Kapitel 45: Colin

171 9 1
                                    

"Noah, wir warten. Ich bin sicher du hast viel Zeit investiert und nichts wofür du dich schämen musst."

Die Stimme unserer Lehrerin klang ruhig, aber irgendwie auch fordernd. Mein Blick schweifte zu Noah. Er war ruhig, viel zu ruhig und das war kein gutes Zeichen. Unter dem Tisch hielt ich noch immer seine Hand und er klammerte sich krampfhaft an meiner fest. Ich wusste, dass er gerade mit sich selbst kämpfte und darüber nachdachte, wie er am besten aus der Situation rauskam. Mittlerweile hatten sich auch die meisten unserer Mitschüler zu uns umgedreht und das bedeutete noch mehr Aufmerksamkeit, die Noah einfach nur hasste. Jeder schien auf irgendwas zu warten. Joel sah mich fragend an, fast so, als ob er davon ausging, dass ich wusste, was als nächstes passieren würde, aber auch ich wusste es nicht. In solchen Momenten, konnte Noah wie eine tickende Zeitbombe sein. Er könnte sich beruhigen und überwinden, aber die Gefahr, dass er irgendwas dummes tun würde, war in diesem Moment gerade viel höher. Beruhigend strich ich mit meinem Daumen über seinen Handrücken, doch ich spürte wie angespannt und verkrampft er war. Sein Schweigen hing schwer in der Luft und ich wusste nicht, ob und wie ich die Situation beruhigen konnte.

"Noah?" Wieder die Stimme der Lehrerin. So langsam begann sie strenger und ungeduldiger zu klingen. Langsam hob Noah den Kopf, den er bis jetzt gesenkt hatte und auf sein Tablet gestarrt hatte. Sein Blick traf den der Lehrerin. Ich beobachtete die ganze Situation und was ich sah, gefiel mir überhaupt nicht. Seine sonst so strahlenden blauen Augen, waren dunkel und kühl. All die positiven Emotionen waren daraus verschwunden. Ein bisschen erinnerte mich dieser Blick an seine ersten Wochen auf dem Einstein, denn auch da hatte er diesen Blick einige Male gehabt. Er zeigte damit, dass er in diesem Moment überhaupt nicht hier sein wollte und am liebsten abhauen würde. Da ich damit rechnete, festigte ich meinen Griff und hielt seine Hand nur noch fester als ich es sowieso schon tat. Ich wollte nicht, dass er sich damit wieder einmal unnötigen Ärger einhandelte. Am Ende würde es wahrscheinlich sowieso nichts bringen, denn ich hatte schon einmal bemerkt, wie schnell er war und wie viel Kraft er hatte, wenn er wirklich wütend war und weg wollte, aber einen Versuch war es wert. Damals nach den Gespräch mit seinem Vater, wollte er auch einfach nur weg und hatte mich einfach mitgezogen, aber ich hatte mich auch nicht dagegen gewehrt, denn auch ich wollte weg aus der angespannten Situation zwischen den beiden.

"Ich werde das nicht vorlesen." Seine ruhige, aber emotionslose Stimme durchschnitt nach einer gefühlten Ewigkeit die schwere Stille im Raum. "Ich habe ihnen doch schon gesagt, dass sie mein Leben und meine Gefühle nichts angehen. Sparen sie sich die Mühe, denn von mir bekommen sie nichts." So eiskalt hatte ich seine Stimme schon lange nicht mehr erlebt. Ich sah in ihm plötzlich wieder den Noah, der ganz am Anfang mit niemandem etwas zu tun haben wollte und entweder nie da war oder sich im Unterricht mit seiner großen Klappe nur Ärger eingehandelt hatte. So ganz hatte er dieses Verhalten also nicht abgelegt, auch wenn es in den letzten Wochen und Monaten ein bisschen so aussah und er nur selten noch so heftig reagiert hatte.

"Und warum sollte ich für dieses Verhalten eine Ausnahme bei dir machen? Das wäre eine Belohnung, aber seit Wochen verhältst du dich unverschämt in meinem Unterricht, Noah. Du verlässt einfach den Raum, kommst zu spät und ich bekomme nur freche Antworten von dir." Ihre Stimme klang vorwurfsvoll und bestimmt. In Noahs Augen blitzte die Wut wieder auf und seine Lippen presste er so zusammen, dass da nur noch eine schmale Linie war. Die tickende Zeitbombe, die mein Freund gerade war, war offensichtlich kurz davor zu explodieren.

"Ich kann doch meinen Text vorlesen." Keine Ahnung warum ich das tat, aber es erschien mir als der Versuch, die ganze Situation zu retten und die Aufmerksamkeit der anderen von Noah auf mich zu lenken. Die Lehrerin schaute zu mir und war eindeutig überrascht, doch auch Noah sah kurz zu mir. Unsere Blicke trafen sich und in dem dunklen blau seiner Augen, welches mich in diesem Moment an den dunklen Himmel vor einem Unwetter erinnerte, blitzte trotzdem der Funke von Dankbarkeit auf und seine Mundwinkel zuckten leicht, aber so, dass man es kaum bemerkte, wenn man nicht genau hinsah.

Stay... | Wenn ich weiß, was Liebe ist, dann nur wegen dir... || NolinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt