Mit der Finsternis im Herzen stürzte ich in einen tiefen Abgrund, meiner selbst gefangen, in der Hoffnung, dass mich jemand auffing und aus dieser Hölle herausbrachte. Doch alles, was sich dort befand, waren verbranntes Fleisch und vereinzelte Überreste der Menschen, die ich auf dem Gewissen hatte. Ich hatte den Glauben an mich selbst verloren. Es war, als wenn ich mein düsteres Spiegelbild sah. Jemand, der wehrlose Menschen umbrachte. Wieso sollte ich jemals mit meinen Feinden gemeinsam andere abgeschlachtet haben? Das ergab keinen Sinn.
"Jeder hat eine dunkle Vergangenheit. Jetzt hör auf zu jammern." Die tiefe, genervte Stimme ließ mich aufhorchen. Mit einem Mal befand ich mich wieder im Hier und Jetzt. Der Halbgott hatte mir den Zylinder wieder aufgesetzt, ehe er mit mir auf der Schulter durch das spärliche Zimmer schritt. Seine Schritte waren schwer, nicht so wie ich es von einem tänzelnden Pfau gewohnt war. Es war mehr, als wenn er selbst nach der Teleportation vor einem Richter stand, der ihn lebendig verbrannt hatte. Oder es lag an der Last, die er seit einer Weile bereits mit sich herumtrug - mit meiner Wenigkeit.
"Könntest du mich jetzt endlich runterlassen?", zischte ich ihm wutentbrannt entgegen.
"Wie du willst", hauchte er mir kraftlos entgegen. Bevor ich mein Glück fassen konnte, landete ich bereits auf den harten Holzboden. Die sandfarbenen Dielen gaben unter mir nach und knarrten bedrohlich. Eine grobe Staubschicht wirbelte durch die Luft und hinterließ ein Kratzen im Hals. Rue hustete sich ihre Seele hinaus und fuchtelte mit den Händen vor ihrem Gesicht herum. Schmerzverzerrt rieb ich mir meinen Rücken und fluchte vor mich hin. Meine Augen hatten sich auf dem Halbgott gerichtet, der den Staub von einem alten anthrazitfarbenen Sessel klopfte.
"Willst du Streit mit mir?!", brüllte ich ihn aufgebracht entgegen. Mit geballten Händen sprang ich auf und bemerkte, wie der Boden unter mir nachgab. In letzter Sekunde rollte ich mich ab und blickte schluckend auf den Punkt, an dem ich vorhin stand. Nun war dort lediglich ein Loch.
Unter uns erkannte ich eine kleine verkümmerte Küche, in dem ein Holzofen stand.
"In dieser Verfassung bist du wie ein kleines bellendes Hündchen. Fast schon niedlich, wenn man auslässt, dass es sich um deine Wenigkeit handelt." Der Halbgott saß auf seinen kleinen Thron, als würde ihm die Welt gehören. Meine Muskeln zuckten erzürnt. Es war, als wenn alle aufgestauten Gefühle hinaus wollten. Mein Körper brodelte. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, als ich mit pulsierenden Adern auf ihn zuschritt.
"Ich bringe dich um!", schrie ich meine Seele aus dem Leib. Er grinste mich diabolisch an und schnipste mit seinem Finger. Abrupt hielt ich an. Meine Beine wurden schwer. Der Kopf dröhnte. "Was zum-"
Der Zylinder drehte sich freudig und wurde größer und größer. Keuchend fiel ich auf meine Knie. Ich drohte zu kollabieren. Mein Körper triefte vor Schweiß und stank, als hätte ich mich mit Dünger eingerieben.
"Das kannst du gern versuchen, aber wir sollten uns vielleicht später vergnügen, meinst du nicht?" Den triumphierenden Klang in seiner Stimme konnte ich nicht überhören. Jede weitere Sekunde, die ich mit ihm verbrachte, ließ mich an meinen eigenen Verstand zweifeln. Normalerweise hätte ich ihn weder um Hilfe noch um eine Unterkunft bitten sollen, doch nun lag ich hier, völlig am Ende, und musste mir die Erniedrigungen weiter gefallen lassen. Es verstieß gegen meinen Stolz meinen Feind eine Angriffsfläche zu bieten, doch konnte ich nichts dagegen unternehmen.
"Wir sind in einer Stadt?" Rue hatte den rostroten Vorhang weggezogen und hustete erneut stark auf. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages fielen in die Wohnung ein. Draußen gingen bereits die ersten Straßenlaternen an, die Menschen den Schutz der Nacht brachten. Sie waren mit Magie ausgestattet, um gefährliche Bestien fernzuhalten.
DU LIEST GERADE
Was mir einst wichtig war
FantasyEine Geschichte über eine längst vergessene Welt, in der Magie, Naturgeister und Götter über die Lande geherrscht haben. Inmitten des anhaltenden Krieges zwischen Götter und Menschen macht sich der Veteran Rykar Gorian ruhelos auf dem Weg, um der Sp...