Keuchend hielt ich mir die Arme vor meinem Gesicht, um dem Schneesturm zu entkommen. Die Eiseskälte schnürte sich weiter zu. Das Atmen fiel mir schwer. Einzelne Gesichtsbereiche waren taub, andere kribbelten und loderten. Während ich weiter und weiter im Schnee versank und nur spärlich voran kam, dachte ich an den eigentlichen Ausgangspunkt zurück.
Ich fragte mich, warum ich abermals als Lockvogel verwendet wurde. Doch dann fiel es mir wieder ein und ich bereute, dass ich ihnen trotz des einmaligen Vergehens weiterhin vertraut hatte.
Ein paar Stunden zuvor:
Während wir in dem Versteck standen, überreichte ich Rue ihren fellüberzogenen Mantel, der in einem dunklen Weinrot gefärbt war. Im Gegensatz zu meinem besaß es am Ausschnitt eine karierte Schleife in Pastellrosa. Eine identische fand ich auf dem Rücken wieder. Im Gegensatz zu mir, der bereits robustes, warmes Schuhwerk trug, hatte sie knielange, weinrote Stiefel und dazu eine passend gefütterte Leggings bekommen. Die Handschuhe sowie der karierte Schal waren in der Farbe der Schleifen gehalten. Als sie sich ihre weinrote Baskenmütze überzog, standen einige Strähnen ab, weshalb ich ihr grinsend half. Beschämt blickte sie zur Seite.
An ihrer Wollmütze waren ebenfalls zwei karierte Schleifen drangenäht. Mit dieser Kleidung machte sie den Eindruck eines feinen Fräuleins, das absolut nicht auf ihren Charakter zutraf. Sie war stur, frech und launisch. Rue benahm sich ihrem Alter entsprechend.
"Wie sollen wir den Plagegeist finden? Hat jemand Ideen?" Mit diesen Worten wandte ich mich an die magischen Wesen, die mich ungläubig musterten.
"Hast du gerade versucht einen Witz zu machen?"
"Nicht lustig", brummte der Gestaltwandler empört. Ich zuckte unbeirrt die Schultern. Es war lediglich die traurige Wahrheit. Dank diesem Naturgeist kam ich erneut von meinem eigentlichen Ziel ab.
"Naturgeister können andere aufspüren." Mein Mund blieb offen stehen. Die Aussage veränderte die ganze Situation innerhalb eines Wimpernschlages. Obwohl ich ihre Anwesenheit zunächst als lästig empfunden hatte, konnten sie mir anscheinend nach all den Anstrengungen endlich nützlich sein.
"Dann gehen wir."
Abrupt drehte ich mich um meine eigene Achse, da ich den Ausgang nicht fand und räusperte mich beschämend.
"Nicht so schnell, mickriger Freund." Die Alraune hopste auf meine Schulter und schielte mich mit einem eindringlichen Blick an.
"Wirklich?", kam es irritiert von Rue. Selbst meine Wenigkeit hatte nicht mit einer liebevollen Anrede wie dieser gerechnet.
"Was ist denn, oh ehrwürdiger Waldgeist?", fragte ich feixend. Meine gute Laune kam mit der Aussage wieder, dass wir womöglich schnell den Naturgeist stellen und weiterziehen konnten.
"An deiner Schauspielkunst müssen wir noch ein wenig feilen. Vielleicht solltest du mich einfach von nun an immer so nennen." Und prompt war mir mein Frohsinn vergangen. Der Griesgram war sich für jeden Spaß zu schade. Da war eine Unterhaltung mit einem Halbgott amüsanter.
"Lieber kämpfe ich allein gegen eine Horde Götter." Die Alraune und ich fochten ein stummes Duell aus, in der wir uns stur anstarrten.
"Was du ohnehin vorhast", sagte es mir nachdrücklich, "also haben wir eine Abmachung?" Die Ernsthaftigkeit des Naturgeistes ließ mich verzweifelt aufseufzen.
"Warum können wir noch nicht losgehen?", unterbrach Rue uns, im besten Wissen, dass unsere Konversation eskalieren würde, wenn niemand uns aufhielt.
"Auch wenn wir mächtige Kreaturen haben, so müssen auch wir gewisse Richtlinien einhalten", fing der Gestaltwandler langsam an, "Naturgeister können gegen Naturgeister nichts ausrichten. Sie heben gegenseitig die Magie auf. Ihr werdet dort also auf euch allein gestellt sein."
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Was mir einst wichtig war
FantasyEine Geschichte über eine längst vergessene Welt, in der Magie, Naturgeister und Götter über die Lande geherrscht haben. Inmitten des anhaltenden Krieges zwischen Götter und Menschen macht sich der Veteran Rykar Gorian ruhelos auf dem Weg, um der Sp...