Katsuki
In der Luft lag ein betäubender Geruch nach Lavendel. Shoto stierte mit erstarrtem Blick an die Decke. Es hatte nur Sekunden gedauert und der Yurei hatte ihn in einem Trancezustand gefangen. Ich wollte mir noch nicht mal vorstellen, welche Trugbilder diese vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen sahen. Verdammt Shoto, konntest du nicht auf dich aufpassen?
Bevor ich diesen Yurei nicht erledigt hatte, würde Icyhot in dieser Halluzination gefangen bleiben. Ein lautes, drecks Surren zerrte an meinem Trommelfell und meinen Nerven. Es war, als würde ein Schwarm wütender Wespen ihr Nest unmittelbar in meinem Gehörgang bauen.
Die Spinnweben an den Fenstern und an der Decke waren mit Raureif überzogen. An den Scheiben begannen Frostblumen zu wachsen. Die Härchen an meinem Unterarm stellten sich auf. Der Yurei war noch hier. Die Balken des beschissenen Geisterhauses schienen zu ächzen, als hätten sie über die Jahre zu viel getragen oder ertragen. Die Wände bewegten sich in Wellen. Scheiße, ich musste aufpassen, dass ich nicht auch in einer Hypnose gefangen wurde.
Aus meiner Geisterjäger-Tasche zog ich eine Schutzbrille, die mich vor dem Einfluss des bösen Geistes schützte und mich gleichzeitig Erscheinungen noch besser erkennen ließ. Nur gegen das Surren konnte ich nichts unternehmen. Mit Silberspänen zog ich einen Bannkreis um Icyhot, um ihn vor weiterem Schaden durch den Yurei zu schützen. Diese Geister waren sadistische Mörder, und nicht zu unterschätzen. Was würde der Trottel nur ohne mich machen. Dabei hatte mich der Bastard nicht mal zur Geisterjagd mitnehmen wollen. Konnte ja sein, dass der Höllenprinz Experte war, was Dämonen anging, doch Geister waren ein rein irdisches Problem.
Ich sah mich mit zusammengekniffenen Augen um und versuchte, die untote Gestalt auszumachen. In dem Raum herrschte das Chaos. Umgefallene, zertrümmerte Möbel, zerschlagene Lampen, und die Tapete hing in Fetzen von den Wänden. Da stand der scheiß Yurei in der Ecke hinter der umgestürzten Vitrine. Vielmehr schwebte das Drecksding. Es sah aus, als wäre sein Körper unterhalb der Hüfte in Fetzen abgerissen. Um das ausgezehrte Gesicht wallte strähniges, schwarzes Haar, als wären wir unter Wasser. Auf seinem übergroßen Mund zeigte sich ein höllisches Grinsen. In den leeren Augenhöhlen drehte sich leuchtender, lila Rauch.
„Pech gehabt, du Drecksack! Mich wirst du nicht in deinen Bann schlagen."
Der Geist fauchte und violette Peitschen schossen aus seinem abgetrennten Unterleib hervor, direkt auf mich zu. Ich stürmte auf ihn zu, ließ meine Fluchklinge durch die Luft wirbeln und schnitt ihm seine Fangarme ab. Noch bevor ihm sein dämliches Grinsen aus dem Gesicht gefallen war, durchbohrte das Katana seinen Schädel. - Kinderspiel.
Der Yurei stieß einen bizarren mehrstimmigen Laut aus. Eine Druckwelle dunkler Energie traf mich und ließ mich zurückstolpern. Das Schwert fiel scheppernd zu Boden. Das Surren verstummte. Der Geist schrumpfte in sich zusammen, bis er ganz verschwunden war.
Sofort drehte ich mich zu Icyhot um und konnte ihn gerade noch auffangen, bevor er auf dem Boden aufschlug. Tränen liefen über seine Wangen. Er blinzelte mich an.
„Katsuki?", seine Stimme brach. „Kats!"
Urplötzlich schlang er die Arme um mich und drückte mich so fest an sich, dass mir die Luft wegblieb.
„Du lebst", flüsterte er an meinem Ohr und dann küsste er mich.
Und Scheiße, war das ein Kuss. Er ließ mich in all dem Dreck und Chaos hart werden. Wenn ich mich nicht auf der Stelle losreißen würde, würde ich ihm stattdessen die Klamotten vom Leib reißen.
Auf einmal drang Kinderlachen vom Flur an unsere Ohren. Wir rissen beide gleichzeitig den Kopf herum. War da draußen ein Kind? Wir rappelten uns hoch, stürmten zur Tür und als wir in den Gang traten, flatterte uns ein Schwarm von schwarzen Motten entgegen, um kurz darauf wieder in der Dunkelheit zu verschwinden. Erneut erklang das Lachen.
„Fumikage hätte keine Kinder ins Haus gelassen", stellte der Höllenprinz unnötigerweise fest.
„Das könnte das Phantasma gewesen sein. Diese Geister sind hinterlistig und das pure Böse."
Wir folgten den Motten in die Finsternis. Ich sah zu Shoto.
„Alles klar bei dir."
„Geht schon!"
Die Dunkelheit schien uns entgegenzuatmen, und mir lief es nicht das erste Mal eiskalt den Rücken herunter. Etwas Bösartiges lauerte in der Dunkelheit. Über uns von der Decke waren schwere Schritte zu hören und ein Poltern, welches das Haus erbebte ließ.
„Komm zu mir!", flüsterte eine glockenklare Kinderstimme.
„Noch ein Poltergeist?"
„Seit wann können Poltergeister reden?"
„Kann ein Phantasma reden?"
„Manche."
Obwohl alles in mir schrie, es nicht zu tun, folgten wir mit gezückten Fluchklingen der Stimme, bis zum Ende des Korridors. Geisternebel kam wie in einem Wasserfall über die Treppe nach unten. Schnell warf ich einen Blick auf das Geisterspektrometer. Eindeutig ein Phantasma.
„Na also, da oben scheint es interessant zu werden."
„Wie kommen wir da hoch?"
„Damit." Ich verstaute das Messgerät und zog eine Salzgranate aus der Tasche und warf sie die Stufen nach oben.
Mit einem Zischen verteilte sich feinster Salznebel in der Luft und machte uns so den Weg frei. Ich setzte den ersten Fuß auf die Stufe und hielt inne. Irgendetwas war hier anders. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus und zog sich hoch bis in meinen Nacken. Erneutes Kinderlachen. Kam das überhaupt von oben? Die Taschenlampen flackerten, als würden sie gleich ihr Leben aushauchen. Die Furcht, die ich verspürte, sah mir gar nicht ähnlich. Sie war unnatürlich. Ein unfassbares Grauen wartete auf uns da oben. Ein seltsames Schaben war zu hören. Ich zwang mich, weiterzugehen, und Icyhot folgte mir. Die alten Stufen knarzten unter unserem Gewicht. Der Diamant um meinen Hals leuchtete heller, als wollte er das Dunkel vertreiben.
Ich spähte um die Ecke in den stockfinsteren Gang, als ein schriller Schrei, wie ein Ausdruck schieren Entsetzens, die Stille zerriss. Dieser scheiß, ruhelose Unruhegeist verbreitete Angst und Schrecken. Verfluchtes Schattenreich! Meine Hand zitterte so, dass ich kaum noch mein Schwert halten konnte. Mein Herz raste. Die aufsteigende Panik schmeckte bitter im Mund. Ich atmete tief durch und zwang mich zur Ruhe. Ich würde mir ganz sicher nicht vor Mister-mich-kann-noch-nicht-mal-die-Hölle-schrecken, eine Blöße geben.
Ich schlich weiter. Die Luft roch modrig und der Boden krachte bei jedem Schritt. Gerade wollte ich die erste Tür öffnen, als ein ohrenbetäubender Schrei, der aus allen Ecken des Stockwerks kam, die Stille zerriss. Schrill wie ein Bogen, der unnachgiebig über eine verstimmte Geigensaite schrammte. Die Nackenhaare stellten sich mir auf und ich duckte mich instinktiv. Auf einmal stieg Rauch aus den Holzdielen empor. So dicht, dass man ihn fast greifen konnte. Etwas Formloses baute sich vor uns auf und brauste wie eine tosende, eiskalte Welle auf mich zu, riss mich jäh zu Boden und verschwand in der Wand.
Als ich die Lider wieder öffnete, sah ich in die heterogenen Augen von Shoto, der mich besorgt ansah und meine Wange tätschelte.
„Komm zu dir, Kats!"
„Fuck!" Ich schlug seine Hand weg und setzte mich auf. Zornig biss ich die Kiefer aufeinander. „Nimm deine Griffel weg!"
Ich wusste, dass er mir helfen wollte. Eigentlich war ich auch nicht auf ihn wütend, sondern auf meine eigene Schwäche und Unzulänglichkeit. Ich versuchte aufzustehen, doch ich rutschte in einer stinkenden Pfütze Ektoplasma aus, die der Geist zurückgelassen hatte. Unwillkürlich hielt ich mich an dem Bastard fest und riss ihn mit zu Boden. Er stöhnte auf, als er auf mir landete.
„Nicht so stürmisch, Süßer!"
„Nenn mich noch einmal Süßer, und du bist tot."
Shoto
Katsuki drückte mich unwirsch zur Seite und rappelte sich auf. Ich griff nach dem Höllenschwert und stand ebenfalls auf. Ich wischte mir das Ektoplasma an meinem Umhang ab und folgte ihm.
„Der Geist ist in diesem Zimmer verschwunden."
Ich deutete auf die erste Tür zu unserer Linken. Sie stand offen und Katsuki leuchtete mit seinen Geistertaschenlampen hinein. Im Lichtkegel erkannten wir zerfledderte Bücher auf dem Boden. An der Wand standen leere Regale und ein alter Sekretär, alles völlig verstaubt. Das hier war ein Büro gewesen. Die unangenehme, bedrückende Kälte einer Kühlkammer schlug uns entgegen. Das unverkennbare Anzeichen des Übernatürlichen. Langsam traten wir ein. Waren das blutige Handabdrücke an der Wand?
„Hier ist nichts", knurrte Katsuki.
Das bedrückende Gefühl wurde stärker. Fast unerträglich. Was war das hier? Ich sah zu Katsuki. Seine Kiefer schienen zu mahlen. Auf einmal erwachten die Abdrücke an der Wand zum Leben und versuchten nach uns zu greifen.
„Verfluchtes Schattenreich!" Katsuki stolperte zurück und schob mich rückwärts aus dem Zimmer.
Noch bevor uns die blutigen Pranken erreichten, warf er erneut eine Salzgranate, schlug die Tür scheppernd zu, ritzte mit der Fluchklinge einen Kreis, Runen und komplizierte Symbole in das Holz und psalmodierte dabei hochkonzentriert in einer mir unbekannten Sprache. Das Zeichen leuchtete auf und schwebte wie ein Hologramm im fahlen Phosphorgrün vor der Tür. Er drehte es hin und her. Verschob dabei Zeichen, als löste er ein Puzzle oder Knoten. Lichtfäden spannten sich, als wollte er einen Gegenfluch weben. Plötzlich riss einer der Fäden und schnitt ihm in den Arm. Sofort quoll ein ganzer Schwall Blut aus der Wunde, das sich mit dem Lichtfaden verband und ihn neu verwob. Der Schnitt war bereits dabei zu verheilen, als ein weiterer Faden riss und ihm über die Wange ritzte. Katsuki zog scharf die Luft ein. Auch dieses Blut verband sich mit dem Lichtfaden. Das Gleiche passierte ein drittes Mal. Zwischenzeitlich leuchtete das Hologramm rot wie sein Blut.
„Hölle und Verdammnis, Kats! Was war das?", erkundigte ich mich, als er geendet hatte.
„Das war ein scheiß Blutfluch der Kategorie 3. Den hat kein Geist hinterlassen." Er stieß die Tür auf. Die Hände waren verschwunden, doch das Blut rann nun an den Wänden herab und verteilte sich auf dem Boden. „Ich hab ihn gebrochen."
Ich war beeindruckt. Um einen manifestierten Fluch zu brechen, gehörte mehr dazu, als man dachte. Ich ließ es mir aber nicht anmerken, denn mit Komplimenten konnte der Blondschopf noch weniger umgehen als mit Kritik und er hätte mich, so schlecht wie er gelaunt war, doch nur angepflaumt. Mit dem Kopf wies ich auf die Tür gegenüber.
„Das Ganze kommt mir zunehmend wie eine einzige große, gut ausgelegte Falle vor, die uns mental und körperlich immer weiter schwächen soll. Okay, versuchen wir es im nächsten Zimmer."
Dieser Gedanke war mir auch schon gekommen. Wir sollten so schnell wie möglich den Dimensionsspalt finden und ihn versiegeln.
Schon beim Öffnen schlug uns ein beißender Geruch entgegen. Aus der Dunkelheit schälte sich eine fluoreszierende Gestalt. Hölle und Verdammnis! Das Phantasma war mindestens zwei Meter groß und hatte unnatürlich lange Arme, und davon vier Stück. Die Fingernägel waren überlang und spitz wie Dolche. Irgendwie schien diese Erscheinung viel mehr Substanz zu haben, als alle Geister, die ich bis dato gesehen hatte. Auf einmal schoss es auf uns zu und wir wichen in den Flur zurück.
Die fahle Geistergestalt knurrte wie ein Wolf. Sie sah aus, als wäre ihre Nase weggefault. Der Mund sah nicht besser aus und die Winkel hingen schlaff hinunter. Die Augen waren getrübt, als wäre er blind. Der Kopf sah aus, als hätte man ihn in die Länge gezogen. Strähnige Haare baumelten fettig an beiden Seiten ihres entstellten Gesichts herunter. Der dürre Körper war in schmutzige Tücher eingewickelt, sodass sie fast wie eine Mumie aussah. Sie verströmte den klebrigsüßen Hauch des Todes aus dem Mund, der wie eine schwarze, faulende Wunde aufgeklappt war und abgebrochene Zahnstummel erahnen ließ. Gelber Speichel rann über ihr Kinn. Eine gespaltene Zunge schlängelte sich hervor. Das Phantasma schwebte vor uns und hob die durchscheinenden Arme zum Angriff wie eine Gottesanbeterin. Blitzschnell schossen sie nach vorne, doch Katsuki konnte sie mit der Klinge abwehren. Sie schlugen in den Boden und durchbohrten die Dielen wie Butter. Artistisch tauchte er unter dem Geist hindurch, ohne ihn zu berühren. Augenblicklich war er wieder auf den Beinen und griff das Unding von hinten an. Zugleich startete ich ebenfalls einen Angriff, den es mit zwei seiner überlangen Arme abwehrte und mich auf Abstand hielt, während das weitere Paar Katsukis Attacke vereitelte. Ich nahm mein Schwert in zwei Hände, griff erneut an und konnte ihn etwas zurückdrängen, was zur Folge hatte, dass Katsuki näher ans Fenster zurückweichen musste. Das Phantasma schlug ihm die Klinge aus der Hand und traf ihn mit dem anderen Arm so, dass er nach hinten flog. Es klirrte laut. Was zur Hölle! Es hatte ihn durch das geschlossene Fenster befördert. Für einen Herzschlag war ich wie zur Salzsäule erstarrt.
„Kats!"
„Fuck! Dieses drecks Phantasma!"
Ich wusste nicht wie, aber er hatte sich festhalten können. Ich wollte ihm helfen, doch jetzt sah ich mich vier krallenbewerten Fangarmen gegenüber. Einer streifte meinen Kampfanzug und die Kälte drang schmerzend durch das Leder. Ein zweiter zerfetzte den Umhang. Mit meinen Dämonenkräften kam ich hier nicht weiter. Ich musste ihm das Schwert durch sein nicht vorhandenes Herz treiben oder ihm den Kopf von den Schultern trennen. Ich kämpfte erbittert gegen die um sich schlagenden Arme, doch ich konnte ihn in Schach halten, bis er sich nach vorne beugte und mir sein giftiges Miasma entgegenhauchte. Ich riss den Arm vor Mund und Nase und wich zurück. Das Phantasma setzte mir nach. In diesem Moment hievte sich Katsuki mühsam nach drinnen und augenblicklich ergriff er seine Fluchklinge. In einer fliesenden Bewegung schleuderte er sie wie ein Wurfmesser auf den Angreifer. Das Phantasma erstarrte in der Bewegung, begann sich aufzulösen, wie Nebel in der Mittagssonne, und die Fluchklinge viel scheppernd zu Boden. Katsuki hob sie auf und wischte sie an seinem Ärmel ab.
„Der Stoff, aus dem die Albträume sind."
Er grinste mich an. „Könnte die ganze Nacht so weitergehen."
Ich lachte leise. „Na dann versuchen wir das nächste Zimmer."
Das Bad war leer und es gab kein Anzeichen eines Geistes. Als wir den Raum verließen, glaubte ich für einen Wimpernschlag, einen Schatten im Spiegel zu erkennen, doch als ich nachsah, war da nur mein Spiegelbild.
Die erste Tür im gegenüberliegenden Flur war mit einer dünnen Frostschicht überzogen und die Farbe wirkte wie verblasst. Das leise Weinen einer Frau war dahinter zu hören.
„Warte!", er zog das Spektrometer hervor.
Es leuchtete in kalten Blautönen und klickerte aufgeregt.
„Dahinter befindet sich totsicher eine Shikigami. Wenn sie dich erwischt, saugt sie dir deine Lebensenergie aus. Also was auch immer geschieht, lass dich nicht anfassen und fass auch nichts an!"
Katsuki machte sich nicht die Mühe, zu überprüfen, ob die Tür verschlossen war, und trat sie ein. Der eiskalte Hauch des Todes schien uns entgegenzuatmen. Die unbarmherzige Eiseskälte saugte einem sofort jegliche Wärme aus den Knochen und stach beim Atmen in der Lunge. So kalt war es noch nicht mal im schattigsten Winkel der Hölle.
„Fuck! Diese scheiß Geisterkälte ist ein Grund, warum ich die Geisterjagd so hasse."
Mitten im Zimmer standen ein alter Spiegel auf Rollen mit prunkvollem, vergoldeten Rahmen. Zur Rechten war ein Wandschrank und an der linken Wand stand eine Kommode. Ansonsten war der Raum leer.
„Lass mich das machen. Mir macht die Kälte nichts aus."
Ich aktivierte meine Dämonenkräfte und über meine Feuerseite tanzten Feuerzungen. Deicide öffnete sein Auge und seine Klinge hüllte sich in lodernde Flammen.
„Lass den Scheiß, Icyhot. Das ist eine Shikigami. Sie wird sich von deinem Feuer und deiner Energie nähren, und während sie dich aussaugt wie ein Vampir, wird ihre Kraft sprunghaft ansteigen. Also verschließ deine Kräfte wieder, Teufelchen, und lass den Profi machen." Er steckte sein Schwert weg, griff in seine Tasche und zog eine weitere Salzgranate heraus. „Damit werden wir sie schwächen."
Er warf sie mitten in den Raum. Zischend verteilte sich der Salznebel und ich glaubte zu spüren, wie die beißende Kälte sich zurückzog.
„Als Nächstes müssen wir diese Kammer versiegeln. Wir wollen keine Überraschungen erleben, wenn wir da gleich reingehen."
Er hinterließ eine Linie Silberspäne auf der Türschwelle und betrat den Raum. Ich folgte ihm. Sofort spürte ich, wie die Kälte nach mir griff und eine seltsame Mattheit meinen Körper erfasste. Alles hier drin wirkte ausgebleicht, selbst die Tapete an der Wand hatte ihre Farbe verloren. Grauer Dunst schien in der Luft zu hängen.
„Nichts anfassen!", ermahnte er mich und kramte Kreide aus seiner Tasche hervor. „Sie zieht dich in die Spiegelwelt und saugt dir die Lebenskraft aus. Noch bevor du umfällst, bist du tot."
Dieser Geisterspiegel war seltsam. Ich hatte so etwas noch nie gesehen. Er spiegelte nicht den Raum wieder, sondern wenn man hineinsah, stand das Spiegelbild in einem prächtigen Ballsaal.
„Was passiert, wenn wir den Spiegel einfach zerschlagen?"
„Tss... weißt du eigentlich überhaupt etwas über Geister? Sie würde einen andern finden. Deshalb zieh ich einen Bannkreis, so kann sie nicht entkommen, wenn wir den Spiegel zerstören. Lenk sie ab, damit ich sie im Kreis einsperren kann."
„Wen denn? Wie denn?"
„Klimper mit den Wimpern. Was weiß ich. Du kriegst das schon hin."
Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr und drehte mich um. Im Spiegel sah ich eine Frau in einem wunderschönen, weißen Hochzeitskleid. Ein Schleier verbarg ihr Gesicht. In der Hand hielt sie ein Messer, von dem rotes Blut auf den Boden und ihr Kleid tropfte.
„Komm näher, mein Hübscher!", hauchte sie heißer.
Ich trat einen Schritt auf sie zu. „Wer oder was bist du?"
„Sprich sie nicht an und halt gefälligst Abstand!"
„Komm näher!", hauchte sie erneut.
Unwillkürlich stolperte ich einen Schritt näher. Sie hob den Schleier und sah mich traurig an. Sie war märchenhaft schön. Wie gelähmt starrte ich die Shikigami an. Ich spürte selbst die Kälte nicht mehr. Ihre silbergrauen Augen waren dunkel umrandet, ihre Haut war wie aus feinstem Porzellan, ihre rosa Lippen weich und voll. Sie lächelte und mein Herz schlug schneller. Ich wollte zu ihr. Mit ihr in diesem Ballsaal tanzen. Selbst wenn es das Letzte sein würde, was ich tat. Sie öffnete ihren Mund. Weiter und weiter. Jäh schlängelten sich schleimige, olivgrüne Fangarme aus ihrem Rachen, durchdrangen den Spiegel und griffen nach mir.
Katsuki schloss den Kreis um den Spiegel, verpasste mir einen Schubs, sodass ich zur Seite stolperte und die Tentakeln ins Leere griffen. Der Zauber verflog augenblicklich und die Kälte der Realität ließ mich erschaudern.
„Nicht dein Tag heute, was?"
Ich schnaufte genervt.
Die Shikigami begann zu schreien, wie eine Banshee. Ihr Kopf rotierte auf ihrem Hals wie ein Kreisel. Reflexartig hielt ich mir die Ohren zu. Ich hatte das Gefühl, mein Kopf würde gleich platzen. In dem Moment, als ich glaubte, es keine Sekunde mehr länger ertragen zu können, sauste Katsukis Katana herab und der Spiegel zerbarst in eine Million Scherben.
Katsuki fasste sich ans Ohr. „Fuck, diese verdammte Bitch. Los, lass uns hier verschwinden."
Als wir in den Flur traten, hörten wir wieder dieses Kinderlachen. Es kam eindeutig von unten.
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Unmei no kizuna - Band des Schicksals
FanfictionYōkai, Engel, Dämonenjäger, Götter und Menschen... Die Fäden des Schicksals sind unfassbar stark, wenn auch oft verworren. Kann am Ende das zusammenfinden, was zusammengehört? Oder schaffen es, die dunkelsten Mächte sie für alle Zeiten zu zertrennen...