Es war der gleiche Fahrer; wie der, mit dem ich herfuhr. Auch dieses Mal interessierte ihn nicht, wer mit im Bus saß. Ethan und ich waren jedoch nicht die Einzigen. Da dieser nun schon einige Haltestellen mitnahm, gab es bestimmt einen fliegenden Wechsel zwischen ihm und einem anderen. Im Moment jedoch saßen lediglich ein Mann im mittleren Alter auf der Rücksitzbank ganz hinten. Neben ihm ein kleiner Junge, der in diesem Moment, als wir einstiegen gerade mit dem Finger aus dem Fenster zeigte und lautstark rief: »Papa, schau mal!«
Unvermittelt legte ich den Kopf schief und schaute automatisch nach rechts, um zu sehen, was er meinte. Ich konnte noch einen buschigen braunen Schwanz sehen und wie ein Eichhörnchen das Weite im tiefen Wald suchte. Auf den Lippen der beiden bildete sich ein Lächeln. Es war schön jemanden zu sehen, der sich noch an solchen Kleinigkeiten erfreute. Das Mädchen, welches jedoch noch zur Schule ging, war so tief in ihren Sitz gesunken, dass man es fast nicht sehen konnte. Ihre rot gefärbten Haare trug sie in einem hohen Pferdeschwanz, weswegen die kleinen weißen Stöpsel in ihren Ohren sofort erkennbar waren. Sie blendete damit und mit ihrem Handy die Realität.
Einen Moment beneidete ich sie darum, dass sie Jeans trug, die mit Absicht Löcher an den Knien besaßen und dennoch so gekauft worden. Ich war damals froh, wenn sie nicht kaputt waren, weil es besser wärmte. Kurz musste ich dennoch lächeln und folgte Ethan, der zwei Reihen hinter dem Busfahrer stehen blieb und mich ans Fenster ließ. Mein Lächeln wurde breiter und es zeigte mal wieder, dass er mich kannte und nur das Beste für mich wollte. Auch diese Kleinigkeiten erwärmten das Herz. Zugleich ließ er sich neben mich sinken und schnappte sich meine Finger, um sie mit seiner großen Hand festzuhalten. Diese Nähe tat gut und ich ließ ihn gewähren.
Dennoch wollte nicht mit dem Thema weitermachen, doch ich konnte nicht anders und fragte, als sich der Bus in Bewegung setzte: »Wie machen wir das jetzt mit Daryl?« Ethan seufzte und gab zurück: »Ich werde ihm nachher Bescheid geben und sagen, was passiert ist, aber das wir verschwinden mussten, weil es so gefährlich war.« Er spürte natürlich meinen Blick, denn er setzte weiter fort: »Keine Angst. Ich werde ihm nur verraten, was an dem heutigen Tag passiert ist! Mal sehen, was er dazu sagt und wie er weiter verfahren will, denn wenn du ihm auch nur etwas bedeutest, wird er dich nach dem Erlebten nicht wieder herschicken.« Ich nickte kurz und suchte seine braunen Augen ab. Es war die Sorge darin zu lesen, dass ich wieder zu ihm ging. Das war verständlich.
»Falls er sich mit dir treffen will, dann tue das ohne mich.« Auch wenn ich am Anfang bei ihm sein wollte und auch wenn mir der Gedanke daran mit ihm zusammen zu sein gefallen hatte... Nein. Das geht nicht. Es endete wieder nur im Schlamassel. Außerdem war ich mir sicher, dass er es selbst auch nicht wollte. Zumindest zeigte Nolan mir das und sagte es, auch wenn in seinem Gesicht etwas anderes zu lesen war. Ungeachtet dessen war die Sache für mich durch und wenn ich Ethan betrachtete, durfte ich es verdammt noch mal nicht zulassen ihn zu verlieren. Er musste die Entschlossenheit in meinem Gesicht gesehen haben, denn auf einmal hob er seine rechte Hand und legte sie auf meine Wange. Es war nicht nötig in dieser Hinsicht mit ihm zu sprechen, auch wenn der Drang in mir war ihm zu verraten, dass ich es mit ihm versuchen wollte und Daryl vergessen musste.
Brummelnd drückte er meinen Kopf auf seine Schulter und ich schloss seufzend die Lider. Einen kurzen Moment stellte ich mir sogar vor, wie wir einfach verschwanden. Irgendwo hinfuhren und alles hinter und lassen konnte. Aber eigentlich: Warum auch nicht? Dennoch vergaß ich nicht das Gesehene, was in diesem Stadtteil passierte. Tote Menschen erwartete ich nicht, was mich zutiefst schockierte. Wenn es um Unschuldige ging, konnte ich allerdings nicht tatenlos zusehen. Doch was sollte ich schon ausrichten? Wenn diese Menschen keine normalen Leute waren, konnte es passieren, dass ich selbst noch draufging. Um ehrlich zu sein wollte ich das vermeiden und ich öffnete meine Lieder, um Ethans Bauch zu betrachten, der unter seiner Jacke versteckt war. Ich wusste darunter befanden sich diese Wunden, die zuvor durch Klauen entstanden. Natürlich kannte ich Schmerzen, doch dass er noch aufrecht ging war selbst für mich ein Wunder.
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Midnight - Ruf der Wölfe
WerewolfWas, wenn du in eine Welt tauchst, die du niemals für möglich hältst? Das erlebt die junge June Glayton, die auf einen dunklen Pfad des Unwirklichen gerissen wird. Sie erkennt schnell, dass Realität und Fantasie nahe beieinanderliegen. Dinge gesche...