Kapitel 34: Noah

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"Noah? Warte kurz."

Ich wollte eigentlich nur zurück zum Internat. Die letzte Stunde war überstanden und ich hatte es endlich geschafft Joel abzuhängen. Den ganzen Tag über hatte er an mir gehangen wie eine Klette und mir versucht Gespräche über Fenchel und Pastinaken anzudrehen, aber ich hatte ihn so gut es eben ging ignoriert. Das mit der Freundschaft musste ich mir wirklich nochmal überlegen. Er war schon jetzt ziemlich anstrengend und ich konnte den Platz von Colin wirklich nicht einnehmen. Irgendwie schaffte er es immer eine gewisse Begeisterung für Joel und seine Ideen zu entwickeln, aber bei mir ging das nicht. Er würde mit seiner Limonade und dem Fenchelsaft definitv keine Marktlücke schließen.

"Noah? Wo bist du denn in Gedanken?" Plötzlich war Ava neben mir und riss mich aus meinen Gedanken. Ich schaute zu ihr und wusste nicht so richtig was sie jetzt wieder von mir wollte. Seit unserem Gespräch am Abend der Party, hatten wir nicht wieder miteinander geredet. Ich dachte kurz an den Abend zurück. Bei ihr hatte ich mich ein wenig geöffnet und über meine Gefühle und Ängste im Bezug auf Colin mit ihr geredet. Irgendwie hatte sie es geschafft zu mir durchzudringen und mir war bewusst geworden, wie sehr ich Colin in meinem Leben vermisse und brauche. Es war der Abend, an dem ich mich später mit Colin ausgesprochen und versöhnt hatte. Ava hatte mir einen Schubs in die richtige Richtung gegeben und es hatte auch echt gut getan mit jemandem zu reden. Sie war kein schlechter Mensch und strahlte eine innere Ruhe aus. Sie konnte gut zuhören und Gespräche in die richtige Richtung lenken. Außerdem schien sie eine gute Menschenkenntnis zu haben.

"Bei Fenchel." Gab ich kleinlaut zu und sah auf den Boden. Sie hob belustigt eine Augenbraue. Es war keine Lüge. Für einen kurzen Moment hatte sich der Tag mit Joel in meine Gedanken geschoben, aber eigentlich waren meinen Gedanken den ganzen Tag bei Colin gewesen. Ich wollte so schnell wie möglich wieder zu ihm. Wollte wissen ob es ihm etwas besser ging. Ich hatte mich bewusst gegen eine Nachricht entschieden, denn vielleicht schlief er ja und ich wollte ihn nicht aufwecken. Ich hatte nie verstanden, wie eine einzelne Person sich in die Gedanken schleichen kann und dann nicht mehr aus dem Kopf gehen will. Die Menschen, die den ganzen Tag nur an eine Person denken konnten, hatte ich auch nie verstanden. Jetzt verstand ich das alles. Colin war seit Wochen pausenlos in meinen Gedanken und jetzt umso mehr. Er war krank und ich wollte bei ihm sein. Die letzte Nacht neben ihm war, trotz der extremen Wärme und den drei Decken, echt schön gewesen und ich hatte es genossen ihn im Arm zu halten und so nah bei mir zu spüren.

"Ist Fenchel jetzt ein neues Codewort für Colin?" Ich konnte die Neugier und Belustigung in ihrer Stimme hören, trotzdem konnte ich mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen und das bekam sie natürlich mit. Sanft stieß sie mit ihrer Schulter gegen meinen Arm und lächelte sanft. "Ich hab schon mitbekommen, das ihr euch wieder versöhnt habt. Ich denke da habe ich gute Arbeit geleistet. Du brauchtest diesen Schubs in die richtige Richtung. Ihr beide seid voreinander weggelaufen und das war nicht schön anzusehen." Ich sah sie kurz verwundert an. Sie hatte uns offensichtlich wirklich eine ganze Weile beobachtet bevor sie sich dann eingemischt hat.

"Aber warum hast du das gemacht... also... mit mir geredet? Ich war nicht gerade immer freundlich zu dir und du hast ja auch eigentlich nichts damit zu tun. Als eine Freundin von Julia, hättest du ja auch auf Colin's Seite sein können und mich genauso hassen können wie Julia es getan hat... oder vielleicht immer noch tut. Ich war immerhin der Idiot und bin weggelaufen. Ständig." Keine Ahnung warum ich das gesagt hatte, doch ihr Kopfschütteln deutete mir schon an, das sie mir da definitiv nicht zustimmte.

"Ich weiß zwar nicht was da genau zwischen Colin und dir passiert ist, denn Julia hat da auch immer in Rätseln gesprochen und obwohl sie die Wahrheit kennt, hat sie Colin zuliebe das ganze nie jemand anderem erzählt. Es war nur immer ziemlich offensichtlich, dass zwischen euch nichts mehr rein platonisch und freundschaftlich ist. Eure Blicke, die Gesten und die Nähe, die ihr irgendwie immer gesucht habt. All das machte das wohl doch ziemlich offensichtlich. Ihr habt ganz bestimmt beide Fehler gemacht und nicht nur du, aber ich finde man sollte seine Gegenwart und Zukunft nicht von der Vergangenheit kontrollieren lassen. Ich wollte, das du das irgendwie verstehst." Sie hörte kurz auf zu sprechen und sah mich von der Seite an. Ich spürte die Wärme, die in meine Wangen stieg. Waren wir wirklich schon so lange so offensichtlich gewesen? Ich hatte das alles nie so richtig wahrgenommen. Jeder Blick und jede Geste hatte sich immer so selbstverständlich und normal angefühlt. Wie immer war sie in Begleitung von ihrem Fahrrad und schob es neben sich her, als ich sie kurz ansah. Auf ihrem Gesicht lag ein Schmunzeln. Sie hatte die Röte in meinen Wangen also definitv bemerkt, kommentierte es aber nicht. "Weißt du Noah, ich weiß wie sehr Erlebnisse aus der Vergangenheit uns kontrollieren können und wie einfach es ist alles nur negativ zu sehen, aber wenn etwas gutes passiert und uns neue Türen öffnet, dann sollte man nicht immer weglaufen, denn manche Dinge passieren nur einmal im Leben und dann wirst du es immer bereuen, wenn du die Chance nicht ergriffen hast. Manchmal kann es auch eine Person sein, die uns neue Türen öffnet." Ihre Stimme klang sanft und logisch. Ich war die ganze Zeit nur neben ihr her gelaufen und hatte zugehört. Es war ein schöner Tag und obwohl Schulschluss war, war es ziemlich ruhig auf unserem Weg. Ich hatte das Schulgebäude so schnell verlassen, wahrscheinlich schneller als die meisten anderen. Der Grund war die Flucht vor Joel gewesen und der Wunsch endlich wieder bei Colin zu sein.

Stay... | Wenn ich weiß, was Liebe ist, dann nur wegen dir... || NolinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt