Kapitel 19

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Ich starre ihn, wie alle anderen am Tisch fassungslos an.
Was für eine schreckliche Geschichte. Schon zuzuhören ist grausam, aber er hat sie erlebt.

Natürlich kennen wir als Werwölfe den Krieg in dieser oder einer vorangegangenen Generation, aber es ist keineswegs wie früher als wir uns gegenseitig wie Tiere vernichtet haben nur um unsere Territorien zu vergrößern. Inzwischen gibt es Bündnisse mit Regelungen und Voraussetzungen die vorhanden sein müssen um ein anderes Rudel angreifen zu dürfen. Tut man es ohne Zustimmung des Rates muss man mit den Konsequenzen aller anderen Rudel rechnen.

Aelia wimmert in meinem Kopf und auch ich fühle wie die Tränen von meinem mitleidsschweren Herzen in meine Augen wandern.
Armer Fenris, ich wünschte ich könnte ihn in die Arme nehmen und irgendwie trösten. Aber das geht nicht, nicht hier, nicht vor meinem Vater. Mein Vater. Wut mischt sich in mein Mitleid. Warum musste er ihn dazu zwingen es zu erzählen und damit nochmal zu durchleben! Ich starre ihn wütend an bevor ich mich über Gedankenrede mit meiner Familie verbinde, jedoch nur meinem Vater anspreche.

'Ist es das was du hören wolltest? Bist du nun zufrieden? Du siehst selbst wie sehr ihn das ganze mitnimmt. Können wir es damit gut sein lassen?'
Der Alpha meidet meinem Blick und selbst meine Mutter sieht bedrückt auf ihr Essen. Zu meiner Überraschung ist es mein Bruder der die Stille durchbricht.

"Scheiße man."
Nicht sehr redegewandt aber scheinbar ausreichend, denn ich merke wie Fenris sich unter meiner Hand ein wenig entspannt.
"Alter was für eine heftige Geschichte. Wenn ich mir vorstelle, dass ich Samuel dabei zusehen müsste wie ihm - wie er - ich weiß nicht ob ich das packen würde."

Wahre Worte von Alex. Leider habe ich irgendwie das Gefühl, dass das noch nicht die ganze Geschichte von Fenris war.
Trotz allem freue ich mich zutiefst für Samuel, dass er einen so guten Freund in Alex hat. Er wird ihm sicher einmal ein guter Beta werden.
Als ich merke wie Fenris sich wieder ein wenig aufrechter hinsetzt und meine Hand fester drückt wende ich meinen Blick von den zwei Jungs mir gegenüber hin zu dem Mann zu meiner rechten.
Er macht wieder einen gefassteren Eindruck.

Erneut wende ich mich an meinen Vater. 'Magst du nicht vielleicht auch was sagen? Du hast ihn schließlich erst in diese Situation gebracht.' Endlich sieht er mir in die Augen und ich meine einen Hauch Mitgefühl in Kombination mit einer Entschuldigung daraus lesen zu können.

Er räuspert sich, bevor er sich an Fenris wendet. "Es ist schrecklich, dass du das in so jungen Jahren schon durchleben musstest. Ich habe gehört, dass der Alpha deines Rudels selber noch sehr jung war."
Guter Anfang, mieserables Ende. Kann er es nicht einfach gut sein lassen?

Doch Fenris scheint neuen Mut gefasst zu haben auch wenn seine Stimme noch immer belegt ist.
"Das war er. Er war 27, ein Jahr älter als ich. Er war wie ein Bruder für mich."

Er ist 26 Jahre alt? Damit ist er fünf Jahre älter als ich!
'Na und, warum juckt dich das?' Ja, warum juckt mich das. Fünf Jahre sind für Werwölfe ein Hauch von Nichts und doch bin ich davon ein wenig eingeschüchtert.
'Zurück zum Thema Soraya, es geht hier gerade nicht um dich meine Liebe.' Aelia hat ja recht, deshalb konzentriere ich mich wieder auf das Gespräch.

Erneut ist es mein Bruder der sich zu Wort meldet. "Voll heftig, ehrlich man. Ich finds voll bewundernswert wie du damit umgehst. Ich hoffe ich komme nie in eine ähnliche Situation, aber wenn doch, dann will ich genau so stark sein wie du."
Hört hört, welch weise Worte von meinem kleinen Bruder. Vielleicht wird das ja doch noch was mit Posten des Alpha. Ich bin ehrlich beeindruckt und lasse ihn das auch mit einem anerkennenden Nicken wissen.

Auch die anderen am Tisch scheinen das ähnlich zu sehen, denn der Fokus ist von Fenris auf Samuel gerückt. Der braucht ein bisschen bis er es merkt, wirft dann jedoch genervt die Hände in die Höhe. "Was ist denn schon wieder? Hab ich was falsches gesagt oder was?"

Vielleicht ist es eine Art Übersprungsreaktion aber ich finde die Situation gerade so komisch, dass ich nicht anders kann als in Lachen auszubrechen. Meiner Mutter scheint es ähnlich zu gehen, denn auch sie beginnt zu lachen und kurz danach stimmen alle am Tisch, zu meiner Freude selbst Fenris, mit ein. Nur mein Bruder blickt verwirrt drein.

"Alles gut Bruderherz, wir sind nur nicht gewohnt, dass du so weise Worte von dir gibst." Ich zwinkere ihm zu woraufhin er mir lachend die Zunge raus streckt.

Dankbar darüber, dass die Situation nun entschärft ist nehmen alle ihr Besteck in die Hand und fangen wieder an zu essen. Das Gespräch wendet sich nun unverfänglichen Themen zu.
Meine Mutter erzählt von der Idee den Brunnen am Markt zu sanieren, mein Vater spricht von seinem letzten Poker-Abend und mein Bruder unterhält sich mit Alex. Ich beobachte mit Freude wie Fenris sich hier und da in die Gespräche einbringt und wieder zu seiner entspannten Art zurück findet.

Beim Nachtisch erzählt Melina, dass der Gehilfe ihres Bruders sich das Bein gebrochen hat und nun einige Tage ausfallen wird. Ihr Bruder betreibt den kleinen Supermarkt bei uns im Rudel und der Gehilfe ist für die Auslieferungen der Bestellungen zuständig.
Bei den Kunden die sich ihre Lebensmittel nach Hause liefern lassen handelt es sich vorallem um Alte, die trotz der übernatürlichen Heilung langsam gebrechlich werden und Alleinstehende die den ganzen Tag arbeiten.

Meine Mutter schlägt Samuel vor, dass er diesen Job für die paar Tage übernehmen könnte, doch mein Vater ist der Meinung das sei kein Job für einen angehenden Alpha und er müsse sich außerdem auf seine Schule konzentrieren.
Meine Mutter hält dagegen, dass ihn das dem Rudel näher bringen würde, wenn er sich mit dem ein oder anderen unterhalten müsse.

Als sich plötzlich Fenris zu Wort meldet blicken ihn alle überrascht, mein Bruder erleichtert an.
"Ich kann das machen. Ich würde mich gerne dafür bedanken, dass ihr mich hier aufgenommen habt. Und für die Klamotten und das Essen."

Ich bin stolz auf ihn, auch wenn mir das gar nicht zusteht.
Mein Vater scheint beeindruckt und ich habe das Gefühl, dass sein Blick auf Fenris plötzlich weicher und weniger kritisch ist.
Meine Mutter ist begeistert.

"Du musst uns nichts zurück geben, aber ich finde das ein tolles Angebot von dir! Damit müsste dein Bruder doch einverstanden sein, oder was meinst du Melina?"
"Aber natürlich! Ich werde dich ihm morgen gleich vorstellen. Danke Fenris."
Er grinst zufrieden vor sich hin und ich bin einfach glücklich. So schlimm das Abendessen angefangen hat glaube ich doch, dass sich nun alles zum Guten wenden wird.

Die Gefährtin des BetaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt