Wissen ist Macht: Ein Blick in die Vergangenheit

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Maltrice stand am Fenster ihrer Kemenate und schaute hinüber in den Westflügel. Dort sah sie ihren Schüler, im Studierzimmer über alten Aufzeichnungen brüten. Er hatte den Ehrgeiz seiner Mutter geerbt, ihr Talent, aber auch seine anzügliche Arroganz.

Es war bereits Jahre her, seit Maltrice ihn das letzte Mal gelehrt hatte. Inzwischen war er ihr weit voraus. Eine bittere Medizin, die sie schlucken musste. Sie hatte gehofft den hilflosen Burschen, durch Obhut und Strenge nach ihren Vorstellungen zu formen. Doch der Wille des Knabens war wie ein ungestümes junges Pferd mit ihr durchgegangen, hatte sie abgeworfen und auf dem staubigen Boden zurückgelassen.

Major war seiner Mutter ähnlicher, als es Maltrice lieb war. Seine Strebsamkeit, der Fleiß und der furchtbare Ehrgeiz. In all den Jahren, in denen er bereits hier war, hatte er sicherlich alle Bücher der Bibliothek gelesen. Zudem hatte er sie inzwischen erweitert und tat dies immer noch.

Womit er sich gerade auseinandersetzte, interessierte sie schneidend. Major besaß zwar durch seine Magie Macht, doch Maltrices Waffe war stets ihr Wissen gewesen. Nicht das Wissen aus den Büchern, sonder das Wissen über andere.

„Womit beschäftigt Ihr Euch?", fragte sie, nachdem sie zu dem jungen Magier hinübergegangen war.

Sie beugte sich über eines der aufgeschlagenen Bücher und was sie sah, überraschte sie. „Völkerkunde?"

Major antwortete nicht, was Maltrice sehr verärgerte. Ihr Herz begann einen Takt schneller zu schlagen und sie blätterte zu Ablenkung weiter. Die Lesebänder stets im Fokus. „Völkerkunde ... verschwundene Rassen ... Man sollte meinen, Ihr hättet genug mit den Herausforderungen der Gegenwart zu tun."

„Belehrt mich nicht, Maltrice", warnte Major scharf, ohne jedoch von seinen Pergamenten aufzusehen.

„Die Oger schlagen den Orks in Eurer Einheit die Schädel ein", zischte Maltrice und wandte sich vom Schreibtisch ab. „Mit so einem disziplinlosen Heer gewinnt man keine Schlachten. Ihr müsst sie räumlich trennen!"

„Das ist Sache der Generäle."

„Dann benennt bessere Generäle!", forderte Maltrice, die nun am Fenster stand und hinab in den Hof blickte.

Die Kreaturen, die dort inzwischen einhergingen, waren ihr zuwider, doch Major selbst, hatte ihnen die Möglichkeit geschaffen zu bleiben. Ein ausgeklügelter Wetterzauber lag über der Festung, der einen stets für die Sonne undurchdringlichen, dichten und rauchähnlicher Nebel erzeugte. Perfekte Gegebenheiten für die Kreaturen der Nacht.

Maltrice wusste nicht, was der junge Magier mit dem Rekrutieren all dieses Abschaums bezwecken wollte. Es war ihr bisher auch noch nicht gelungen, es selbst herauszufinden.

Sie wandte sich erneut zu Major um, der sie wieder ignorierte. Interessiert sah sie zu den Notizen, die unter ihm lagen und in der er eine Reihe von Zaubern zusammenfasste.

Sie hätte zu gerne gewusst, was er damit vorhatte.

„Wozu lasst ihr den alten Turm an der Klamm wiederherstellen?", fragte sie stattdessen und war um einen freundlicheren Ton bemüht.

„Weil ich ihn benötige", antwortete Major mit einem Anflug von Ärger.

„Warum benötigt Ihr ihn?"

Der Magier steckte seinen Federkiel in die dafür vorgesehene Halterung. Betont langsam wandte er sich Maltrice zu und sah sie an. Seine harten grauen Augen trafen auf ihre blauen. Sie spürte die Ungeduld und die Anspannung darin, hielt dem jedoch stand.

„Ihr haltet mich von meiner Arbeit ab", sprach Major gedehnt und mit Nachdruck.

Maltrice spürte das Pochen ihres Blutes in den Ohren. Sie spürte auch, wie ihr Atem schneller wurde, doch sie schluckte jedes Anzeichen von Zorn herunter. Stattdessen setzte sie ein falsches Lächeln auf und neigte in gespielter Demut den Kopf.

„Guten Tag", sagte sie.

Dann wandte sie sich um und noch während sie seinen Blick im Rücken spürte, verfluchte sie sich selbst für ihre Torheit, für ihre Milde und auch für ihre Ignoranz und überließ Major wieder seinen Studien.

Er und seine Mutter, waren sich so unglaublich ähnlich.


Du verreist?"

Die Frau, die ihr gegenüberstand und die Satteltaschen füllte, sah ihr selbst verblüffend ähnlich. War vielleicht nur einige Jahre jünger. Der Ausdruck, in ihrem Gesicht jedoch war hart und verständnislos.

„Tu nicht so überrascht, Schwester! Ich sehe dir an, dass dich nicht der Zufall herführte."

„Welche Absicht denn, liebe Schwester?", flötete die andere.

„Heuchelei, Täuschung, Neugier? Sag du es mir!"

Das falsche Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden und sie sah einige Sekunden wortlos zu, wie die Jüngere die Tasche verschloss. Das Amulett mit dem liegenden Tropfen hing ihr dabei senkrecht vom Hals.

„Du hast mir nie erzählt, von wem du dieses Schmuckstück erhalten hast", sagte sie mit einem Blick darauf, „noch, wer das Gegenstück dazu trägt."

„Das wirst du auch nie erfahren", antwortete Lianda scharf. „Hast du keine eigenen Interessen, den du nachgehen könntest?"

„Allerdings", sprach Maltrice etwas zu schnippisch, „und diese haben mich in die Stallungen geführt und da sah ich den Stallburschen, wie er deine Stute zurechtmacht." Sie legte eine kurze Pause ein. „Wie lange wirst du fort sein?"

„Nicht lange genug, dass du in Versuchung geraten könntest, das Zepter an dich zu reißen!", antwortete ihre Schwester kalt und ging hinüber zur Frisierkommode.

Die Ältere knirschte wütend mit den Zähnen. Seit Kindertagen waren sie Rivalinnen gewesen. Doch schon während ihrer magischen Grundausbildung hatte sich herausgestellt, dass die jüngere der beiden mit mehr Talent und mehr Potenzial gesegnet worden war.

Schon immer hatte Maltrice hilflos im Schatten ihrer Schwester gestanden und tat dies selbst heute noch, nachdem sie erwachsen waren. Lianda war es, welche die absolute Befehlsgewalt über die Festung und deren Besatzung hatte. Lianda war es, welche die Fäden zog und sie war auch diejenige, die das Sagen hatte.

Sie hasste und verabscheute ihre Schwester dafür.

Maltrice entschied sich dazu, alles auf eine Karte zu setzten und fragte: „Wirst du zum Vaillanc reisen?"

„Hüte deine Zunge!", fuhr Lianda sie an. „Und verlier kein Wort mehr darüber!"

Eine Reaktion sagte manches Mal mehr, als es Worte je tun konnten. Maltrice lächelte nur siegessicher. Eine abtrünnige Magierin im Turm der Erzmagier war für manch einen eine lukrative Information.

Die Flamme MajorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt