Kapiel 16

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Beim Abendessen war ich so nervös, dass mir die Gabel aus der Hand fiel, als ich an Amaliel dachte. Mein Vater neben mir schüttelte amüsiert den Kopf, schien aber meine zitternden Finger nicht zu bemerken.

Ich bot an, das Geschirr rauszutragen und in die Spülmaschine zu räumen, hauptsächlich damit ich Amaliel noch etwas von den Essensresten nach oben schmuggeln konnte, solange sie noch warm waren. Im Gegensatz zu vorhin waren nun alle Mächte auf meiner Seite. Meine Mutter wollte noch etwas im letzten Licht des Tages draußen lesen, während mein Vater sofort in sein Büro verschwand.

Schnell schaufelte ich einen Großteil des Kartoffelbreis auf einen Teller, zusammen mit dem übrig gebliebenen Fisch. Hoffentlich fiel niemand auf, dass etwas fehlte. Bis jetzt hatte es auf diese Weise funktioniert.

Mit dem Teller in der einen und dem Besteck in der anderen Hand huschte ich die Stufen nach oben. Ein Blick über die Schulter zeigte mir, dass meine Mutter mit dem Rücken mir zugewandt auf einem Gartenstuhl saß.

Amaliel stand vor meinem Schreibtisch, vor ihm einige Blätter, als ich mein Zimmer betrat.

»Was machst du?«, fragte ich argwöhnisch und stellte den Teller neben ihm ab.

»Deine Hausaufgaben in Psychologie anschauen.« Er grinste mich schief an, bevor er sich das Essen schnappte und sich auf meinen Schreibtischstuhl setzte. »Hab geschaut, ob ich da irgendwas verstehe, aber sieht wohl nicht so aus. Vielleicht kannst du es mir ja erklären.«

Ich warf einen Blick auf die Arbeitsblätter und mein aufgeschlagenes Hausaufgabenheft. Amaliel etwas darüber erzählen, wie Traumata die Persönlichkeit beeinflussten? Damit müsste er sich doch auskennen.

»Lieber nicht«, wehrte ich ab und schlug das Heft zu. Vielleicht konnte ich die Hausaufgaben morgen in der Mittagspause erledigen, jetzt fehlte mir jedwede Konzentration. »Was machst du immer so abends, wenn du allein bist?«

Amaliel schluckte in Ruhe eine Gabel Kartoffelbrei hinunter, den Blick auf die Wolken hinter meinem Fenster gerichtet. »Ich weiß nicht, mir irgendwie die Zeit vertreiben, den Himmel beobachten. Irgendwann gewöhnt man sich daran.« Er zuckte mit den Schultern. »Hab mir überlegt, ob ich mal nachts joggen gehe oder so. Dann sieht mich eigentlich niemand. Ich kann durch euer Gartentor gehen und eigentlich müsste das doch klappen, oder?«

»Wenn meine Eltern dich sehen ...« Mir war klar, dass ich Amaliel nicht den ganzen Tag ins Gartenhaus einsperren konnte, aber wir durften nicht unvorsichtig werden. Heute zeigte genau, was dann passierte. Es schien mir noch gewagter, ihn in meinem Zimmer zu verstecken und ihn hier schlafen zu lassen.

»Deine Eltern könnten mich jeden Moment sehen, sie könnten genau jetzt die Treppen hochkommen, um mit dir zu reden.« Wir hielten beide ein paar Herzschläge inne, um auf etwaige Geräusche zu lauschen, doch es blieb leise. »Ich weiß, es ist risikobehafteter, wenn ich mich mehr draußen aufhalte, aber ich würde es nur machen, wenn ich sicher wüsste, dass deine Eltern schlafen und nicht gleich arbeiten gehen oder so. Ich halte es nicht aus, die ganze Zeit in dieser Hütte zu sein. Bitte.«

Ich schluckte ein »Du wolltest es doch so« herunter, als der flehentliche Unterton in seiner Stimme stärker wurde. Ich wollte keinen Streit vom Zaun brechen, das war nicht ich. Nur wurde ich zunehmend frustrierter, weil mit so langsam bewusst wurde, in was für eine Situation wir uns reingeritten hatten.

Mit einem Seufzen ließ ich mich auf mein Bett fallen. »Du machst das auf eigene Verantwortung. Wenn dich jemand sieht, bist du dran schuld«, murmelte ich ergeben und fuhr mir durch die Haare.

Grübchen bildeten sich auf seinem Gesicht.

»Ach hör doch auf zu lächeln, diese Grübchen machen mich schwach.« Woher ich auch immer den Mut aufbrachte, das zu sagen, es sorgte jedenfalls dafür, dass sein Lächeln nur noch breiter wurde und er sich nach wenigen Sekunden wieder seinem erkaltenden Essen zuwandte.

Wie zwei Geister im UniversumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt