12. Verhängnisvoller Versprecher

57 8 4
                                    

Das muss es sein. Aber kann das überhaupt stimmen? Ich schaue erneut auf den kleinen Zettel, auf den ich Chris' Adresse geschrieben habe.

Ich stehe unmissverständlich vor dem richtigen Grundstück, aber was ich sehe lässt mich staunen.

Nicht genug, dass sich vor mir ein riesiger Zaun mit Schnörkel und goldenen Spitzen in die Höhe erstreckt, nein, dahinter verbirgt sich ein gepflegter Garten, der einem Bonsaimuseum gleicht. Von Hecken in Form eines Tigers bis farbenprächtige Blumen ist alles dabei.

Das Haus ist nicht zu sehen. Zu viele Bäume versperren mir die Sicht, noch dazu ist der Weg sperrig beleuchtet.

Chris hat mir gestern seine Adresse gesendet, da ich ihn vor der Party dort treffen soll. Er hatte Football-Training, also hat er mich gebeten, um 20:00 Uhr bei ihm zu sein, damit wir zusammen zu Harvey's Party fahren können.

Nach dem indirekten Zusammentreffen mit Ness vor ein Paar Tagen habe ich debattiert, ob ich mit Chris auf diese Party gehen soll. Der Gedanke, dass er mir nur etwas vorspielt, verletzt mich. Allerdings beruhige ich mich mit dem Fakt, dass ich ihn mit Alison täusche. Fair game also?

Alison ist nur ein Mittel zum Zweck. Seine Absichten mit Alison können mir daher nicht egaler sein. Sobald ich genügend Infos über ihn habe, muss ich mir nie mehr die Perücke überziehen. Im besten Fall ist dies nach dem heutigen Abend der Fall.

Zuversichtlich klingel ich an dem kleinen Knopf und sofort höre ich Chris' Stimme durch die Gegensprechanlage.

»Hey«, keucht er laut in das Mikrophon. Er muss zur Anlage gesprintet sein.

»Hi, bereit für deine zweite Chance?«, sage ich verspielt.

»Um ehrlich zu sein, noch nicht. Ich bin etwas spät dran«, antwortet er und ich nicke.

»Alles klar. Ich warte hier«, versichere ich ihm. Je später wir auf diese Party gehen, desto besser. Auch wenn ich dafür alleine in der Dämmerung auf Chris warten muss. Ich befinde mich zwar in der vermutlich sichersten Gegend unserer Stadt, doch ganz wohl ist mir nicht.

»Nicht doch. Es war schon nicht gentlemanlike, dich nicht abzuholen. Jetzt kann ich dich nicht auch noch in der Kälte warten lassen. Komm rein!« Es ertönt ein Summen, dass die Entriegelung des Tors signalisiert. Meine Hand lasse ich mit einem fetten Grinsen auf die kalten Stäbe des Tors gleiten und drücke es auf.

Zufrieden gehe ich ein Stück, vorbei an einem Springbrunnen (!) bis ich direkt vor dem Haus, besser gesagt der Villa, stehe. Soweit ich weiß, ist sein Vater Vorstand in einer großen Baufirma. Dass er seiner Familie und sich einen solchen Palast baut, liegt nahe.

Erst jetzt schießt mir in den Kopf, dass Chris hier mit seinen Eltern wohnt. Werde ich sie gleich kennenlernen? Den Gedanken schlucke ich wie einen Kloß hinunter und schaue mich auf meinem Weg zur Eingangstür weiter um.

Mir ist klar, dass Chris' Familie Geld hat, aber ich habe nicht geahnt, wie massiv ihr Anwesen ist. Die Villa ist weiß und hat viele Säulen. Es erinnert mich etwas an das Weiße Haus in Washington.

Ich könnte Stunden in dem Vorgarten des Anwesens verbringen, aber in diesem Moment öffnet sich die Türe.

Zu meinem Erstaunen blicke ich nicht in das schöne Gesicht von Chris, sondern in das einer älteren Frau mit schwarzem Rock und eleganter Bluse. Da sie um die 70 sein muss, handelt es sich vermutlich um seine Großmutter.

Erpicht darauf einen guten Eindruck zu machen, streckte ich ihr meine Hand hin. »Guten Tag. Ich bin A... Alison«, stottere ich und versuche, nett zu lächeln. Mich als Alison vorzustellen, ist nach wie vor ungewohnt.

Me, my Lover and I ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt