Die Legende um Chrysoryd

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Die nächsten Tage verliefen ähnlich. Den Tag über wanderten sie gen Osten, um ein großes Gebirge zu umgehen und verließen sich dabei auf die Führung von Avis. Sie reisten abseits der Straßen, um so wenig Menschen wie möglich zu begegnen. Am Abend rasteten sie. Leda verschwand häufig, kam jedoch nach einiger Zeit wieder. Manchmal brachte sie ein Kaninchen mit, manchmal auch Kunde von der Umgebung.

Sanna machte ihr Zustand angst. Die Alleingänge ihrer Schwester zusammen mit ihrer Wortlosigkeit waren vollkommen neu für sie. Sie sorgte sich um ihr Verhältnis und darüber, dass Leda Sanna schon bald mit der Wahrheit konfrontieren würde.

Vielleicht kam der Zorn erst nach der Trauer. Immerhin waren sie erst seit wenigen Wochen heimatlos. Irgendwann, würde der Moment kommen, an dem all die Frustration und die Verbitterung aus Leda herausbrechen würden.

Sanna fürchtete diesen Tag.

„Könnt ihr die Sprache jedes Tieres sprechen?", fragte Avis und riss sie damit aus den Gedanken.

Sie saßen gemeinsam an einem Feuer und Sanna wartete abermals auf die Rückkehr ihrer Schwester.

„Sie sprechen nicht", versuchte, sie zu erklären, „nicht mit Worten, wie wir es tun. Manche sprechen mit ihrem Körper, andere über ihren Geruch. Aber ja, wir verstehen es. Noch besser, wenn wir wie sie sind."

„Wie groß ist euer Dorf? Gibt es viele von Eurem Volk?", wollte er wissen.

„Nicht groß. Ein paar kleine Hütten. Ganz anders, als Eures", erzählte sie. „Es gibt einige Stämme. Die Männer wechseln sie manchmal, doch dann kommen sie nie wieder. Wir kennen ihre Wege nicht. Was tut Euer Volk nun ohne ein Oberhaupt?"

Avis legte ein Stück Holz auf das Feuer, bevor er antwortete: „Es gab eine Zeremonie, in der mein jüngerer Bruder gekrönt wurde. Er trägt nun die Verantwortung, falls ich nicht zurückkomme ..."

„Nicht zurück?", fragte Sanna und war sich nicht sicher, ob sie ihn verstanden hatte.

Er starrte nur ins Feuer und die züngelnden Flammen spiegelten sich in seinen dunklen Augen wider.

„Wenn sich meine Vermutungen bestätigen, werde ich zunächst nicht nachhause zurückkehren", sprach er ernst, „sondern weiterziehen."

Als Sanna darauf nicht antwortete, fügte er lächelnd hinzu: „Ihr werdet Euren Weg auch ohne mich finden."

„Das werden wir", sprach eine Stimme hinter Sanna.

Sie brauchte sich nicht umzuwenden, um ihre Schwester zu erkennen. Leda kam zu ihnen und setzte sich ans Feuer. Sanna gab ihr ihren Anteil von dem Fasanenfleisch ab, dass sie ihr aufgehoben hatte. Leda brachte eine bedrückende Stille mit sich und schließlich sprachen sie nicht mehr miteinander. Die Ältere zog sich ihr Fell um die Schulter und verkroch sich in den Schutz eines Ginsters. Sanna folgte ihr und schmiegte sich an sie.

Avis beneidete sie in den kalten Nächten und legte sich noch etwas Holz auf das Feuer, damit es länger nachglühen würde, denn unter freiem Himmel zu schlafen war der König des Tannenwaldes nicht gewöhnt.

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Die Flamme MajorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt