17. Nachhilfe

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Nervös rücke ich an meiner Brille, während ich vor dem großen Tor warte. In meinem Bauch liegt ein undeutbares Gefühl. Einerseits freue ich mich, Chris zu sehen, doch andererseits krampft sich mein Magen bei dem Gedanken an ihn zusammen.

Ich habe Angst, dass meine Verkleidung nicht gut genug ist. Natürlich kann man Lillys nicht mit Alisons Style vergleichen, dennoch habe ich Angst enttarnt zu werden. Ich will mir nicht ausmalen, was passiert, wenn er die Wahrheit herausfindet. Gerade jetzt, wo Alison gestern seine Nummer blockiert hat.

Keine Panik, das wird schon!

Immerhin trage ich einen hellblauen Oversize-Pullover und diese große Brille. So würde sich Alison niemals anziehen.

Meine Stimme kann ich jedoch nicht so leicht modifizieren. Alisons Tonfall ist zwar kräftiger als Lillys, doch befürchte ich, dass mich Chris aus der Reserve lockt.

Eigentlich war das der Plan. Ich wollte Chris als Alison näher kennenlernen, um als Lilly normal mit ihm sprechen zu können. Im Moment graut es mir jedoch davor, mich mit Chris zu unterhalten.

»Hallo«, kommt es rauschend aus dem Lautsprecher und ich schrecke hoch. »Ämm, hi. Hier ist Lilly Robertson?«, antworte ich, wobei meine Worte eher wie eine Frage klingen.

»Oh... Komm rein.« Chris hört sich niedergeschlagen an, so als habe er jemand anderes erwartet. Die Tür entsperrt sich und ich gehe, ohne Zeit zu verlieren, zum großen Haus. Ich will den wunderschönen Garten bewundern, doch das lenkt mich nur ab.

Er wird es herausfinden!

Nein, nicht schon wieder dieser fiesen Gedanken. Am liebsten hätte ich die Nachhilfe abgesagt und das Schüler-hilft-Schüler Programm verlassen, doch Colleges lieben Nachhilfelehrer und ich brauche unbedingt ein Stipendium...

Chris öffnet mir die Tür und bittet mich rein. Sofort halte ich Ausschau nach Doro. Es ist keine gute Idee, ihr direkt nach meinem Namens-Fauxpas zu begegnen. Zu meinem Glück ist sie nirgends zu sehen.

Ich kann Chris nicht in die Augen sehen. Alleine das ›Hallo‹ vorhin hat Schuldgefühle in mir ausgelöst.

Auch Chris scheint in keiner Plauderlaune zu sein. Nach oberflächlichem Smalltalk kommt er auf die Nachhilfe zu sprechen: »Ist es okay für dich, wenn wir in mein Zimmer gehen? Ich habe meine ganzen Unterlagen oben.« »Ja, kein Problem«, antworte ich knapp, da die Wahrscheinlichkeit, auf Doro in der Küche zu treffen, äußerst hoch ist.

Wortlos folge ich ihm die langen Treppen nach oben und er öffnet eine Tür auf der linken Seite des Ganges.

Sein Zimmer ist gemütlich. Nicht so groß wie ich es in solch einer Villa erwartet habe, doch geräumig. An den Wänden hängen Poster mit Footballmotiven und lange Vorhänge verdunkeln die hohen Fenster.

Nachdem Chris Licht in sein Zimmer lässt, holt er einen dicken Ordner hervor. »Das sind meine Unterlagen. Ich gebe mir echt Mühe, aber stehe trotzdem auf einer Fünf«, erklärt Chris. »Wenn ich mich bis Schulschluss nicht mindestens auf eine Drei verbessern kann, dann war's das mit Football« Chris wirkt noch niedergeschlagener.

»Wie... wie wär's, wenn wir mit meinen Unterlagen lernen?«, schlage ich vorsichtig vor.

»Aber ich schreibe echt penibel mit«, antwortet er etwas gekränkt und reicht mir den Ordner.

Ich ergebe mich und werfe einen Blick darauf. Zu meiner Überraschung sind alle Blätter säuberlich eingeheftet und übersichtlich beschriftet.

»Siehst du!«, sagt er im gleichen Ton und lässt sich aufs Bett fallen. »Egal wie viel ich lerne, ich bekomm trotzdem eine Fünf. Minetta hasst mich.«

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