Kapitel 2

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»Du kannst den Tisch decken, wenn du willst«, schlug ich vor.

Amaliel hatte die letzten Minuten an der Theke gestanden und mich und jeden meiner Handgriffe beobachtet, weshalb meine Finger ganz zittrig waren. Menschen, die ich nicht gut kannte, machten mich oft nervös; wenn sie mich lange ansahen, wenn ich sie lange ansehen musste, wenn sie mir zu nahe waren.

Ich konnte nicht sagen, ob ich Amaliel gut kannte, die ganze Beziehung durch Briefe war eben doch etwas anderes, als sich im echten Leben zu kennen. Er war mir gänzlich unbekannt und doch fühlte ich mich ihm so nah, dass es schmerzte. In Nächten, in denen ich mich so allein und unverstanden fühlte, in denen ich mich ihn herwünschte, damit er mir ins Ohr flüsterte, dass es okay war.

Jetzt war er hier und alles fühlte sich so neu und ungewohnt an, dass es mir den Atem raubte, wenn er mich ansah.

»Klar, du musst mir nur ... sagen, wo alles ist.«

Amaliel riss mich aus meinen Gedanken und schnell zeigte ich auf den äußersten rechten Schrank. »Da sind die tiefen Teller drin. Und in der Schublade auf der gleichen Höhe ist das Besteck.«

Amaliel nickte und löste seinen Blick von mir, wodurch ich mich auf wieder auf die Soße konzentrieren und erleichtert ausatmen konnte.

»Die Gläser sind hier.« Ich deutete auf den Küchenschrank links neben meinem Kopf, als ich hörte, wie er die Teller und das Besteck auf den Tisch stellte.

Seine Schritte kamen näher und ich spannte mich an, als er sich neben mich stellte und die Klappe öffnete. Im Gegensatz zu mir musste er sich kein Stückchen strecken, um an die Gläser zu kommen. Sobald er sich wieder von mir entfernt hatte, atmete ich die Luft wieder aus, die ich unwillkürlich angehalten hatte.

Schnell konzentrierte ich mich wieder auf die Soße, die schon fast fertig war, genau wie die Nudeln. Ich kochte gern, aber noch lieber backte ich. Manchmal malte ich mir nachts aus, wie es wäre, einfach Konditor zu werden, wusste aber immer, dass es nie wahr werden würde. Zum einen, weil ich sicherlich nicht genug Talent dafür mitbrachte, auch wenn alle anderen das immer behaupteten; zum anderen, weil für mich eine andere Zukunft vorgesehen war.

Mit einem Seufzen schüttelte ich die Gedanken ab und schaltete den Herd aus. Als ich das Essen auf den Tisch stellte, wartete Amaliel schon auf mich.

»Guten Appetit«, wünschte ich ihm, er erwiderte die Phrase.

Während wir aßen, war es ruhig und ich wagte nicht die Stille zu unterbrechen. Nach einer Weile spürte ich Amaliels durchdringenden Blick auf mir und hob den Kopf.

»Was ist los?«, fragte ich und schaute zurück auf meinen halb vollen Teller. Dabei ließ ich meinen Blick unauffällig über mein T-Shirt gleiten, um zu sehen, ob Soße darauf gespritzt war und er mich deshalb so musterte.

»Nichts.« Ein lasches Zucken mit den Schultern. »Nur deine Augen. Ich hab noch nie solche Augen gesehen.«

Ich biss mir auf die Lippe. Meine Augen kamen mir immer unrein vor; jedes Mal, wenn ich in den Spiegel schaute, wünschte ich mir ganz normale blaue Augen wie die meines Vaters.

»Iris-Heterochromie. Ich kann diesen hässlichen Fleck nicht ausstehen.« In meinem rechten Auge befand sich außen in dem sonst so strahlenden Blau ein brauner Fleck, der etwa ein knappes Viertel meiner Iris einnahm.

»Deine Augen sind sicher nicht hässlich. Ich finde sie eher faszinierend.« Er schenkte mir ein kleines Lächeln, bevor er sich wieder seinem Essen zuwandte.

Zum Glück sah er so nicht mehr, wie ich aufgrund seines Kompliments errötete.

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Wie zwei Geister im UniversumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt