Kapitel 16

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P.o.V. Rezo

Nur wenige Sekunden später folgte ich ihm und lehnte meinen Kopf gegen ihn, um seinen Geruch tief in mich aufzusaugen. Meine Beine wirkten wie Gummi unter unser beider Gewicht, jedoch wollte ich diesen Moment noch nicht zu früh loslassen.

Fuck.

Hilflos von meinen Gefühlen übermannt krallte ich meine Hände an ihm fest, um der Realität der Situation nicht ins Auge blicken zu müssen. Doch ich konnte es irgendwann nicht weiter aufschieben und stellte ihn vorsichtig wieder auf die zittrigen Beine. Dabei behielt ich eine Hand hinter seinem Rücken, um ihn im Notfall auffangen zu können. Allerdings rechnete ich nicht damit, dass er nach vorne gegen mich sackte und sein Gesicht in meiner Schulter vergrub.

Zuerst vermutete ich Erschöpfung, bis ich kleine Tropfen spürte, die auf mein Oberteil trafen. Ein beinah unmerkliches Zittern ging durch seinen Körper, während er versuchte ein Schluchzen zu unterdrücken.

„Hey hey, alles gut," ich schlang einen Arm um ihn und schmiegte meine Wange gegen seinen Haarschopf, „es ist alles gut, schau mich an."

Wie in Zeitlupe löste er sich von meiner Schulter und sah zu mir. Die Tränen, die in seinen Augen standen, versetzten mir einen tiefen Stich ins Herz. Er setzte mehrfach an etwas zu sagen, brach aber immer wieder ab, bevor auch nur ein Laut seine Lippen verlassen hatte.

Dann räusperte er sich und ein leises Flüstern drang an mein Ohr: „Wie kann sich etwas, was so falsch ist, so verdammt richtig anfühlen? Ich versuche dagegen anzukämpfen und schaffe es nicht, weil es mich zu dir zieht und nicht zu ihr."

„Wir können nicht ändern, wer wir wirklich sind."

„Ich habe es mein ganzes Leben versucht zu ändern und doch hat es nichts genutzt."

„Dann hör auf damit. Akzeptier' wer du bist und werde endlich glücklich."

„Das wünsche ich mir so sehr, aber das wird nicht passieren. Mein Leben ist vorgeplant, darin ist kein Platz für mein wahres Ich und seine Gefühle."

„Diesen Platz musst du schaffen, denn es wird niemand für dich machen und du wirst früher oder später daran zerbrechen."

Nach diesen Worten blickte er mir so tief in die Augen, dass ich das Gefühl hatte, in seine Seele zu blicken. Dort drinnen wütete ein furchtbarer Sturm und ich begriff, was Mexi mir sagen wollte: Er war schon lange daran zerbrochen.

Seine Hoffnungslosigkeit trieb mir ebenfalls Tränen in die Augen und obwohl ich noch irgendwo in meinem Kopf abgespeichert hatte, dass er ein riesiges Arschloch war, schob ich das einfach beiseite. Sachte nahm ich seine Wangen in meine Hände und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen, der mehr einem Windhauch glich.

Sogleich klammerte er sich an mir fest wie ein Ertrinkender, der endlich aus dem Wasser gezogen wurde.

„Mach das nochmal," bat er mit einem Flehen in der Stimme, dass dem geringen Umfang der Bitte nicht ganz gerecht wurde.

Als ich mich ein weiteres Mal herunterbeugte und unsere Lippen vereinte, bereute ich sofort, was ich gerade getan hatte. Die Emotionen, die diesem Kuss innewohnten, wirkten, wie ein Zauberspruch und plötzlich konnte ich ihn nicht mehr loslassen. 

Mein Herz überschlug sich, sodass ich halb befürchtete, es gleich außerhalb meiner Brust schlagen zu sehen. Der Rat meiner Freunde war umsonst gewesen und ich hatte mich selbst belogen, denn das hatte ich von Anfang an gewusst. Mit jeder Sekunde, die ich ihn küsste, breitete sich dieses intensive Kribbeln immer weiter in meinem Magen aus, bis es sich in meine Fingerspitzen erstreckte, die weiter sein Gesicht festhielten. 

