Kapitel 20.2

12 5 3
                                    

Es war schon deutlich dunkler geworden, die Straßenlaternen hatten sich vor einer Weile angeschaltet, als Amaliel mich mit sich in den Flur zog. Die Zeit war gekommen.

Ich konnte das Lächeln nicht von meinen Lippen verbannen. Er hielt meine Hand – und ließ sie auch nicht los, als wir vor die Tür traten.

Die Luft war unerträglich schwül geworden und trug das Versprechen auf Regen in sich. Zusammen mit dem Duft, den der Schmetterlingsflieder vor unserer Haustür verströmte, war der Geruch eine betörende Mischung.

Amaliel atmete tief ein, ließ den Blick zum stahlgrauen Himmel wandern. Nur die Silhouetten zweier Vögel waren noch davor zu erkennen. Auch ansonsten war die Straße leer, niemand wollte vom einbrechenden Regen überrascht werden.

Niemand außer uns.

Als hätten die Wolken nur auf uns gewartet, spürte ich den ersten Tropfen auf meiner Haut. Die Hitze des Tages hatte sich im Regen gesammelt, warm lief er meinen Arm hinab. Ich folgte ihm still mit den Augen, wartete auf weitere Tropfen.

»Es regnet«, stellte Amaliel leise fest und ich wandte meinen Blick ihm zu. Ein Tropfen hatte seine Nasenspitze getroffen.

Eine Weile standen wir da, einige Schritte von der Haustür entfernt, die Hände miteinander verschränkt und in den Augen des anderen gefangen.

Immer mehr Regentropfen fielen um uns, angenehm warm auf der Haut. Und ich lächelte, weil ich wusste, dass Amaliel dieses Wetter lieben musste. Es fühlte sich alles so verdammt perfekt an.

»Wer als Erster bei der Laterne da hinten ist. Die, die nicht mehr funktioniert«, rief Amaliel plötzlich und warf mir einen herausfordernden Blick zu.

Es war kein wirkliches Rennen, davon abgesehen, dass Amaliel mit seinen unendlich langen Beinen sowieso gewonnen hätte. Er ließ meine Hand auch während wir rannten nicht los und zog mich hinter sich her. Die Melodie seines Lachens vermischte sich mit dem Rauschen des Regens. Unsere Schuhe klatschten auf den nassen Asphalt und Regen peitschte mir ins Gesicht.

Bei der Laterne angekommen, blieb Amaliel stehen und fing meinen Schwung mit seinen Armen auf. Ich keuchte gegen seine Brust und hob dann den Blick zu seinen Augen. Er strahlte. Er war schöner als alles, was ich je gesehen hatte.

Eine meiner Hände war auf seiner Brust gelandet, ich spürte, wie sie sich hob und senkte, wie sein Herz darunter schlug. Einige Wassertropfen fielen aus seinen feuchten Haaren, als er den Kopf senkte, um sein Lächeln zu verstecken.

Ich wusste, ich sollte zurücktreten und ihm Raum geben, aber ich konnte mich nicht aus seiner Nähe lösen. Ihm schien es genauso zu gehen, er strich mit seiner Hand vorsichtig eine schwarze Locke zurück, die nicht mehr von meinem Bandana zurückgehalten wurde.

Ein Auto fuhr vorbei, die Scheinwerfer trotz fortschreitender Dunkelheit nicht eingeschaltet. Amaliels Kiefer spannte sich an, aber er zuckte nicht zurück, zog mich nur einen Schritt weiter in den Schatten eines Baumes.

Hier waren wir auch geschützter vor dem Regen. Im Hintergrund bekam ich mit, wie dicke Tropfen hinter uns auf den Boden trafen, war aber zu eingenommen von Amaliels Augen, von seiner Haut, von seinem Geruch.

Ich wollte etwas sagen, doch kein Wort kam über meine Lippen, zu nah war sein Gesicht an meinem. Würde gleich das passieren, was ich dachte?

Amaliel war die ganze Zeit schon so erpicht darauf gewesen, endlich nach draußen zu gehen, im Gegensatz dazu war er jetzt ganz ruhig, vorsichtig.

Die Berührung seiner Hand an meiner Wange, federleicht nur. Die andere war immer noch fest mit meiner verschlungen, würde sie nie mehr loslassen.

»Mali«, hauchte ich, als seine Hand schließlich auf meiner Wange lag, der Daumen gefährlich nah an meiner Unterlippe. Wenn nicht bald etwas passierte, würde ich das nicht mehr lange aushalten.

Wie zwei Geister im UniversumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt