Kapitel 14

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Javier

Geduldig sein war noch nie meine Stärke. Das wusste ich seit klein auf. Dieser Makel hielt bis heute an. Ich bemerkte es. Ich hasste es. Man konnte die Ungeduld nicht mit dem Zwang alles richtig machen zu wollen und die Kontrolle zu behalten, vergleichen. Die beiden Eigenschaften waren sogar wichtig für das Leben, welches ich führte. Die Ungeduld hingegen wurde mir schon öfters zum Verhängnis. Gepaart mit meinem Temperament wurde die Sache schnell mal explosiv. Das lag in der Familie.

Zurzeit tat ich exakt drei Dinge. Auto fahren, mit meinen Fingerspitzen auf dem Lenkrad herumtippen und immer wieder auf das Armaturenbrett schauen, da dort auf dem Navigationsgerät stand, wie lange wir noch ungefähr bis zur Ankunft brauchten.

Mittlerweile sollten wir in keinen 30 Minuten mehr ankommen. Dadurch stieg das Kribbeln in mir an. Wir fuhren nicht an irgendeinen Ort, wo wir tagelang blieben, sonst hätte ich niemals so reagiert. Mit meinen 28 Jahren war ich schon in vielen Ländern. Darunter mehrfach, insbesondere in meiner Kindheit in dieser Villa.

Sie war nicht der Luxus, den man von reichen Menschen wie meiner Familie erwartete. Kein Fünf-Sterne-Hotel in den Malediven oder sonst wo. Sondern eine eher altmodische Villa im spanischen Stil auf dem Land, die über die Jahre renoviert wurde.

Abgeschottet von der Außenwelt konnte man seinen Urlaub in der Sonne genießen. Man war umgeben von Feldern, vereinzelten Bäumen und einem Ausblick, den man in Ruhe genießen konnte.

Gemeinsam mit meiner Schwester Issi entdeckte ich mit zehn Jahren einen Platz, den nur wir kannten. Bei Sonnenuntergang wurde er magisch - ihre Worte. Ich stimmte ihr nie zu, obwohl ich ihr gedanklich zustimmte.

»Du verheimlichst mir etwas.« Es war keine Frage, die mir Aurelia stellte. Sie nahm anhand meines für mich nicht typischen Verhaltens an, dass ich ihr etwas verschwieg. Ich nahm meinen Blick von der Straße und schaute zu ihr. Sie hatte mich beobachtet. Vermutlich schon eine längere Zeit. »Ich verheimliche dir nichts.«

»Ist das so, ja. Wieso benimmst du dich dann so eigenartig?« Sie zog ihre rechte Braue in die Höhe. Sie lernte von mir. In Rekordgeschwindigkeit. Bald konnte sie nicht nur mich gut einschätzen.

»Ich freue mich einfach nur, dir zu zeigen, wo ich meist einen Monat in den Sommerferien und vorher verbracht habe.« Bis heute verstand ich nicht, was meine Eltern auf diesem Anwesen so besonders fanden, weshalb wir jedes Jahr hierher kamen. Natürlich war der Ort perfekt für eine große Familie, nicht zu vergessen, wirklich schön, aber das waren andere Orte auch. Da musste mehr dahinter stecken.

»Du freust dich? Seit wann freust du dich über Sachen. Erst recht über ein Anwesen.« Ich zuckte einmal mit meinen Schultern. »Das ist nicht einfach ein Anwesen. Ich habe hier teilweise mit meiner Familie meine Sommer verbracht. Meine Eltern finden irgendwas an dieser Villa besonders. Das hat sich mit den Jahren auf uns, ihre Kinder übertragen«, erklärte ich ihr. »Jetzt hast du mich neugierig gemacht.«

Ich konzentrierte mich wieder auf die Straße. Stille kehrte ein. Nur die leise Musik aus dem Radio gab dem Inneren des Autos Geräusche.

Nach dem Rest der verbleibenden Minuten, die sich wie Kaugummi zogen, fuhren wir das letzte Stück zu unserem Ziel entlang.

Das Anwesen hatte kein Tor und keinen Zaun. Kaum jemand verirrte sich nach hier oben auf den Berg. Gäbe es dann trotzdem einen Zaun oder eine Mauer, würde dadurch der friedliche Anblick zerstört werden.

»Wow«, hörte ich Aurelia begeistert sagen. Fasziniert schaute sie sich das Gebäude an. Wenn sie schon so guckte, fielen ihr drinnen und im Innenhof die Augen aus. Das Grundstück, auf dem wir momentan noch lebten, war ein echter Hingucker, nur fehlte da genau das, was es hier gab. Das Offene, die Freiheit. In den USA wurde aus Sicherheitsgründen das gesamte Anwesen eingemauert. Durch die ganzen Bäume sah man nichts davon. Genau wegen diesen fühlte man sich aber teilweise wie im Wald. Nur der eigentliche Garten machte das wett.

Hier Wachpersonal zu haben wäre von Vorteil, doch ich bezweifelte, dass etwas passierte. Wren wir im Sommer hier, gab es trotzdem welche. Bei irgendwann 11 Kindern, darunter Teenagern, die gerne mal Unfug bauten und ihre kleineren Geschwister zum Ärger anstifteten waren sie immer hilfreich gewesen. Wenn Kinder aus dem Nichts ruhig wurden, wusste man, etwas stimmte nicht.

Ich hielt vor dem Eingangsbereich. Wie gestern schnallte sich meine Frau augenblicklich ab, riss die Autotür auf und sprang förmlich aus dem Auto.

Schmunzelnd tat ich ihr um einiges langsamer nach. Wie einfach sie zu begeistern war. Ich nahm mir vor, ihr irgendwann die Tage Issi und meinen Ort zu zeigen. Ich konnte das Glitzern in ihren Augen schon vor mir sehen.

»Das ist doch ein Reitstall. Gibt es hier Pferde? Ich wollte schon immer mal reiten.« Fragend schaute sie zu mir. Mit einem anzüglichen Grinsen auf dem Gesicht antwortete ich: »Nein, aber du kannst mich liebend gerne reiten.«

»Javier!« Röte schoss in ihr Gesicht. Wie ich das liebte. Wie ich sie liebte. Trotzdem würde sie über ihre Strafe nicht hinwegkommen. Darauf freute ich mich zu sehr. Ein klein wenig sadistisch war ich dann doch veranlagt.

»Komm, ich will dir alles zeigen.« Zuallerletzt unser Schlafzimmer.

JAVIER - Das Schicksal hält uns zusammenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt