Kapitel 12 - Wut

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Am Samstagmorgen ging es mir so mies wie schon lange nicht mehr. Das lag nicht nur an dem Kater den ich hatte, sondern auch an den enormen Schuldgefühlen, die mich plagten. Ich hatte die Nacht kein Auge zu bekommen, da ich so mit der Frage beschäftigt war, was ich jetzt tun sollte. Eigentlich war es klar. Ich musste es Tom sagen. Ich hatte ihn betrogen und Tom war ein zu guter Mensch, um belogen zu werden. Doch was sollte ich sagen? 'Hi Tom, ich hatte was mit meiner Lehrerin. Ja, es ist eine Frau und ich dachte ich steh eigentlich gar nicht auf Frauen, aber irgendwie ist es passiert. Und ja genau, es ist auch noch die Lehrerin, die ich so kacke fand. Aber nein, Sex hatten wir nicht, aber sie hat mich irgendwie in der Turnhalle flachgelegt.'. Das klang doch so unglaublich absurd. Egal wie ich es verpacken würde, ihm das zu erzählen würde ihn unglaublich verletzen! Er würde es nicht verstehen, weil ich es ja selbst nicht einmal verstand. Ich könnte es ihm ja nicht einmal erklären. Nach einem langen Gedankenkarussell hatte ich mich in der Nacht dazu entschieden es Tom nicht zu sagen. Ich konnte es nicht. Ich wusste selbst nicht wieso ich das getan hatte und wollte es nicht wahrhaben, also warum sollte ich ihm das erzählen, wenn wir dann nur zwei wären, die das gerne rückgängig machen wollten? Ein Teil in mir liebte Tom doch auch noch, oder irrte ich mich da? Hatte ich mir die Liebe zu Tom all die Jahre nur eingeredet, weil er derjenige war, der mich aus dem Loch geholt hatte? Das konnte doch auch nicht sein?! Ich konnte mir diese Liebe doch nicht nur eingeredet haben! Wir waren DAS Traumpaar. Alle wollten so eine Beziehung haben, wie ich sie hatte, also warum fing ich nun an daran zu zweifeln? Ich schob diese Gedanken bei Seite, denn ich hatte mich entschieden. Ich hatte mich für Tom entschieden und somit musste ich mir für die folgende Zeit erstmal wieder eine Maske aufsetzen, bis ich verdrängen konnte, was da bei der Party passiert war. Tom merkte allerdings im Verlauf des Wochenendes das etwas nicht mit mir stimmte, also musste ich mir etwas überlegen und so erzählte ich ihm von meiner Begegnung mit meinem Vater in der Zeit in der er auf Studienfahrt war und schob mein Verhalten darauf. Er reagierte natürlich verständnisvoll und besorgt, wie es ein perfekter Freund eben tun würde. Es schmerzte enorm ihn so anzulügen, doch ich wusste mir einfach nicht besser zu helfen.

Auch über zukünftige Begegnungen mit Frau Hanses hatte ich mir den Kopf zerbrochen. Wie würde ich nach diesen Geschehnissen jetzt mit ihr umgehen? Allein beim Gedanken an ihren Namen entfachte eine kleine Wut in mir. Sie hatte mich ausgenutzt. Ich war betrunken und das hatte sie ausgenutzt, um mit mir ein ernstes Gespräch zu führen. Einmal war sie ehrlich, aber natürlich auch nur dann, wenn ihr Gegenüber gar nicht richtig zurechnungsfähig ist. Und dann ist eins zum anderen gekommen und jetzt ist meine perfekte Beziehung im Arsch. Und das ist alles ihre Schuld! Damit ich sie also nicht direkt umbringe, würde ich sie einfach ignorieren. So konnte sie mir nichts und ich könnte versuchen einfach die gesamten Geschehnissen zu vergessen und meine Wut runterzuschlucken. Mit diesen Strategien verblieb ich also für's erste und hoffte sie auch genauso umsetzen zu können.

Ich hatte meine Sportsachen an und verließ zusammen mit einer 11. Klässlerin die Umkleide. Meine Laune war im Keller, weil ich gleich zum ersten Mal seit der Nacht in der Turnhalle auf Frau Hanses treffen würde. Seitdem Vorfall hatten wir keinen Kontakt mehr und in der Schule bin ich ihr weitestgehend aus dem Weg gegangen. Wir warteten einen Moment, ehe Frau Hanses auch schon zusammen mit Herrn Vierkant angelaufen kam. Als ich sie erblickte, stieg direkt eine kleine Wut in mir auf, also ignorierte ich sie schnell von der ersten Sekunde an und würdigte sie keines weiteren Blickes. Meine ganze Aufmerksamkeit galt Herrn Vierkant. Nach einer kurzen Begrüßung wurden wir dann wieder in zwei Gruppen unterteilt. Ich spürte die ganze Zeit den durchdringenden Blick von Frau Hanses auf mir liegen, doch ignorierte dies gekonnt. Vermutlich hatte auch sie einige Fragen, doch das war mir jetzt egal. Ich hatte mich für Tom entschieden und würde diese Frau nie wieder so nah an mich ran lassen. Widerwillig schloss ich mich der Läufer-Gruppe an und Frau Hanses startete mit ihrem Training. Dabei wurde das Training von Übung zu Übung intensiver und sprengte nach der dritten Übung eigentlich schon völlig den Rahmen. Die anderen Läufer waren total überfordert und auch für mich waren die Übungen extrem anspruchsvoll, trotz meiner jahrelangen Vereinserfahrung. War das ihr ernst? Bestrafte sie jetzt also die ganze Gruppe, nur weil ich ihr keine Beachtung schenkte? In mir fing es leicht an zu brodeln. "So, jetzt machen wir Intervallläufe. Wir laufen heute so lange, bis auch der letzte von euch seine Bestzeit getoppt hat, verstanden?!", kam es streng und kalt von ihr. Keiner traute sich ihr zu widersprechen und ich riss mich zusammen, es nicht zu tun. Alle hatten mittlerweile verstanden, dass sie heute eine totale Hexe war und uns nur so vor sich her scheuchen würde, doch keiner von ihnen wusste, dass diese Bestrafung eigentlich mir galt. Ich schluckte meine Wut runter und wir starteten in die Intervallläufe. Als sie schließlich bereits 10 Minuten überzogen hatte, fing ein Mädchen an ernsthafte Kreislaufprobleme von Frau Hanses Folterprogramm zu bekommen. Trainingsfortschrittsorientiert war dieses Training schon lange nicht mehr. "Nicht schwächeln, Tempo anziehen!", war ihre Reaktion auf die körperliche Überreaktion des Mädchens und dann war es mir zu viel. Ich konnte mich nicht mehr zurück halten, denn das was sie den anderen Schülern hier meinetwegen antat, ging eindeutig zu weit! Ein Junge hatte bereits nach der vierten Übung gekotzt, sich aber nicht getraut mit dem Training aufzuhören und rannte nun immer noch tapfer seine Runden. Das hier jetzt noch ein weiteres Mädchen umkippte, konnte ich nicht zulassen. Ich rannte Frau Hanses, welche vorne lief, also in den Weg, sodass diese zum Stehen kommen musste, was ihr dann der Rest der AG-Teilnehmer gleich tat. "Geht's Ihnen noch gut?! Sie haben doch nicht mehr alle Tassen im Schrank! Einer Ihrer AG-Teilnehmer kotzt und sie kümmern sich einen scheiß um ihn, jetzt kollabiert hier neben Ihnen ein anderes Mädchen fast und Sie nennen es schwach?! Das was Sie hier veranstalten ist kein Training, das ist Folter! Kein Privatleben ist so mies, dass man so 'ne Bitch sein muss!", kam es nun wutgeladen aus mir heraus. Die anderen AG-Teilnehmer sahen geschockt zu mir rüber. Wahrscheinlich hätten sie mich nicht so eingeschätzt, dass ich mich es trauen würde eine Lehrerin so anzugehen, doch in manchen Blicken konnte ich dennoch Dankbarkeit erkennen. Frau Hanses hatte ich mit meiner Aktion allerdings wohl eher nur noch mehr gereizt. "Was glaubst du eigentlich wer du bist, Nora Jakobs?! In so einem Ton mit mir zu sprechen ist unter aller Sau! Und das auch noch vor den Augen deiner jüngeren AG-Teilnehmer! Echt eine reife Leistung für eine 13.-Klässlerin! Die AG ist hiermit beendet, aber wir zwei haben jetzt noch ein ernstes Wörtchen miteinander zu reden!", kam es knallhart und brodelnd von ihr zurück. Die anderen AG-Teilnehmer machten sich schnell davon, während mein Blick noch immer verfinstert war und auf Frau Hanses ruhte. Als alle weg waren wollte sie sich gerade mir widmen und ich konnte ihre Wut von weitem spüren, doch bevor sie etwas sagen konnte ergriff ich das Wort. "Tut mir voll leid, Jana, aber ich hab leider keine Zeit für dich.", sagte ich dann kalt und warf ihr ein kleinen bedauernden, provokanten Blick zu, ehe ich mich ganz schnell davon machte. Ich konnte mir ihre Standpauke jetzt nicht geben. Das war zu viel. Ich musste mich wieder beherrschen und das ging nicht, wenn sie jetzt mit einer wutgeladenen Standpauke auf mich einpreschte. Ich musste das umgehen, damit ich noch an meinem Plan festhalten konnte, sie einfach weiter zu ignorieren.

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