Ich wusste so wage, dass sich Reims südlich von Paris befand, also gingen wir in Richtung Süden. Auf die Navigation unserer Handys war in dieser Epoche kein verlass, denn sowas wie Funkwellen waren nicht einmal erfunden worden, die uns eine Verbindung ins Internet hätte ermöglichen können. Ich hatte mal, noch in unserer Zeit, recherchiert, der Weg zu Fuß nach Reims würde ungefähr einen Tag dauern. Quasimodo ging aber nicht so schnell wie wir, das bedeutete wohl, dass wir fast 2 Tage brauchen würden. Es war ein ungewohntes Bild, außerhalb von Paris war nur die pure Natur. Wiesen und Bäume wohin man sah. Wir kamen immer wieder an Bauernhöfen vorbei oder an eine Burg, die einem Lehnsherr gehörte. In dieser Zeit gab es keine feste Straße, die nach Reims führte und auch keine Straßenschilder. Wir mussten uns unterwegs durchfragen, um uns ja nicht zu verlaufen. Als es dunkel wurde, hielten wir Ausschau nach einer Übernachtungsmöglichkeit und wir kamen an einem Bauernhof vorbei.
"Ich würde sagen, versuchen wir unser Glück.", sagte ich und klopfte dann an der Tür. Es öffnete mir ein Mann mit dunkelblonden Haaren und einer schlaksigen Figur. Seine Klamotten sahen eher aus wie die eine Zigeuners.
"Wie kann ich Euch helfen? Oh!", rief der Mann aus, als er Quasimodo sah, "Der Glöckner? Hier? Was hat das zu bedeuten?"
"Ihr kennt Quasimodo?", fragte ich und überlegte. Sein aussehen ließ eigentlich nur einen Schluss zu: "Seid Ihr etwa der Poet?", begann ich und der Mann unterbrach mich.
"In der Tat, ich bin Pierre Gringoire. Ihr habt wohl von mir gehört!", sagte er in einem stolzen Ton.
"Mehr oder weniger...", begann ich. Ich wusste, dass Gringoire neben Phoebus eine der Wenigen Hauptfiguren war, die die Geschichte überlebt hatten. Er war von Clopin mit Esmeralda verheiratet worden und hatte sich auf den hinterhältigen Plan von Frollo eingelassen, sie aus Notre Dame zu schaffen. Doch auf der Flucht riss sich Esmeraldas Ziege Djali los und Gringoire war der Ziege gefolgt. Wohingegen Esmeralda mit dem unheimlichen Priester zurückblieb, der sie letztendlich dem Galgen überantwortet hatte, weil Esmeralda ihn nicht lieben wollte. Noch in meinen Gedanken versunken trat die Ziege neugierig an die Tür und blökte.
"Djali!", sagten Jasmin und ich wie aus einem Munde.
"Ich habe Euch nie zuvor gesehen. Wer seid Ihr eigentlich?", fragte Gringoire.
"Ich bin Regina und das ist Jasmin. Wir wollen nach Reims, um Quasimodos Familie zu finden.", sagte ich.
"Seine Familie? Das ist aber ein merkwürdiger Reisegrund...", meinte Gringoire."Allerdings... Brauchen wir einen Platz für die Nacht.", sagte Jasmin.
"Oh! Natürlich! Kein weiteres Wort! Zwei junge Frauen sollten nicht im Dunkeln durch die Gegend wandern. Kommt herein. Es wird sich schon platz für Euch finden.", sagte Gringoire und ließ uns rein. Wir wärmten uns erst einmal am Feuer, denn im Februar ist es vor allem Abends noch sehr kalt. Quasimodo hingegen näherte sich der Ziege an, oder die Ziege Quasimodo... Wie auch immer, jedenfalls ließ sich die Ziege von ihm streicheln und umarmen, ohne dass sie Angst zu haben schien. Vielleicht erinnerte sie sich noch an den Glöckner, der sie und ihre Herrin Esmeralda vor dem Tode retten wollte. Quasimodo seufzte glücklich. Ich hätte niemals gedacht, ihn mit Djali so zu sehen. Offenbar klammerte er sich an alles, was ihn an die Zigeunerin erinnerte.
Gringoire reichte uns noch Brot und Käse zum Abendbrot. Er erzählte uns, dass er sich mit der Umsorgung der Ziege dazu beschlossen hatte, einen Bauernhof zu betreiben. Er war bei einem Bauern angestellt worden und lernte noch. Seine Herren schliefen bereits und hatten von unserem Besuch offensichtlich nichts mitbekommen. Er stellte Jasmin und mir sein Bett zur Verfügung. Quasimodo schlief auf dem Boden sitzend an die Wand gelehnt mit Djali im Arm und Gringoire hatte sich auf eine Bank gelegt.
Am nächsten morgen wurden wir durch ein lautes Gebrüll geweckt: "Warum sind hier Fremde?!"
Es war der Bauer, der gerade den noch halb schlafenden Gringoire am Hals packte.
"Verzeiht mein Herr!", rief ich und sprang aus dem Bett, "Wir wollen nach Reims, unsere Familie besuchen und brauchten einen Platz für die Nacht. Verzeiht, wenn wir Euch Unannehmlichkeiten bereitet haben!"
Der Bauer sah mich einen Augenblick schweigend an. Dann blickte er zu Jasmin, die nun hinter mir stand und dann fiel sein Blick auf Quasimodo.
"Was ist das für eine Ausgeburt der Hölle?!", fluchte der Bauer.
Quasimodo schlief noch. Weil er ja taub ist, hörte er den Tumult gar nicht. Der Bauer ließ Gringoire fallen und stürmte dann auf Quasimodo zu.
"Halt! Nicht!", rief ich erschrocken und wollte dazwischen gehen, als Quasimodo langsam den Kopf hob. Die Ziege, die auch durch das Gebrüll des Bauers wach geworden war, hatte sich aus Quasimodos Umarmung befreit und hatte sich in die hinterste Ecke gekauert.
Quasimodo sah den Bäcker vor sich stehen, ein Mann wie ein Bär. Quasimodo aber ließ sich davon nicht beeindrucken. Er erhob sich langsam. Sein Auge funkelte böse, als der Bauer sich von ihm abwandte und auf Regina losgehen wollte. In Quasimodo war plötzlich dieser Impuls, das nicht zuzulassen. Er musste sie vor der Wut des Bauern schützen und stürmte auf den Bauern zu. Er warf den Mann mit Leichtigkeit zu Boden und boxte auf ihn ein, bis er einen festen Griff um seinen Arm spürte, der gerade zum erneuten Hieb ausholen wollte.
Er sah auf und blickte in das verängstigte Gesicht von Regina. In ihren Augen standen Tränen. Sie schüttelte den Kopf und wollte ihm klar machen, dass sie gehen sollten. Quasimodo knurrte. Er wollte diesen Bauern nicht so davonkommen lassen, er wollte eine wehrlose Frau angreifen. Doch Regina zog an seinem Arm, so fest sie konnte. Regina und Jasmin waren Frauen mit Rubensfiguren und etwas kräftiger als die normal gebauten Frauen. Daher war es Regina möglich, Quasimodo von dem Bauern wegzuziehen, auch wenn es viel Kraftanstrengung gekostet hatte. Quasimodo atmete tief aus und erhob sich dann. Er ließ sich von Regina aus dem Haus ziehen. Als sie ein paar Meter vom Haus entfernt waren, wurde auch Pierre Gringoire aus dem Haus geworfen, mit der Ziege. Er hatte einige Blessuren abbekommen und richtete sich recht wackelig auf, während die Ziege schon vor gelaufen war und zu den 3 Reisenden gerannt war. Fröhlich blökend lief sie um sie herum. Quasimodos Herz hüpfte vor Freude bei dem Anblick der Ziege. Sie war immerhin Esmeraldas treue Ziege gewesen. Sie hatte die Zigeunerin überallhin begleitet und war für ihn die letzte lebende Erinnerung an sie.
Der Poet wankte noch unsicher auf sie zu und kratzte sich verlegen am Hinterkopf: "Das wars dann wohl mit dem Bauerndasein..."
"Tut uns echt leid.", sagte Regina und ließ den Kopf hängen.
Quasimodo sah ihr das Bedauern an und sagte: "Arbeit gibt es überall."
Gringoire grinste und fragte: "Ihr habt nichts dagegen, wenn ich Euch begleite?"
"Nein keineswegs. Je mehr desto besser.", sagte Jasmin. Regina nickte ihm zu und Quasimodo war es ziemlich gleichgültig. Er wollte nur auf die beiden Frauen aufpassen und so schnell wie möglich zurück nach Paris. Alles andere war nicht von Belang für ihn. Gringoire nahm das Seil der Ziege, dass in einer Schlinge locker um ihren Hals hing und dann folgte er ihnen nach Reims.
DU LIEST GERADE
Der Glöckner und ich
FanfictionParis 1482. Der Glöckner von Notre Dame hat alles verloren was ihm je etwas bedeutete. Er ist fest entschlossen, diese Welt zu verlassen, die ihm nichts mehr zu bieten hat. Doch anstatt neben Esmeralda zu sterben, erwacht er in einer völlig fremden...