Kapitel 46

71 11 0
                                    

Erst einmal erstarrte ich. Das er mir doch das sagte, was ich die ganze Zeit hören wollte, erschreckte mich. Das Erhoffte jedoch wirkte surreal. War das tatsächlich echt? Meine Reaktion daraufhin war mir selbst fremd. Ich wollte dennoch Abstand. Unsicherheit packte mich plötzlich, weil ich nicht wusste, damit umzugehen, nachdem er mich behandelte, als wäre ich ein Monster, dabei hatte ich ihm selbst nie ein Leid zugefügt. Sofort spürte Daryl, wie ich mich verschloss und er flüsterte fast panisch und mit aufgerissenen Augen: »Nicht, June. Tue das nicht. Ich weiß, ich habe... Scheiße.« Zugleich sprang er nach oben, hetzte eilig zu den Stufen nach oben, doch ich hielt ihn mit den Worten auf: »Geh nicht. Bitte!«

Sie drangen laut und bestimmend durch meine Lippen hindurch. Warum ich nicht mein Mund hielt war klar. Er sprach. Das was er die ganze Zeit über nie machte. Außerdem wollte ich nicht allein bleiben. Nicht hier. Nicht so. Nicht nachdem das alles passierte. Daryl blieb nach meinen Worten zwar stehen, doch drehte sich nicht zu mir herum. Noch immer sah er aus, als wolle er die Flucht ergreifen. Eilig sprang ich nun ebenso nach oben, hetzte zu ihm und unterdrückte die schmerzenden Steine in meinen Sohlen. Auf der Stelle umschlang ich ihn von hinten und presste mich fest an seinen Rücken. Sein Atem klang schwer. »Geh nicht!«, forderte ich erneut. Mit einem Seufzen machte er sich zögerlich von mir los und drehte sich zu mir herum.

Im Anschluss schnappte er sich meinen Zopf und zog erst einen Gummi, dann den anderen heraus. »Als du dir damals deine Haare abgeschnitten hast, war ich wirklich traurig darüber.« Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern und mich irritierte einen Moment, wie er unvermittelt auf dieses Thema kam. Nach und nach löste er die Zöpfe, fuhr mir durch das lange Haar und streifte es über meine Schulter, sodass es auf meinem Rücken kitzelte. Ich ließ es zu. Auch, wenn mich noch immer Unsicherheit in seinem Tun und Handeln packte, ließ ich mit mir alles machen. »June!«, hauchte er meinen Namen mit voller Sehnsucht zog er mich fest in seine Arme. Auf der Stelle umhüllte mich Wärme und auch, wenn es frisch in diesem Gemäuer war, verscheuchte er diese unmittelbar.

Zugleich beugte ich mich etwas nach hinten und ohne darüber nachzudenken, presste ich meine Lippen auf seine. Was mache ich eigentlich? War ich verrückt geworden? Nachdem was er mir antat? Nachdem wie er mich behandelte konnte ich es ihm doch nicht so leicht machen, oder? Lag es vielleicht an meiner Zerrissenheit, noch immer einen Menschen vor mir zu haben, der nicht mehr so existierte wie früher? Wollte ich nur wieder vergessen und alles neu erleben? Mit ihm gemeinsam? Mir vielleicht eine Welt erträumen, die nur einen kurzen Augenblick bestand? Ich wusste es nicht. Nicht, was ich dachte. Dachte ich überhaupt? Nein. Möglicherweise glaubte ich auch nur so, alles rückgängig machen zu können. Ich konnte mich selbst nicht erklären. Manchmal machte man Dinge, die keinen Sinn ergaben, oder handelte in keinem klaren Bewusstsein.

Allerdings war es dieses Mal Daryl, der sich von mir losmachte und brummte: »Wir sollten das nicht tun.« Ich sah wie seine Augen an Farbe veränderten. Das Blau wurde intensiver. Darüber huschte etwas Gelbes. Das Tier in ihm war definitiv präsent. Ein Tier, welches ich einen Moment vergaß. Auch, dass ich so etwas in mir trug. »Warum nicht?«, wollte ich wissen. »Ich will dich nicht wieder verletzen«, gab er mir als Antwort, doch ich hauchte: »Das wirst du nicht tun.« Ich musste es ihm sagen. Vielleicht auch nur als Sicherheit für mich und als Hinweis für ihn. Plötzlich wollte ich ihn spüren. Sofort. Der Drang mit ihm zusammen zu sein, dieses Verlangen in mir; es machte mich wahnsinnig. Obwohl ich wusste, dass es besser war nicht mit ihm zu schlafen, wollte ich auf der Stelle nichts anderes mehr tun.

Mit einem Schritt stand ich wieder genau vor ihm, fuhr gezielt mit meinen Händen in sein dichtes Haar und vergrub meine Finger darin. Mein Körper drückte sich gegen seinen und meine Lippen fanden die von ihm. In dem Moment als er erneut etwas sagen wollte, schob ich meine Zunge in seinen Mund und sofort bebte sein Körper auf. Nun presste er unvermittelt seine Hände doch gegen meinen Hintern und somit konnte ich ihn noch mehr fühlen. »Nicht!«, bebte seine Lippe dennoch und er ließ seine Stirn seufzend gegen meine sinken. »Wenn du das tust, dann kann ich nicht mehr aufhören. Wir sollten das nicht machen. Nicht nachdem du mir nicht verziehen hast.«

Midnight - Ruf der WölfeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt