26 Ein Funke

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Katsuki

Ich folgte Fumikage Richtung Palast. Eine schwarze Festung, die einem allein durch ihre schiere Größe Ehrfurcht einhauchte. Jeder Schritt kostete mich Kraft, als würden Tonnen auf mir liegen, und das Atmen fiel mir schwer. Ich hustete. Wieder hatte ich das Gefühl, nicht genug Luft in meine Lungen zu bekommen. Der Boden unter meinen Füßen schien zu schwanken und ich hatte Probleme, gerade auszugehen.

Vor mir erstreckte sich eine schwarz-graue, triste Fläche. Eine Welt, die aussah, als hätte man sie in Asche getaucht.

Vereinzelt wuchsen hier seltsame, kränklich aussehende Bäume, die sich mit dünnen Wurzen verzweifelt an die schwarze Erde zu klammern schienen. Hoch über mir jagten drecks Schattendämonen über das dunkle Firmament wie vom Sturm gehetzte Wolken. Ab und zu zuckte in der Ferne ein Blitz auf.

Die dämonischen Wachen ließen uns passieren und Fumikage steuerte auf ein gewaltiges, schwarzes Gebäude zu, das an eine finstere Kathedrale erinnerte.

Ich würde gleich dem König und Gott der Unterwelt entgegentreten. Angespannt ballte ich die Fäuste. Ich konnte nicht verhindern, dass Zorn in mir aufstieg, bei dem Gedanken daran, wie er Shoto behandelt hatte. So sollte kein Vater seine Kinder behandeln.

Ich musste fokussiert bleiben. Deshalb war ich nicht hier. Verdammtes Schattenreich, wusste er überhaupt, dass wir den Seelenbund eingegangen waren? Ich verbarg Shotos Anhänger unter meinem Shirt.

Wie von selbst schwangen die riesigen Flügeltüren auf und wir betraten einen gewaltigen Saal, in dessen Mitte ein Mann stand. Groß und breitschultrig und in Flammen gehüllt, umgeben von einer feuerroten Aura. Neben ihm stand ein Engel mit schneeweißen Flügeln. Ganz offensichtlich Shotos Mutter. Sie hatte langes weißes Haar, eisgraue Augen und eine Haut wie Mandelmilch, ganz wie die ihres Sohnes. Ihre silberne Aura leuchtete heller als alle, die ich bis jetzt gesehen hatte.

Fumikage blieb stehen und ich tat es ihm gleich. Auf einmal beugte er das Knie und senkte das Haupt. Ich sah ihn stirnrunzelnd an. Als ich keine Anstalten machte, es ihm gleichzutun, griff er blitzschnell nach meiner Hand und zog mich herunter.

„Eure Majestäten", sagte er und verbeugte sich noch etwas tiefer.

Shotos Mutter kam auf uns zu. Der Stoff ihres langen Kleides schien wie Wind zu rauschen.

„Katsuki!" Ihre Stimme klang wie goldener Honig. Aber noch mehr überraschte mich ihr mildes Lächeln, als wären wir alte Freunde. Sie reichte mir ihre Hand. „Du musst hier nicht knien, Katsuki. Fumikage, erhebe dich auch."

Jetzt kam auch Shotos Vater zu uns. Seine türkisblauen Augen schienen mich im wahrsten Sinne zu durchleuchten. Er war ein Gott. Konnte er meine Seele sehen?

Ein Teil von mir hasste diesen Mann mit jeder Faser. Verabscheuten ihn. Gleichzeitig flößte mir seine pure Existenz eine überwältigende Ehrfurcht ein. Ich schluckte und es fühlte sich an, als ob rostige Nägel in meinem Hals steckten.

„Du bist der Schicksalspartner meines Sohnes Shoto." Seine Stimme klang barsch und so tief, dass sie die Luft vibrieren ließ.

Es war keine Frage, dennoch nickte ich vorsichtig. Wollte er mich deshalb in die Fegefeuer werfen? Der bittere Ausdruck in seinem Gesicht verschwand und er sah seine Frau an. Sie lächelte milde und meine Augen weiteten sich, als sie mir mit der Hand über meinen Kopf fuhr.

„Ich kenne dich, seit du ein kleines Baby warst, und jetzt bist du fast erwachsen. Und wie hübsch du geworden bist. Kein Wunder, dass sich Shoto in dich verliebt hat." Sie kicherte, während ich rot anlief.

Ich schluckte und dann stellte ich die Frage, die mir auf der Seele brannte. „Wieso kann ich mich an Shoto erinnern? Alle anderen scheinen ihn vergessen zu haben. Wieso ich?"

„Weil du ihn wahrhaft liebst. Wenn du jemanden einmal wahrhaft geliebt hast, ist dessen Name auf ewig in dein Herz geschrieben." Sie nahm mich in den Arm und drückte mich an sich. „Danke, dass du unseren Sohn so sehr liebst."

Liebe war also der Grund. Deshalb hatten ihn seine Eltern auch nicht vergessen.

„Katsuki Bakugo", ergriff der König wieder das Wort. „Du bist mein Patenkind und ich habe deiner Mutter versprochen, dich zu beschützen. Dennoch muss ich dich darum bitten, dass du in die siebte Hölle hinabsteigst, um unsere Söhne daraus zu befreien."

„Was hat es mit diesem Ort auf sich?"

„Dieser Ort ist die wahre Hölle. Erschaffen, um die schlimmsten Engel und Dämonen für immer einzusperren und ewig zu vergessen und sie bis zum Ende aller Zeiten zu bestrafen. Der hoffnungslose, grausamste Ort des gesamten Schattenreichs. Gequälte Seelen, an die sich niemand erinnert. Erinnern will. Erdacht und ins Leben gerufen vom Himmel selbst. Ich hatte das Tal der Vergessenen nie in Frage gestellt, bis Touya mich angefleht hatte, einen Engel daraus zu befreien. Dieser Engel wurde offensichtlich geliebt. Ich denke nicht, dass er diese erbarmungslose Strafe verdient hatte. Genau so wenig wie Shoto oder Touya. Du wirst dich nicht an meinen älteren Sohn erinnern."

Seine Worte sorgten dafür, dass sich etwas in meiner ohnehin brennenden Brust so schmerzhaft zusammenkrampfte, dass ich das Gefühl hatte, etwas zerquetsche mir den scheiß Brustkorb. Atmen! Ich musste atmen! Shoto war da unten und ich konnte mir noch nicht mal vorstellen, was dieser Ort aus ihm machen würde. Konnte es mir nicht vorstellen. Wie Shoto dort, in vollkommener Hoffnungslosigkeit, nicht endender Pein überlassen war.

„Wie kann es so einen Ort geben? Wie kann der Himmel so eine Hölle erschaffen? Das hat doch nichts Göttliches. Das ist Folter!" Ich holte ein paarmal tief Luft, bevor ich weitersprach. „Was hat das alles mit mir zu tun?"

„Bakugo, die Hölle der Vergessenen ist der einzige Ort in den dunklen Dimensionen, über den ich keine Macht besitze. Nur du bist in der Lage, das Portal aufzustoßen. Es ist dein Blut, das die Macht dazu besitzt, denn es war Nyx, die Göttin der Nacht, deine Mutter, die diesen Ort im Auftrag des Himmels erschaffen hat."

Ich schüttelte den Kopf. „Meine ... Mutter ...? Das kann nicht ... Sie hätte niemals ..."
Die Worte waren wie Asche in meinem Mund. „Nein ..."


Meine Gedanken überschlugen sich. Mein Herz raste. Ich wollte das nicht glauben. Aber welchen Grund gäbe es, mich anzulügen? Keinen. Die Erkenntnis brach bleischwer über mich herein und ich glaubte, dass gleich meine Knie nachgeben würden.

Shotos Mutter griff nach meiner Hand. Ihre Finger waren ungewöhnlich kühl. „Katsuki, ich kannte deine Mutter. Sie hat diese Hölle nicht freiwillig erschaffen und sie hätte sie am liebsten zerstört, als sie sah, wie viel unsägliches Leid er über die verdammten Seelen brachte. Doch man hätte sie aus dem Himmel verbannt." Sie drückte meine Hand kaum merklich fester. „Dieser Ort ist das pure Grauen, und dennoch bitte ich dich, genau dort hinzugehen, um meine Kinder zu befreien."

„Ich werde gehen und sie erretten." Meine Stimme klang fest, auch wenn alles in mir in Aufruhr war. Doch was gab es da noch zu überlegen? Ich würde Shoto unter keinen Umständen an so einem Ort zurücklassen.

Sie schlang die Arme um mich. Zog mich kurz an sich. „Danke, mein Sohn."

Mein Sohn? Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Ich sah sie mit offenem Mund an.
Doch dann legte Shotos Vater die Hand auf meine Schulter und ich spürte die bizarre Hitze durch meine Kleidung.

„Es gibt nur ein Portal in der gesamten Hölle, das hin- und zurückführt. Bewacht vom mächtigsten Höllenfürsten. Aber nicht einmal er kann es öffnen. Das kannst nur du. Fumikage wird dich nach Obsidian begleiten und für deinen Schutz sorgen, aber er kann die siebte Hölle nicht betreten. Das wird allein deine Aufgabe sein. Dort wird es nichts geben, das deinem Körper Schaden zufügt, aber möglicherweise wird deine Seele Leid ertragen müssen. Verlier dein Ziel nicht aus den Augen und dein Herz wird dich leiten. Folge dem Fluss des Feuers. Er bringt dich zu den Verliesen."

An den hässlichen Schmerz, der unentwegt durch meine Glieder fuhr, hatte ich mich inzwischen beinahe schon gewöhnt. Er war eine Mahnung, vielmehr eine stetige Erinnerung daran, dass ich nicht an diesen Ort gehörte und die Hölle selbst mich nicht hier haben wollte. Fumikage und ich hatten Tartaros verlassen. Über uns flog ein Schwarm seltsamer Kreaturen vorüber. Eine Mischung aus Vogel und Drache, wie es schien. Von weitem sahen wir die rotglühenden Lichter einer Stadt.

„Das ist Obsidian. Höllenfürst Leviathans Stadt. Dort befindet sich das Portal, das dich direkt in die siebte Hölle bringen wird. Mit dem Königssiegel, das du vom König erhalten hast, wird dich Fürst Leviathan passieren lassen."

„Ich kann meine Kräfte nicht nutzen. Mehr als ein kleines Knistern bekomme ich nicht zu Stande. Wir werden wohl laufen müssen."

Fumikage lachte schallend. „Mag ja sein, dass deine Kräfte hier zu schwach sind, dafür sind meine um einiges stärker als auf der Erde."

Er legte seinen Mantel ab. Seine schwarze Aura nahm die Gestalt eines scheiß urgewaltigen Vogels an und schlang sich um unsere beiden Körper. Noch ehe ich richtig wusste, was vorging, schwang sich das Unding mit uns in die Lüfte und brauste los. Wir folgten dem Flüsschen, das auf die Stadt zufloss und die Landschaft wie ein dunkles Band durchschnitt.

Die Stadt war ein riesiges Bollwerk, umgeben von machtvollen, schwarzglänzenden Obsidian-Mauern, die ihr offensichtlich ihren Namen verliehen. Überspannte von einer magischen Sphäre wie eine enorme Kuppel. Die gesamte Festung schien in rotem Licht zu pulsieren.

Wir landeten im Schatten des gewaltigen Haupttors, das uns mehr als zwanzig Meter überragte. Auf den Flügeln waren grotesk entstellte Gestalten zu sehen, die, wie es schien, lebendig darin gefangen waren. Auf dem Tor selbst thronte ein übergroßer Streitwagen, gezogen von drei weißen, absurd aussehenden, gigantischen Einhörnern, die aussahen, als wären sie nur Haut und Knochen. Rechts und links, auf hohen Basaltsäulen, hockten schwarze, gehörnte Gargoyl-Wächter und sahen mit rotglühenden Augen auf uns herab. Sie erinnerten mich an die in Shotos Apartment, nur dass diese hier, dreimal so groß waren. Verdammtes Schattenreich, wenn uns diese Monster angreifen würden, waren wir Geschichte.

Schnell zog ich das Königssiegel aus meiner Tasche und hielt es ihnen entgegen. Das Glühen erlosch und mit einem schauerlichen Geräusch, als würden unzählige gequälte Seelen aufschreien, öffnete das Stadttor.

Als wir die Pforte durchschritten, fühlte es sich an, als würde ein heißer Funkenregen unangenehm über meine Haut prickeln. Eine beunruhigende Atmosphäre schien uns regelrecht entgegenzuatmen und ich zögerte kurz, bevor ich Fumikage hinterhereilte.
„Lass uns auf direkten Weg zum Totenkopfpalast gehen."

„Versteht sich ja wohl von selbst, oder glaubst du, ich bin für Sightseeing hier?"

Wir schritten durch die engen, mit schwarzem Kopfstein gepflasterten Gassen der fast mittelalterlich wirkenden Stadt. Aber überall standen absonderliche Lampen. Mannshohe Glaszylinder, in denen rotglühende Kugeln schwammen, die alles in ein diffuses rotes Licht tauchten. Die bescheuerten Lampen erinnerten mich an überdimensionale Lavalampen, die es kaum schafften, die Dunkelheit zu vertreiben. Das rote Leuchten verlieh der Stadt das Aussehen, als wäre sie in Blut getaucht, und dieser abartige Geruch unterstrich das Ganze noch.

Die Straßen waren schmutzig und die scheiß Häuserwände waren übersät mit absonderlichen Flecken. Die seltsamen Laternen ließen düstere Schatten über die hohen Gebäude wandern. Alles hier schien aus Obsidian zu bestehen. Das Pflaster war von grauem Moos überwuchert und der beschissene Geruch von Rauch und Ozon lag schwer in der Luft und erschwerte mir das Atmen erneut.

Die labyrinthartigen Gassen waren mit Geschwätz, nicht menschlichem Geschrei und unheimlichem Gelächter erfüllt, das mir einen Schauder über den Rücken jagte. Darunter mischte sich das Rasseln von Ketten, das Knallen von Peitschen und das unverkennbare Klirren aufeinandertreffendem Metall.

Je weiter wir uns in die Stadt hineinwagten, desto bedrohlicher wurde die Atmosphäre. Die Gebäude wurden höher und düsterer, ihre Fassaden verwitterter. Dieser Teil der Stadt war offensichtlich älter. Das Flüstern von unzähligen Stimmen begleitete uns sowie zahllose gequälte Schreie. Immer mehr dunkle Schatten fegten wie Albträume vorbei.

Die Atmosphäre wurde erdrückender. Auf einmal hörte ich Scharren und Rascheln. Gemischt mit Fußgetrappel, wütendem Zischen und Fauchen.

Die Bewohner dieser verfluchten Stadt waren Dämonen und Yōkai und wo wir vorbeikamen, traten immer mehr aus ihren Bauten oder dunklen Schatten und Häuserecken, als zögen wir das Unheil an. Wie automatisch griff ich hinter mich, um meine Fluchwaffe zu ziehen.

„Wenn du das hier überleben willst, lässt du dein Schwert, wo es ist, und du solltest deine Aura verbergen."

„Tss... Ich habe nicht vor, hier Freundschaften zu schließen. Ist es noch weit?"

„Wir sollten gleich da sein. Aber dennoch sollten wir uns beeilen."

Das musste er mir nicht zweimal sagen und wir spurteten fast durch die verwinkelten Gassen.

„Fürst Leviathan ist nicht gut, auf Götter oder Menschen zu sprechen, aber solange du das Königsiegel bei dir führst, wird er dich in seinem Palast empfangen. Überlass mir das Reden."

Auf einmal öffnete sich die Straße zu einem weiten Platz.


Shoto

Für einen winzigen Moment, irgendwo zwischen Erwachen und Schlafen, glaubte ich, Sterne funkeln zu sehen. Glaubte, den Sommerwind zu spüren und die Wellen rauschen zu hören, die den salzigen Geruch des Meeres mit sich brachten. Ich wollte mich daran festklammern, doch das Traumbild zersprang in tausend Scherben.

Langsam schlug ich die Augen auf, doch es war hier so dunkel, dass es kaum einen Unterschied machte. Hier gab es weder Tag noch Nacht. Die Zeit selbst schien hier nicht zu existieren. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, wie lange wir hier waren. Stunden? Monate?

Auch ich fühlte mich innerlich erstarrt. Die Ausweglosigkeit hing schwer und toxisch wie Quecksilber in meinen Gedanken und Herzen fest. Zogen mich nach unten und höhlten mich vollkommen aus. Die Luft war stickig und die Wände schienen näher zu rücken.

Mein Körper fror und tat nach wie vor schrecklich weh. Ich konnte mich kaum bewegen. Aber was noch viel mehr schmerzte, war mein Herz. Unwillkürlich griff ich mir an die Brust, um die Hoffnungslosigkeit nicht weiter daran nagen zu lassen und das Gift dieses finsteren Schattenreichs mich verpesten zu lassen.

Ich musste stark sein, so wie Katsuki es von mir erwartet hätte, und ich musste bei klarem Verstand bleiben. Mich nicht der Furcht, geboren aus nichts als Dunkelheit, hingeben. Gegen all das anzukämpfen, so lange ich konnte. Dieses verfluchte Verlies würde mich nicht brechen. Ich war kein verdammter Schwächling.

Die Jammerlaute der gequälten Seelen machten mich wahnsinnig und jede Zelle meines Körpers schrie danach, diesem Horror zu entkommen, doch ich war in einer lähmenden Agonie gefangen.

Aber wenigstens war ich nicht allein.

Ich sah zu meinem Bruder, der zusammengekauert auf dem Boden lag und keinen Laut von sich gab. Apathisch. Ich rüttelte vorsichtig an seiner Schulter, aber er starrte nur weiterhin in die Finsternis. Er schien sich aufgegeben zu haben.

Auch, wenn es alles von mir abverlangte, riss ich mich aus meiner eigenen Pein und rückte ein Stück näher. Er war mein großer Bruder. Sollte er sich nicht um mich kümmern?

Erneut rüttelte ich an seiner Schulter. „Touya! Setz dich auf! Du hast selbst gesagt, Katsuki hat die Macht, die siebte Hölle zu öffnen. Er wird uns hier rausholen."

„Lass mich, Shoto! Es ist sinnlos. Niemand wird kommen, auch nicht dein verfickter Dämonenjäger." Die Resignation in seiner Stimme schien Tonnen zu wiegen. „Hier passieren keine Wunder. Und du solltest froh sein, wenn er nie diese Hölle betritt."

„Du bist ein Höllenfürst. Der Herrscher über die Fegefeuer. Du kannst nicht einfach die Flinte ins Korn werfen."

„Glaubst du, ich wollte je der Fürst über die Fegefeuer sein? Glaubst du, es macht Spaß, zuzusehen, wie all die Seelen bestraft und geläutert werden? Die Martyrien, bis zu ihrer Erlösung? Meinst du, ich hätte mir das ausgesucht?" Er setzte sich auf. Da lag so viel zerbrochenes Glück in seinen getrübten Augen, dass es wehtat. „Auch wenn ich der Sohn unseres Vaters bin, bin ich genauso wenig ein herzloser Dämon wie du, Shoto." Er schnaubte abfällig. „Zeitweise wünschte ich mir, keine Emotionen zu haben. Kalt zu sein, wie es mir eingeprügelt worden war."

Ich sah ihn mit großen Augen an. Seine Worte erschütterten mich bis ins Mark. Ich war ein wirklich schlechter Bruder. Nie hatte ich darüber nachgedacht, wie sehr auch er darunter litt, Vaters Befehle auszuführen. Ich griff nach seiner Hand und drückte sie.

„Wenn wir hier raus sind, werde ich nicht zulassen, dass er dich je wieder in die zweite Hölle schickt."

„Du glaubst immer noch daran, dass dein Freund dich retten wird? Hast du wirklich die Zuversicht, Vater würde das zulassen? Er würde doch nicht wegen uns die Regeln der Hölle brechen. Hawks war mein Licht. Er war der Einzige, der meine Seele davor bewahrte, sich in den Abgründen der Hölle zu verlieren."

Da war so viel Sorge und Kummer in seiner Stimme, dass es mir schier das Herz brach. Tränen stahlen sich aus seinen müden, verdunkelten Augen. Er weinte leise in die Finsternis. „Hoffnung, Shoto, existiert an solchen trostlosen Orten lediglich, um dich zu zerstören."

„Er wird uns befreien." Meine Stimme klang überzeugter, als ich es war. „Du wirst Hawks wiedersehen."

Meine Gedanken glitten zu Katsuki und Erinnerungen jagten durch meinen geschundenen Geist, und ich hatte keine Kraft mehr übrig, um sie zurückzudrängen. Ich sah wieder das Meer. Die untergehende Sonne ließ es wie Milliarden von Diamanten funkeln. Katsuki hielt meine Hand, so als hätte er Angst, sie loszulassen. Unsere nackten Füße versanken im warmen Sand und langsam verschwand die Sonne hinterm Horizont. Das Bild verblasste. Ließ schwarze Leere zurück.

Er war nicht hier und ich sollte auch nicht hier sein. Nicht im Tal der Vergessenen.

Hatte er mich womöglich auch vergessen? Was, wenn er nie kommen würde? Ich ihn nie wiedersehen würde? Das Band um mein Handgelenk schien zu brennen und zerrte an meinem Innersten, als wollte es mein Herz herausreißen. Wie sollte ich nur einen weiteren Tag überstehen? Eine weitere Stunde? Den nächsten Atemzug? Ich wimmerte, als brennende Panik in mir aufstieg. Ich hatte keine Kraft mehr. Erstickte fast an meinen stummen Tränen. Wollte mich einfach der verzehrenden Dunkelheit ergeben. Kämpfen war so viel schwerer. Ich war so erbärmlich.

Wollte ich nicht gerade noch stark sein, für Katsuki, für Touya und für mich? Genau das war es, was dieser Ort mit einem machte. Er saugte einen aus. Nahm einem die Kraft, nahm einem die Hoffnung. Und je mehr man sich an ihr festhalten wollte, desto mehr folterte er dich. Aber noch wollte ich die Hoffnung nicht fahren lassen. Katsuki würde kommen. Er würde uns hier herausholen. Er war mein Unmei no kizuna. Er würde kommen. Er würde mich niemals im Stich lassen. Der Gedanke war wie ein Funke, der es vermochte, die Finsternis fernzuhalten.


Unmei no kizuna - Band des SchicksalsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt