Die Rückkehr in die Trümmer

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Die Sangotinnen waren noch nie so schnell gereist. Die ælfischen Rösser verfielen auf der offenen Fläche in einen flotten und sehr komfortablen Viertakt. Auch das Benutzen der menschlichen Straßen erleichterte ihre Reise. Avis rastete nur widerwillig, doch die Rösser machten es deutlich, wann sie ruhen wollten und das gab ihnen auch die Gelegenheit zu schlafen.

Avis fiel das Ruhen schwer. Rastlos erwachte er immer wieder. Vergewisserte sich dann über das Wohlbefinden der Rösser und hielt etwas Wache.

Als er vorsichtig ein Stück Holz auf das verglimmende Feuer legte, erwachte auch Sanna.

„Ihr schlaft schon wieder nicht", stellte sie fest und setzte sich zu ihm.

„Ich muss immer an meinen Bruder denken", sprach Avis mitgenommen, „und in welcher Not ich ihn zurückließ."

„Ihr konntet es nicht wissen", sagte Sanna sachte.

„Nein", gab er traurig zu, „doch das mildert die Umstände nicht."

Sie schwiegen etwas und Avis sah zum Horizont, weil er sehnlichst den Sonnenaufgang erwartete.

„Was werdet ihr tun, wenn wir in Abietia ankommen?", fragte er Sanna plötzlich.

Leda dachte einen Moment lang nach, bevor sie antwortete: „Wir werden Euch helfen, wenn wir es können."

„Und danach?"

Sie wusste, worauf er hinauswollte, doch es widerstrebte ihr, es auszusprechen.

„Werdet Ihr Euren Stamm aufsuchen?", hakte Avis nach.

„Leda wird es tun wollen", sprach Sanna, „um zu erfahren, wie es ihnen geht."

„Und was wollt Ihr?", fragte Avis ernst und sah sie an.

Sanna erwiderte den Blick nur kurz und schaute dann auf die hungrigen Flammen, die das Stück Holz auffraßen.

„Ich", sagte sie leise und spürte das ziehen ihres Herzens, „ich ..."

Sie sprach es nicht aus, denn just in diesem Moment wachte Leda auf. Sie richtete sich auf und zog sich den ælfischen Umhang enger um die Schultern. Auch ihr Blick ging zum Horizont.

„Es beginnt zu dämmern", stellte sie fest. „Wir sollten die Reise fortsetzen."

Sie aßen zuvor von den verbliebenen Vorräten und gaben auch den Rössern davon, bevor sie sich wieder in die Sättel schwangen. Die Sonne begrüßte sie mit ihren warmen und wundervollen Strahlen. Es erwärmte Sannas Herz und taute für eine Weile lang die Ängste und auch die Sehnsüchte auf. Dieses Gefühl war jedoch nur von kurzer Dauer.

Als der Tannenwald, in dem Avis' Heimat lag, in der Ferne in Sicht kam, waren auch die Rauschwaden und verbrannten Bäume zu erkennen. Avis bat sein Pferd um Eile und die drei Rösser verfielen in einen so schnellen Galopp, dass Sanna sich am Sattel festkrallen musste. Doch am Waldrand blieben sie stehen und ließen sie absteigen. Avis sah nicht zurück. Atemlos lief er in die Dunkelheit der Bäume hinein und verschwand darin. Sanna und Leda hatten Mühe, die Pferde ihrer Zäumung und des Sattels zu entledigen. Als als es geschafft hatten, verabschiedeten sie sich mit einem dunklen Brummeln und trabten davon.

Leda sah ihnen nach, doch Sanna war bereits in den Wald gelaufen, ohne auf das Rufen ihrer Schwester zu hören.

Avis' Fährte zu folgen war einfach. Der Weg war breit und das Unterholz zerstört. Sie kamen an einen Wall aus angespitzten Holzstämmen, doch auch er war durchbrochen. Der Geruch von Tod und Blut lag in der Luft. Leda hielt angewidert inne und Sanna wandte sich zu ihr um.

„Wir müssen ihm folgen", flehte sie verzweifelt.

„Das ist keine gute Idee!", gab Leda zu bedenken.

„Bitte, Leda", sagte die Jüngere eindringlich, „er hat uns den ganzen Weg über begleitet und er hat uns vor dem Magier beschützt."

„Der sein Bruder war", sagte die Sangotin kritisch. „Es könnte gefährlich dort sein und wir sind fast zuhause!"

Sanna sah sie voller Unverständnis an, dann traf sie eine Entscheidung, die ihrer beider Leben verändern sollte. Sie kehrte Leda den Rücken und trat durch den Wall hindurch, um nach Avis zu suchen.

Leda kaute ungehalten auf der Zunge, folgte dann jedoch ihrer Schwester.

Was sie vorfanden, übertraf alles, was sie bereits im Ælfenreich gesehen hatten. Die Menschen hatten weder die militärische Macht noch das Können besessen, die Angreifer abzuwehren und in Schach zu halten. Als die Soldaten durch das Tor gebrochen waren, konnten einige von ihnen in den Wald flüchten. Die meisten wurden jedoch getötet. Ihre Häuser hatte man niedergebrannt und so viel zerstört, wie es möglich war. Nun glich die Stadt einem Totenbett.

Mit zittrigen Knien ging Sanna zwischen den Überresten hindurch. Das Weinen der Menschen, verzweifelte Schreie und auch schmerzerfülltes Stöhnen lag noch in der Luft. Überall waren Tote. Darunter Frauen, Kinder, Greise.

Sie erblickte Avis auf einem großen Platz und lief zu ihm hin. Er kauerte am Boden und in den Armen hielt er einen jungen Mann, dessen Ähnlichkeit mit ihm nicht von der Hand zu weisen war.

Avis weinte und drückte den leblosen Körper an sich.

Sanna ließ sich neben ihm Boden sinken und nahm ihn tröstend in den Arm.

„Mein Bruder", schluchzte er heiser. „Ich habe sie alle im Stich gelassen."

„Ihr habt die Überlebenden gerettet", hielt Sanna sanft dagegen.

„Mein König?" Erst jetzt erkannte sie den Mann, der neben ihnen stand.

Es war der Hauptmann Havseid. Auch er war von der Schlacht gezeichnet. Das Blut aus seinen Wunden war bereits getrocknet und er wirkte erschöpft und müde.

„Wir sollten ihn einem Priester übergeben", sprach er ernst. „Er wird die Ehre erhalten, die ihm zusteht."

Avis konnte nur nicken. Klammerte sich jedoch auch noch an den Leib seines Bruders, als zwei Männer zu ihnen kamen, um den toten Körper auf eine Trage zu legen.

„Lasst ihn los", bat Sanna liebevoll. „Haltet mich, stattdessen."

In seiner Trauer gefangen tat er es und sein Schluchzen zerriss, Sanna das Herz, doch sie hielt ihn, bis Avis zu sich kam. Der leere Blick seiner Augen ängstigte sie für einen Moment, aber als er sie ansah, war wieder Leben darin.

Seine Hand berührte vorsichtig ihr Gesicht und sie legte ihre eigene auf seine rauen kalten Finger. Für ein paar Atemzüge lang, schien die Welt stillzustehen.

„Mein König?", sagte Havseid erneut.

Avis löste sich von Sanna und erhob sich schwerfällig.

„Ihr seid wohlauf, Havseid?", fragte Avis und sein Gegenüber nickte schlicht.

Dann fiel Avis ihn in den Arm und klopfte ihm erleichtert auf den Rücken. Als sie einander losließen, sagte Havseid: „Wir sind froh, dass Ihr wiedergekehrt seid, mein König. Wir konnten nicht viel ausrichten, nachdem sie durch den Wall brachen. Beinahe hätten wir die Schlacht verloren, wenn uns die Zentauren nicht zur Hilfe geeilt wären."

„Sioux?!" Avis wandte sich suchend um.

„Sie sind bereits wieder fort", erklärte Havseid. „Das Heer hat bei dem Durchmarsch eine Stute und ihr Fohlen getötet und sie wollten Vergeltung an jenen die die Schutzlosen gemeuchelt haben."

„Wir sind ihnen zu Dank verpflichtet", sprach Avis ernst.

„Das sind wir, Herr", bestätigte Havseid. „Welche Neuigkeiten bring ihr mit?"

„Der Magier Major ist tot", sagte Avis.

„Dann habt Ihr ihn besiegt?"

„Nicht ich", erwiderte der König eindringlich und wandte sich zu den beiden jungen Frauen um und lächelte. „Sondern sie."


Die Flamme MajorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt