- Viviiiii! Ich dachte schon, du kommst nie an!
Merle sprang mir förmlich in den Armen, als ich in die Kabine kam. Es war heute mein erster Tag beim VfL und ich war unglaublich nervös, zum Glück kannte ich schon einen Teil der Mannschaft, darunter Merle, mit wem ich schon Jahre lang befreundet war. Ich sah mich kurz um, bevor ich anfing mich umzuziehen.
- Sie ist noch nicht da, sagte Merle, als sie meinen Blick sah.
- Was, wer ?
Ich war wohl nicht sehr überzeugend, denn meine beste Freundin lachte.
- Tue ruhig weiter so, mir kannst du nichts verheimlichen.
- Wir haben uns zwei Jahre nicht gesehen.
- Und am Spiel letztes Jahr? In Essen, da habt ihr euch ja den ganzen Abend angestarrt! Das war kaum auszuhalten.
- Halt die Klappe, da kommt sie.
Zwei junge Frauen traten in die Kabine. Lena und... Jule. Sie sah immer noch so umwerfend aus, wie in meinen Erinnerungen.
- Vivi! Schön dich zu sehen!
Lena drückte mich kurz und dann stand ich vor Jule. Sie umarmte mich schräg und auf einmal kamen die ganzen Gefühle wieder hoch.Zwei Jahre früher
Es war der letzte Abend der Ferien, ich war mit Freunden noch ein letztes Mal am Strand, Jule war auch dabei. Wir schauten uns die ganze Zeit an, wie schon den ganzen Sommer eigentlich. Ich wusste, wenn wir zu zweit sein würden, würden wir reden müssen. Nein. Wir mussten sofort reden.
Sofort, als uns keine mehr sehen konnte, drückte sie sich gegen mich und küsste mich zart. Als wir uns lösten, hielt ich sie weiter fest und schaute in ihren Augen. Sie sah so wunderschön aus.
- Was wird das jetzt? fragte ich leiser. Ich muss morgen zurück nach Essen, du nach Hoffenheim, was... Was bleibt von dem, was wir hier haben?
- Ich... Ich weiß es nicht.
- Ich mag dich, ich mag dich wirklich viel. Aber ich weiß nicht mal, was es für dich bedeutet.
- Ich mag dich auch, glaube ich.
- Glaubst du?
Ich musste lachen, sie war so süß.
- Es ist nur, du bist ein Mädchen, 'ne Frau, und dazu noch 'ne Freundin.
Ich ließ sie auf einmal los. Hatte sie das gerade wirklich gesagt?
- Na und?
- Naja, meine Eltern... Die Leute...
- Jule! Du bist Fußballerin, sie mal die Frauen um dich herum, da sind andere Lesben und queere Menschen um dich herum. Du wärst nicht die erste und auch nicht die letzte!
- Ich weiß es! Ich bin einfach noch nicht so weit.
- Oh.
- Es ist das erste Mal, dass ich mich verliebe, ich weiß einfach nicht, wie ich damit umgehen soll, ich bin nicht dazu bereit. Es tut mir so leid.
- Dann gehe ich mal. Danke für diesen Sommer.
Ich drückte Jule nochmal ganz fest, sie vergrub ihren Gesicht in meinen Hals, bevor ich zurück zum Strand ging.
September 2023Heute war unser erstes Ligaspiel, mein erstes Spiel für den VfL. Ich wusste, dass ich in der zweiten Halbzeit eingesetzt sein sollte, und ich war schon aufgeregt. Jule spielte von Anfang an.
Ich kam in der 54. Minute für Ewa rein. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Jule mir den Ball warf, zehn Minuten vor Abpfiff, und ich schoss es ins Tor. Wir jubelten, und die hübsche Blondine sprang mir in den Armen. Ich war komplett verwirrt, als ich ihre Arme um mich fühlte, und sie schien es zu merken, denn sie entschuldigte sich schnell.
- Sorry, wenn es dich überfordert hat, sagte sie leise, während wir zurück auf unsere Plätze gingen. Ich hätte wissen sollen, dass es dich stören würde.
- Hat es nicht.
- Können wir später reden? Es ist weder der Ort noch der gute Moment, aber es ist wichtig.
Ich nickte nur, bevor das Spiel weiterging.Ich ging immer mit dem Bus zurück nach Hause, auch heute. Ich bin bis zur Bushaltestelle gelaufen, da wartete Jule schon auf mich.
- Ich dachte mir, ich begleite dich einfach. Du hast gut gespielt.
- Du auch, ohne dich hätte ich das Tor nicht geschossen.
- Ach was. Auf jeden Fall, das nennt man ein gelungenes Debüt.
Es war leichter, mit ihr zu reden, als ich es gedacht hätte. Es gab Momente, wo ich nicht wusste, was ich von all dem denken sollte, und Jule ging es anscheinend genauso. Als wir bei mir ankamen, war ich noch nicht bereit, sie gehen zu lassen.
- Willst du noch reinkommen?
- Ich will nicht stören.
- Tust du nicht. Wir wollten doch noch reden, oder?
Sie sah auf den Boden.
- Oder doch nicht? Jule, sieh mich an, wir müssen ehrlich miteinander sein, wenn wir zusammen spielen sollen. Wir sind jetzt im gleichen Verein, wir können nicht so tun, als... Ich weiß doch auch nicht.
- Kann ich rein?
Ich ließ sie im Flur rein und wir gingen beide im Salon.
- Es tut mir leid, wegen der Umarmung von vorhin. Ich habe nicht nachgedacht.
- Es muss dir nicht leid tun. Ich muss aber wissen, wo ich bei dir liege.
- Wie meinst du das?
- Ok, ich fange an, ich werde einfach mal ehrlich sein. Vor zwei Jahren, im Sommer, es war... unglaublich. Es war ein bisschen wie ein Traum, und dann... Dann hast du mir das Herz gebrochen.
- Vivi...
- Nein, lass mich bitte aussprechen. Ich war echt verletzt, aber jetzt verstehe ich es. Es wäre schlecht gelaufen, eine Fernbeziehung hätte uns beiden wehgetan.
- Lass mich jetzt reden. Ich habe dich verletzt, und das werde ich mir nie verzeihen. Ich war nicht bereit, ich wollte mich nur auf meine Fußballkarriere konzentrieren, ich hatte Angst, was meine Eltern sagen würden und ich hatte Angst vor den Gefühlen, die ich für dich hatte. Aber jetzt bin ich bereit. Ich weiß nicht, wie es für dich ist, aber die Gefühle sind noch da. Naja, ich hatte sie ein bisschen vergessen, die zwei Jahre, wo wir keinen Kontakt hatten, aber als ich gesehen habe, dass du zu uns kommst, wusste ich, dass ich mir selber nicht mehr aus dem Weg gehen kann.
- Du willst mich immer noch?
- Natürlich! Und ich weiß, dass ich jetzt wahrscheinlich zu spät bin, aber ich muss es dir sagen, weil wir ja gesagt haben, dass wir ehrlich zueinander sind.
- Du bist nicht zu spät!
Ich grinste übers ganze Gesicht, als ich einen Schritt auf sie zuging und sie in meinen Armen zog.
- Heißt das, du willst es versuchen? fragte sie.
- Na klar! Ich habe dann doch nicht umsonst zwei Jahre um dich getrauert!