Das Geheimnis im Tannenwald

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Als die Sonne hinter den tiefhängenden Wolken hervorkam erkannten Sanna und Leda, dass es bereits Mittag war. Sie hatten sich von den Hufspuren entfernt und steuerten zielstrebig den Wald an. Er schien so nah zu sein und doch waren sie in ihrer menschlichen Gestalt noch einige Stunden unterwegs. Die Erschöpfung durch das ungewohnte Reisen und der fehlende Schlaf hatte sie ihrer Kräfte und ihrer Motivation geraubt. Sanna konnte an nichts anderes denken, als ein lauschiges Plätzchen, an dem sie ihren Schlaf nachholen konnte. Sie sehnte sich so sehr in die Hütte ihrer Eltern zurück, auf das weiche Lager aus Laub und Moos und dem Bärenfell ihres Vaters. Sanna hätte alles dafür getan, um zurückzukehren.

Inzwischen wehte ein sanfter Wind und als beide endlich Wasser witterten, hob sich ihre Laune wieder. Schon bald stießen sie auf einen Fluss, an dem sie sich waschen und rasten konnten. Während Sanna am Ufer einen Teil ihrer Kleidung wusch, ging Leda die Umgebung erkunden. Sie kam mit einem prall gefüllten Tuch von Flusskrebsen zurück, die sie sich im Schutz des Flussbettes brieten.

Mit vollen Bäuchen sah ihre Situation schon weniger aussichtslos aus.

„Wir haben ihn bald erreicht", sagte Leda und warf den Kopf eines der Krebstiere in das Erdloch, dass sie eigens für die Beseitigung ihrer Spuren gegraben hatten. „Und dann suchen wir uns einen geeigneten Platz, um zu übernachten."

„Dann könnte es schon dunkel sein", gab Sanna zu bedenken und befühlte die Kleidung, die sie über einen umgestürzten Stamm zum Trocknen gehängt hatte.

„Vermutlich", sprach ihre Schwester ernst, „vielleicht bleiben wir ein paar Tage dort und legen uns zunächst ein paar Vorräte an. Ständig zu hungern ist keine Hilfe."

„Wie wahr", bestätigte Sanna und brach die letzte winzige Krebsschere auf, um an das Fleisch zu gelangen.

Ledas Fang hatte gereicht, um das Knurren ihres Magens zu besänftigen, nicht jedoch um ihren Hunger zu stillen.

Als sie sich zum Aufbruch fertig machten, begruben sie die Schalenreste im Sand, erstickten das Feuer und Sanna sammelte die noch klammen Kleidungsstücke ein. Sie nutzten den umgeworfenen Baumstamm, um den Fluss trockenen Fußes zu überqueren und setzten ihren Weg fort.

Als sie den Waldrand erreichten, stand die Sonne bereits so tief, dass sie die Stämme der mächtigen Tannen zu einem roten Farbenmeer machte. Doch das Licht drang nicht tief in den alten Wald hinein. Die immergrünen Nadelbäume standen dicht an dicht und der Boden war mit Farnen, Sträuchern und Moosen bedeckt. Nach dem langen Weg durch die offene Landschaft, fühlten sich Sanna und Leda endlich sicher und geschützt.

Die neuen Düfte und Geräusche waren interessant und weckten ihre Geister und es gab hier essbare Pilze und Pflanzen, die sie sammeln konnten. Aber die Dunkelheit zog unbarmherzig ihren Mantel über den Wald und schon bald suchten sie nach einem Rückzugsort. Ihre Augen waren gut an die Finsternis angepasst, doch das Licht des Mondes drang nicht durch die Zweige der Tannen durch. So schritten sie vorsichtig heran und verließen sich auf die anderen Sinne.

Als Leda plötzlich stehen blieb, sah Sanna nur ihre dunkle Silhouette.

„Riechst du das auch?", fragte sie flüsternd.

Sanna hob den Kopf etwas und spitzte die Ohren. Als ihr die Fährte in die Nase stieg, schauderte sie unwillkürlich.

„Menschen", stellte die Jüngere fest. „Was sollen wir nun tun?"

„Wir gehen ihnen aus den Weg", sagte Leda entschlossen und ging nach rechts.

Sanna folgte ihr ohne Aufforderung und schloss zu ihr auf.

Keiner der beiden sah in der Dunkelheit das getarnte Seil der Falle zu ihren Füßen. Leda spürte zwar kurz einen Widerstand an ihrem Knöchel, doch als das surrende Geräusch hinter ihnen ertönte, war es bereits zu spät.
Plötzlich war alles schwarz.

Die Flamme MajorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt