Kapitel 1: Träume kontrollieren? Du fängst langsam an zu spinnen!

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Kapitel 1: Träume kontrollieren? Du fängst langsam an zu spinnen!

Sandmann POV:

Meine Lunge brennt wie Feuer, aber ich renne weiter Klaus hinterher, der dem weinenden Paul fest die Hand drückt. Neben mir laufen Nero und Kai, auch sie sind schon völlig außer Atem. Wir sind schnell, doch nicht schnell genug um der Meute zu entrinnen, die uns verfolgt. Wir sind doch nur fünf vierjährige Jungen! Was haben wir gemacht, dass die Menschen so böse auf uns sind? Plötzlich spüre ich eine große Hand auf meiner Schulter und ich werde grob hochgehoben, obwohl ich schreie, trete und zapple, lässt mich der bullige Mann, der mich gepackt hat, nicht los. Meinen Brüdern ergeht es nicht anders. Wir werden in einen kleinen Käfig gesteckt und zum Marktplatz des Dorfes gefahren. Ich würde es nie zugeben, aber ich habe Angst. Höllische Angst. So eine Angst, die einem das Blut in den Adern gefrieren und das Herz tausendmal schneller schlagen lässt. Auf dem Platz stehen noch mehr Menschen, die uns böse anschauen. Sie haben Feuerstöcke, Äxte und Heugabeln da, mit denen sie auf uns zeigen. Unauffällig rutsche ich näher zu Nero, er verbirgt seine Angst so gut, dass ich mir nicht einmal sicher bin, ob er sich überhaupt fürchtet. Plötzlich tritt der Bürgermeister auf das Podest für Hinrichtungen und beginnt zu schreien: „Meine Kameraden, es wird euch erfreuen zu hören, dass wir die dämonischen Kinder gefangen haben! Gottlos sind sie! Und was machen wir mit Gottlosen?" „TÖTEN!", brüllen die Bewohner einstimmig. Bei dem Wort läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter. Auch meinen Brüdern steht die Angst ins Gesicht geschrieben. Dann ergreift der schreckliche Bürgermeister wieder das Wort: „Aber die Eltern der Dämonenkinder sind noch da draußen. Die müssen wir auch noch finden, schauen wir mal wen wir zum Reden bewegen können." Er winkt einem seiner Anhänger und er kommt auf uns zu. Mir bleibt die Luft weg vor Angst. Er öffnet die Tür des Käfigs und packt Kai. Verzweifelt versuchen wir ihn festzuhalten, doch der Mann ist zu stark. Wir fangen alle zu weinen an. Wieso lassen sie uns nicht in Ruhe? Die Leute jubeln während Kai zum Podest raufgetragen wird, während wir uns unsere Seelen aus dem Leib schreien. Der Bürgermeister winkt nochmal und der Hufschmied des Dorfes kommt mit einer glühenden Zange zu ihm. „Foltere ihn!", befahl er. NEIN! Panisch rütteln wir an den Gitterstäben, aber wir können nichts tun. Ich sehe wie sie seinen Arm mit der Zange einklemmen. Kai beginnt gellend zu schreien. Der Platz verschwimmt durch meine Tränen, er ist nurmehr ein einziger Strudel aus Farben. Auf einmal höre ich eine leise Stimme, die nicht in diese Situation passt.

Plötzlich wache ich schweißgebadet auf und blicke in die besorgten Gesichter meiner vier Brüder. „Du hattest wieder den Albtraum", sagt Klaus mit beruhigender Stimme. „Wie jedes Jahr", seufze ich und setze mich wackelig auf. Nero schüttelt den Kopf: „Und jedes Jahr sage ich dir, dass es gut ausgegangen ist. Die Nonnen haben uns gerettet und uns hier in Sicherheit gebracht." Kai schnaubt leise im Hintergrund. Ich wische mir über die klatschnasse Stirn. Vier Jahre ist die ganze Sache schon her, aber trotzdem quält mich dieser Albtraum jeden 31. Oktober wieder. Dabei weiß ich ja eigentlich, dass wir hier sicher sind, aber Ende Oktober geht es immer mit mir durch. Peinlich. Nero räuspert sich und sagt: „Machen wir uns fertig. Sonst verpassen wir das Morgengebet." Ich verdrehe die Augen. Ginge es nach mir, könnten wir diese Gebete ausfallen lassen, alle wären dafür. Aber Musterknabe Nero doch nicht. Wir ziehen uns alle an, Klaus und Paul brauchen wie immer ewig bis sie mit ihren Frisuren zufrieden sind, aber nach gefühlten Stunden verlassen wir unseren Schlafsaal. Schwester Theresa kommt auf uns zu, sie wollte uns wahrscheinlich für das Gebet holen. Schwester Theresa finde ich von allen Nonnen im Waisenhaus am sympathischsten, doch wirklich mögen tue ich keine einzige, nicht einmal sie. „Kommt Kinder, ihr seid spät dran!", ruft sie, dreht um und schreitet in die Kirche, wir folgen ihr. Klaus und Paul laufen vor mir und spielen Schere-Stein-Papier. Neben mir ist Nero. Kai trabt hinter uns allen her, morgens braucht er immer etwas Freiraum. Ich bin in Gedanken versunken. Wie so oft. Laut denke ich: „Ich wünschte ich könnte Träume kontrollieren." Nero schaut mich mit hochgezogenen Augenbrauen an und fragt: „Träume kontrollieren? Du fängst langsam an zu spinnen! Wie soll das denn funktionieren?" „Keine Ahnung, aber stell dir vor du könntest entscheiden wann wer schläft und wie er träumt!" Nero zuckt nur mit den Schultern: „Hast recht, wär schon lustig, aber ich glaub das ist auch super stressig." Ich möchte gerade etwas erwidern, aber da haben wir schon die Kirche erreicht. Ich unterdrücke mein Seufzen und trete ein.

Nachdem Gebet gibt es immer ein ausgiebiges Frühstück und direkt im Anschluss haben wir Unterricht in Lesen, Schreiben, Rechnen und Religion. Laaangweilig. Vor allem heute! In Rechnen machen wir schon wieder die Subtraktion! Das kann ich gar nicht! Bäh. Auch Paul hat schon abgeschaltet und hat seinen Kopf auf seine verschränkten Arme gelegt. Kai schaut mit glasigem Blick aus dem Fenster. Nero passt wie immer super auf, beantwortet jede Aufgabe richtig und Klaus ist auch aufmerksam. Er zeigt zwar nie auf, aber eigentlich ist er ein guter Schüler. Ich blende den Klassenraum aus und lasse mich von meinen Gedanken tragen. Weit, weit, weit weg von diesem blöden, langweiligen, kalten.... „Sandro, hast du mich nicht gehört? Du sollst mir die Lösung sagen!", ruft Schwester Viktoria. Sie ist echt nervig, sie hat eine noch schlimmere Neunmalklugstimme als Nero, und das heißt was. Stöhnend setze ich mich etwas gerader hin und schaue auf die Tafel. 36-27=? Ah, super immernoch Subtraktion! „Ähm, 29?", murmle ich. „Wie bitte? Nuschle nicht so, das gehört sich nicht!" Langsam regt mich die Alte echt auf! Ich höre Paul am Nachbartisch kichern. Ich werfe ihm einen bösen Blick zu. Ich mag es nicht, wenn Leute über mich lachen! Dann wiederhole ich genervt meine Antwort: „29 glaub ich." „Erstens, glauben tun wir drüben in der Kirche und zweitens falsch! Da will heute aber wer ganz oft drangenommen werden." Diese blöde Kuh! Ich könnte echt...arrgh.

Nachdem endlich auch die letzte Unterrichtseinheit überstanden ist, machen wir uns alle auf den Weg zum Mittagessen. Dieser dumme Kürbiskopf von Lehrerin hat mich heute genau 19-mal ungewollt drangenommen. Ist es da verwunderlich, dass meine Laune im Keller ist? Plötzlich springt Paul vor mich und kichert. „Dein Gesicht war genial, als sie dich in Rechnen aufgerufen hat. Du sahst so aus", lacht er und schneidet echt blöde Grimassen. Ich schaue ihn bedrohlich an und lasse etwas goldene Magie in meiner Hand erscheinen. „Ich könnte dich ohne Probleme fertigmachen du Angsthase!", zische ich. Er reißt die Augen auf. Sag ich doch. Angsthase! Nero zieht wieder seine Augenbrauen hoch und seufzt: „Puuuh, bis ihr das ausdiskutiert habt, gehe ich essen." „Ja ich auch", stimmt Kai zu und auch Klaus geht mit den beiden ins Esszimmer. Ich zeige dem Feigling noch schnell die Zunge, dann renne ich auch hinein. Vielleicht geht's mir nach dem Essen wieder ein bisschen besser...

Zu fünft im Waisenhaus - Die Vergangenheit der WächterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt