper. Ihre Augen funkelten glücklich und ich sah eine gewisse Aufrichtigkeit in ihrem Blick. Als ich merkte, was dieser intensive Blick wieder in mir auslöste, brach ich den Blickkontakt jedoch schnell ab und sah wieder rüber zu Herrn Vierkant, der im nächsten Moment fortfuhr. "Die Meisterschaften sind in drei Wochen. Bis dahin würden Frau Hanses und ich gerne noch etwas intensiver und leistungsorientierter mit euch trainieren. Wenn wir schonmal die Chance in Berlin bekommen, müssen wir ja auch alles geben, nicht wahr? Natürlich ist das ein freiwilliges Angebot, aber wir würden uns freuen, wenn wir gemeinsam das Beste auch euch raus holen können.", er sah mit einem Lächeln in die Runde. "Ich würde mich dabei um Lukas und Lisa kümmern, und Frau Hanses würde Nora trainieren. Wir dachten dabei so an Training zweimal die Woche und zur Leichtathletik-AG müsst ihr dann in der Zeit natürlich nicht mehr kommen. Ihr trainiert dann ja schon genug.", er zwinkerte uns zu. Ich folgte seinen Worten und als er meinte, dass Frau Hanses mich betreuen würde, stieg mit einem Mal etwas Panik in mir auf. Wir hatten es die letzten Wochen so gut hinbekommen und ich wollte, dass das genau so bleibt. Irgendetwas in mir hatte Angst davor 'Privattraining' von Frau Hanses zu bekommen. "Ich würde dann eben mit Lukas und Lisa besprechen wann es ihnen passt und ihr zwei könnt das ja auch einmal machen.", er deutete auf mich und Frau Hanses. "Danach könnt ihr drei auch schon wieder in den Unterricht.", fügte er dann hinzu. Er lächelte mir noch einmal munter zu und widmete sich dann Lukas und Lisa. Frau Hanses winkte mich zu sich rüber. Wir entfernten uns ein kleines Stück von den anderen. "Alles okay, Nora? Du wirkst nicht sonderlich glücklich dafür, dass du gerade erfahren hast, dass du dich für Berlin qualifiziert hast.", sagte sie dann und zog eine Augenbraue hoch. Natürlich hatte sie bemerkt, dass mich was beschäftigte. Sie war mir gegenüber immer recht aufmerksam, also was hatte ich anderes erwartet. Ich schüttelte leicht den Kopf. "Alles gut, ich freu mich wirklich. Ich denke nur, dass ich das Training mit dir - mit Ihnen - nicht brauche. Ich mach ja schon dreimal die Woche im Verein Lauftraining.", antwortete ich schließlich. Es war die Wahrheit, denn das kam ja auch noch hinzu. Nicht nur, dass ich kein gutes Gefühl dabei hatte, sie wöchentlich zweimal alleine zu sehen. Ich hatte auch bereits vom Verein aus recht viel Training in der Woche. Sie nickte nachdenklich. "Da könntest du recht haben. Wie wär's mit einmal die Woche? Oder ich komm zu deinem Vereinstraining dazu und mach ein paar Übungen mit dir?", schlug sie dann vor. Sie blieb professionell. Es war keinerlei Zweideutigkeit im Spiel, so wie auch die letzten Wochen über. Ich sah etwas nachdenklich zu ihr rüber. "Einmal die Woche. Okay. Passt es Ihnen Mittwochs so um 16 Uhr?", ging ich schließlich nach kurzem hin und her überlegen doch auf ihren Vorschlag ein. Hielten wir uns an die Abmachung und blieben professionell, sah auch ich viel Potenzial in dem Training. Sie war eine wirklich gute Läuferin und ebenso hatte sie viel Ahnung vom Lauftraining. Außerdem war ich ehrgeizig und würde meine Chance in Berlin nicht ohne zielgerichtetes Training angehen wollen, wenn ich nun schon die Chance dazu bekam. Ich war wirklich sehr stolz darauf mich qualifiziert zu haben! Das hätte ich niemals erwartet, also musste ich das nun auch best-möglichst nutzen! Mein Ziel war es schließlich zu gewinnen! Egal wie unrealistisch das in dem Moment für mich klang. Das war nun mal immer mein Ziel! "Alles klar. Dann starten wir diesen Mittwoch um 16 Uhr beim Tartan-Platz?", vergewisserte sie sich noch einmal und bestätigte somit ihrerseits meinen Terminvorschlag. Ich nickte zustimmend. "Rein professionell.", fügte ich dann noch etwas flüchtig und leiser hinzu. Ich musste diese Bemerkung machen, denn ich brauchte ihre Zustimmung auch in diesem Punkt. Ich musste sicher gehen, dass wir uns auch dahingehend einig waren. "Natürlich rein professionell. Ich setz meinen Job nicht nochmal aufs Spiel, Nora.", sagte sie dann ebenfalls leiser, damit es kein anderer hören konnte, aber mit einer ziemlichen Ernsthaftigkeit und Bestimmtheit in der Stimme. Ein ganz bisschen tat mir ihre Aussage auch weh. Sie löste ungewollt etwas Trauer in mir aus. Doch andererseits war ich auch erleichtert darüber, denn das war ja eigentlich genau das, was ich von ihr hören wollte. Daher redete ich mir auch kurzerhand ein, dass der Teil in mir, der Erleichterung verspürte, deutlich überwiegte und verdrängte meinen vorherigen Gedanken schnell wieder. "Gut.", entgegnete ich also zufriedengestellt. "Dann bis Mittwoch.", ergänzte ich als Verabschiedung. Ich verabschiedete mich auch noch einmal kurz von Herrn Vierkant und ging schließlich wieder zurück in den Musikunterricht, wo mich Sophie schon ganz gespannt erwartete.
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(Halli Hallo, ich hoffe ihr habt einen schönen Tag :) Bei Nora und Jana scheint seit der Aussprache alles wie geplant zu laufen. Aber mal sehen, wie lange das noch anhält ;))
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Renn für mich!
Teen FictionZwei junge Damen begegnen sich zum ersten Mal bei einem Leichtathletikwettkampf. Sie lernen sich als Rivalen kennen und haben eines Gemeinsam: In der Regel gewinnen sie immer. Bei Wettkampfbeginn bemerken sie schnell die Ambitionen der jeweils ander...