Ein lauter Knall ließ uns auseinander fahren und panisch zu der Tür schauen, die jetzt weit offen stand. Dröhnende Musik schwappte aus dem Club in die kleine Seitenstraße und zerstörte jeden Zauber, der bis eben noch in der Luft gelegen hatte. Zu meinem Pech und Mexis Glück standen dort jedoch keine besoffenen Typen, sondern Ju, Rewi und Julia, die uns mit weit aufgerissenen Augen anstarrten.

Unter meinen Fingern bemerkte ich die wachsende Anspannung meines Gegenübers und ließ beruhigend zwei meiner Finger über seine Wange gleiten. Allerdings schien das nur eine begrenzte Wirkung zu haben, da sein Körper weiterhin vollkommen erstarrt wirkte.

Zuerst fand Ju seine Stimme wieder, während die anderen uns ungläubig musterten: „Rezo bitte sag mir, dass ich mir das alles gerade einbilde und du eigentlich irgendwo besoffen über der Kloschüssel hängst."

Diese Szene in irgendeiner Form harmloser darzustellen, als sie war, hatte keinen Sinn. Mexi stand eng umschlungen mit mir dort und wirkte von außen so, als wäre er gerade beim Sex überrascht worden.

„Ich glaube ich muss dich enttäuschen Ju," antwortete ich und wagte einen kurzen Seitenblick auf Mexi, der in der nächsten Sekunde aus seiner Starre erwachte.

Panisch blickte er mir in die Augen und warf noch einen letzten Blick auf meine Lippen, bevor er etwas in mein Ohr hauchte und in der nächsten Sekunde in der Dunkelheit der Straße verschwand.

Es hatte sich angehört wie: „Es tut mir unfassbar leid." und erneut brach etwas in mir, dass ich nicht zu lokalisieren wusste, auch wenn es sich verdächtig nach einem Teil meines Herzens anfühlte.

„Verdammte Scheiße, das muss doch ein Scherz sein," die laute Stimme von Ju brachte mich mit voller Wucht in die Realität zurück.

„Was ist denn los, ich verstehe grade gar nichts mehr," Julia klinkte sich jetzt ebenfalls ein und schien noch nicht ganz begriffen zu haben, was hier passiert war.

„Unser lieber Rezo hat grade heftig scheiße gebaut," erklärte Ju und blickte dann wieder zu mir, „du Idiot, ich kann es in deinen Augen sehen, du verliebst dich in das Arschloch."

„Oh mein Gott," endlich schien Julia die Worte von Ju richtig zu deuten, „das war doch nicht dieser Mexi, oder?"

„Allerdings und er –" Ju zeigte auf mich – „hat sich gerade erneut von ihm einlullen lassen, obwohl er wusste, dass es falsch ist."

„Kommt mal alle runter," Rewis laute Stimme unterbrach die anderen, „lasst ihn doch erstmal erklären."

Damit lag das Wort wieder bei mir und bevor ich richtig nachdenken konnte, sprudelten die Ereignisse aus mir heraus: „Auf der Toilette bin Fabian begegnet, mit einem anderen Typen. Er hat mich angemacht und bevor er weiter reden konnte, bin ich einfach nur weggerannt. Da bin ich hier draußen gelandet und hab nur versucht ein bisschen klar zu kommen und dann stand er vor mir. Ich dachte, dass das nur ein schlechter Scherz sein kann, aber das war es nicht. Wir haben geredet und dann..."

Meine Stimme brach ab, während in rasanter Geschwindigkeit die Szenen des heutigen Abends vor meinem inneren Auge vorbeizogen. 

Hilflos sah ich meine Freunde an, alle weiteren Worte, die ich hatte sagen wollen, waren mir im Hals stecken geblieben. Jus Blick wurde weicher und er trat auf mich zu, um einen Arm fest um mich zu legen.

„Du bist so ein hoffnungsloser Fall, ehrlich. Komm, lass uns nach Hause gehen."

Pretty Soul •rezofyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt