Ethan sprang so schnell in den Fahrstuhl, dass ich ihn kaum mit den Augen verfolgen konnte; dabei war die Tür nicht einmal richtig offen. In dem Moment, in dem mich ebenso Alex hineinstieß, trat auch er eilig hinter mir und ich hörte parallel das eilige Drücken des Knopfes, sodass die Türen schneller zugingen. Ich war mir nicht sicher, ob uns Daryl tatsächlich gesehen hatte. Wenn nicht, dann war das Glück auf unserer Seite, denn ich war mir sicher, dass er mich nicht nur besuchen wollte. Ich konnte diesen Mann nicht mehr einschätzen.
Die Trauer über die Vergangenen Jahre verwandelten sich nun in Wut. Keine Ahnung, ob es daran lag, weil ich seit diesem Moment kein richtiger Mensch mehr war. Allerdings war das besser so. Ich konnte mich nicht an etwas festbeißen, was nie eine Zukunft bekam. Außerdem wollte ich die Vorkommnisse, dass ich mich ihm so hingab und er mir den Verstand raubte, vergessen. Nein. Ich hasse ihn, ging mir durch den Kopf. Wenn er das wahrmachte, was er sagte, war davon auszugehen, dass er mich bis an mein Lebensende verfolgte und wenn nicht, ließ er mich an seinen Gedanken nicht teilhaben. Wie es in ihm innerlich aussah, behielt er für sich.
Allerdings war sein Hass so enorm gegenüber mir geworden, dass ich mir sicher sein konnte: Er lässt mich tatsächlich nicht in Ruhe. Und wenn er nicht allein auftauchte, dann war ich sicherlich dazu verdammt wieder eingesperrt zu werden oder gar Schlimmeres. Ich konnte wahrhaftig froh darüber sein, dass ich nicht allein war und Hilfe bekam, denn auch, wenn sich mein Körper verändert hatte und es dieser noch immer tat, konnte ich mich kaum bewegen. Mir tat alles weh und der Schmerz in meinem Oberkörper war so einschränkend, dass ich auch ohne Gips niemals hätte flüchten können.
Schweiß trat auf die Stirn von Ethan, der noch immer wie ein Wilder auf dem Knopf herumdrückte. Ich wusste nicht in welcher Etage wir uns befanden und ließ meinen Blick geradeaus schweifen. Etage vier. Das war nicht gut. Wenn Menschen ebenso weiterhin in den Fahrstuhl stiegen und Nolan uns hatte doch gesehen, war es vergebens. Daryl müsste lediglich die Treppe nehmen und unten auf uns warten. Wir liefen ihn somit in die Arme und machten es ihm leichter, als er wahrscheinlich annahm.
Als sich die Türen jedoch schlossen, ohne jemanden zu sehen, der uns fangen wollte, keimte in mir die Hoffnung auf tatsächlich nicht entdeckt worden zu sein. Die beiden Jungs neben mir sagten nichts. Ich hingegen war so nervös, dass sich meine Finger in das Armleder des Rollstuhles klammerten. »Wo wollt ihr überhaupt hin?«, fragte ich die beiden. »Ich konnte mir schon denken, dass das passieren wird und du nicht lange hierbleibst. Wir fahren zu Mom und Dad.«
Sofort suchte ich seinen Blick. Natürlich wollte ich irgendwann meine Eltern kennen lernen, aber ich konnte mich nicht darauf vorbereiten. Außerdem dachte ich überhaupt nicht mehr an die beiden, weil ich durch die Vorkommnisse mir auch nicht noch den Kopf darüber zerbrechen konnte. Dennoch musste ich sofort an die Wohnung denken. Er muss ihnen ja irgendetwas erzählt haben.
»Wissen sie das wir kommen?«, wollte ich somit erfahren, aber als Alex mit dem Kopf schüttelte, starrte ich ihn irritiert an. Die Zahl vor uns jedoch zeigte nun Etage zwei. »Um ehrlich zu sein, habe ich ihnen nicht mal gesagt, dass du hier bist!« Das war verwirrend. »Wieso? Aber ich war doch in der Wohnung!« Das verstand ich nicht. »Ich weiß. Aber das Problem ist, dass jemand da war, um dich zu suchen. Ich weiß, dass es das Rudel von Großvater ist.«
Fassungslos blinzelte ich und murmelte: »Das ist doch gut!« Immerhin waren wir Familie. Vielleicht half er uns somit auch Nolan von der Backe zu kriegen und wenn ich damit noch an Familie dazugewann, konnte es doch nicht besser laufen? Doch mein Bruder machte mit seinen Worten schlagartig alles zu Nichte. »Das ist nicht gut. Überhaupt nicht gut. Dieser Typ, den du kennst, ihn habe ich nicht das erste Mal gesehen. Wir haben mit Großvater nichts zu tun. Wir sind nicht die Familie, die du wahrscheinlich erwartest. Egal wer mit ihm kooperiert, bedeutet das nichts Gutes. Dass sie auf einmal aufgetaucht sind, hat nur gezeigt, dass sich nicht nur du, sondern auch unsere Eltern in Gefahr befinden.«
DU LIEST GERADE
Midnight - Ruf der Wölfe
WerewolfWas, wenn du in eine Welt tauchst, die du niemals für möglich hältst? Das erlebt die junge June Glayton, die auf einen dunklen Pfad des Unwirklichen gerissen wird. Sie erkennt schnell, dass Realität und Fantasie nahe beieinanderliegen. Dinge gesche...