Halbgötter und Götter

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"Seine Schwester und ich existieren nur, um Lyndel unter Druck zu setzen. Dadurch können die Götter ihm alles aufdrängen, ohne dass er es abschlagen kann. Er macht ihre Drecksarbeit." Ihre Stimme entwickelte eine andere Dynamik, sodass ich glaubte, dass sie mir endlich ihr wahres Selbst entblößte. Ihr vor Wut entstelltes Gesicht zeigte deutlich, was sie davon hielt.

"Also will er gar keine Armee anführen?", fragte ich sie neugierig. Langsam begriff ich, dass ich zu schnell über eine Person geurteilt hatte, nur weil er ein Halbgott war. Dennoch würde mein Stolz mir nicht erlauben, meinen Fehler jedem zu offenbaren.

Sie schüttelte ihren Kopf und seufzte leise. "Er hasste von klein auf Gewalt. Doch Halbgötter werden nun einmal zu Soldaten, die wenn sie Erfolg haben, aufsteigen können. Während die Reinblütler von ihrem Thron aus auf sie herabschauen, stirbt einer nach dem anderen und es interessiert sie kein Stück." Ihre Hände ballten sich zu Fäusten und die Kreuze in ihren Augen drehten sich.

Schmerzhafte, brennende Stiche breiteten sich in meinem Brustkorb aus und ließen mich kaum atmen. Die Geschichte, die Unterdrückung, alles kam mir vertraut vor. Es erinnerte mich an die Szene, in der ich unschuldige Personen umgebracht hatte. Als ob ich an der gleichen Seite gekämpft hatte, aus einem besonderen Grund heraus. Aber nein, soweit ich mich erinnerte, kämpfte ich schon immer an Jikais Seite gegen die Götter an.

"Was passiert, wenn er fehlschlägt?" Meine Stimme brach ab. Ein riesiger Kloß hinderte mich daran, zu räuspern oder zu schlucken. Ich hatte das Gefühl, dass ich ersticken würde.

"Seine Schwester wird dann zum Eigentum des Befehlshaber. Er kann alles mit ihr anstellen, worauf er Lust hat. Dieser Mann ist für seine Grausamkeiten bekannt. Dennoch hegt er eine Vorliebe für Halbgötter und hegt sie wie seine teuersten Spielzeuge. Doch scheint er Frauen im Speziellen schlechter zu behandeln." Ihr Gesicht verzog keine Grimasse. Stattdessen suchte sie etwas in meinen Augen. Nachdenklich umfasste ich meine verletzte Hand und öffnete meinen Mund, um ihr von dem Fluch zu erzählen. Ich wollte mehr über Lyndel erfahren. Doch dann verstummte ich augenblicklich. Der Fluch hatte meine Gedanken vernebelt, sodass diese Frage prompt in Vergessenheit geriet.

Ihre Augen formten sich zu kleinen Schlitzen, die mich ins Visier nahmen. Ich schloss wortlos meinen Mund wieder und fuhr mir über den Kopf. Die Halbgötter wurden genauso als Abschaum angesehen wie die Menschen. Auf diesen Gedanken hätte ich eher kommen können, bevor ich Lyndel mit Feindseligkeit begegnete. Ein schlechtes Gewissen machte sich in mir breit.

"Ich weiß, was dir durch den Kopf schießt, aber er braucht kein Mitleid, denn er ist ein Narr, dass er sich alles gefallen lässt. Er denkt, dass seine Schwester schwach ist, dabei ist sie der Grund, warum er überhaupt noch lebt. Er hatte damals eine Chance zum Fliehen gehabt, hat sie aber nicht genutzt." Ihre Respektlosigkeit gegenüber ihren eigenen Cousin machte mich stutzig. Sie selbst regte sich nicht, sodass ich ihre wahre Gefühlsregung nicht erkennen konnte.

"Das stimmt nicht!", verteidigte ich ihn abrupt, "wenn er weglaufen würde, würde seine Schwester in Gefahr sein. Zudem würden sie ihn finden und töten. Er will sie nur beschützen. Selbst wenn ich keine Geschwister habe, so würde ich auch alles daran setzen, damit ihr nichts geschieht."

Ihre Mundwinkel zuckten kurz, ehe sie mehrmals mit ihren Zeigefinger auf ihrem Tisch klopfte. Es war wie ein leiser Beifall, denn ihr Grinsen wurde mit jedem Mal breiter.

"Schade, dass Lyn nicht weiß, dass du dich für dein Herzchen so einsetzt", fing sie theatralisch an, "auch wenn ich dein Helferkomplex schätze, so unterscheidet ihr euch beide beachtlich. Während er sich den Göttern beugt, ohne dass er sich versucht aufzulehnen, bekämpfst du sie, ohne vor dem Tod zurückzuschrecken. Weil das deine Art des Lebens ist."

Was mir einst wichtig warWo Geschichten leben. Entdecke jetzt