Kapitel XXII: Angreiferin und Beschützer

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„Das muss der Zimmerservice sein." Automatisch war ich ebenfalls zur Gebärdensprache gewechselt. Coopers spürbare Anspannung hatte bereits auf mich abgefärbt. „Ich hatte ihn bestellt, damit sie die Scherben beseitigen."

„Nein, die sind bereits gegangen, kurz bevor ich zu dir gekommen bin."

„Vielleicht haben sie etwas vergessen..."

„Nein, garantiert nicht." Cooper fasst in die rechte Tasche seiner Jogginghose und stutze kurz, ehe er resigniert die Augen schloss. „Verdammt, ich hab mein Handy im Wohnzimmer liegen lassen. Keine Wunder, dass wir nicht gewarnt wurden."

„Gewarnt? Von wem?"

Cooper achtete nicht auf mich. Stattdessen heftete er seinen Blick auf seine Reisetasche in der Nähe des Schranks. Für einen Moment schien er mit sich zu ringen, ehe er eine Entscheidung traf.

Warte hier. Bleib in Deckung."

Ich bekam keine Gelegenheit für eine Erwiderung. Cooper hatte sich bereits erhoben und rannte geduckt quer durch das Zimmer hinüber zu seiner Tasche. So leise wie möglich öffnete er den Reißverschluss und oben auf seinen Klamotten lag ein schwarzer Beutel. Gezielt griff Cooper danach, öffnete ihn und zog etwas ebenfalls Schwarzes heraus. Ich schluckte schwer und eine Schweißperle rann meinen Rücken hinab, als ich erkannte, was er in der Hand hielt - eine schlanke Pistole und einen Schalldämpfer. Mit gezielten Bewegungen hatte er den Schalldämpfer innerhalb weniger Sekunden aufgeschraubt. So wie er die Waffe hielt, hatte er nicht nur Erfahrung im Umgang mit Schraubenzieher und Inbusschlüssel. Sein Griff war fest und sicher und zeugte davon, dass er wusste, wie er die Pistole handhaben musste.

In dem Moment, als er sich erhob, hörte ich ein leises, fast lautloses Klicken. Es halte wie ein Kanonenschuss durch den stillen Raum. Die Schlafzimmertür wurde vorsichtig geöffnete.

Cooper und ich erstarrten. Unsere Blicke trafen sich quer durch das Zimmer hinweg und ich sah kurz ein Haufen von Gefühlen in den moosgrünen Augen aufblitzen, bevor sie kalt und emotionslos wurden - bereit für den Kampf. Er gab dem Beutel einen kräftigen Stoß, damit er über das helle Parkett zu mir herüber schlitterte und vor meinen Füßen zum Liegen kam. Dann wandte er sich endgültig der Tür zu, erhob sich und schoss.

Ängstlich zuckte ich bei dem mir nur allzu vertrauten Geräusch zusammen und mein Herzschlag nahm deutlich an Tempo zu. Plötzlich war ich wieder siebzehn, stand erstarrt auf der ausladenden Treppe ins erste Obergeschoss der Villa meiner Tante und blickte Fassungslos auf das zersplitterte, blutbesprenkelte Glas der Eingangstür auf dem gefliesten Boden des Foyers. Dort wo eben noch Matteo lachend von unserem kleinen Schlagabtausch gestanden und die Tür geschlossen hatte, um auf Arbeit zu gehen, war nun nichts mehr zu sehen.

Zehn Herzschläge brauchte ich, bis ich mich aus der Schockstarre gelöst hatte und die Stufen zur Tür hinab rannte. Panisch rief ich dabei immer wieder seinen Namen. Glas kratzte unter meinen Schuhsohlen. Die Tür ging ohne Probleme nach innen zu öffnen und gab den Blick auf die blutgetränkten Steine davor frei. Ungeachtet jeder Gefahr für mein eigenes Leben viel ich schluchzend auf die Knie, drehte Matteo auf den Rücken und versuchte durch meinen Tränenschleier hindurch etwas zu erkennen. Ein tiefer, herzzerreißender Schrei entrang sich meiner Kehle, als ich das blutige Loch in seiner Stirn sah. Nicht groß und doch so vernichtend. Mehr hatte es nicht gebraucht, um einen so tollen Menschen aus dem Leben zu reißen und ihm für immer sein letztes Lächeln auf die toten Lippen zu bannen. Einzig ein Schuss aus dem Hinterhalt in den Hinterkopf war dafür nötig gewesen.

Nein, energisch schob ich die Erinnerungen beiseite und konzentrierte mich auf das hier und jetzt, so etwas würde ich nicht erneut zulassen. Ich würde keinen geliebten Menschen mehr unter die Erde bringen. Nicht, wenn ich dieses Mal die Möglichkeit zum Handeln hatte. Ich würde es um jeden Preis verhindern.

Er beschützt sieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt