Katsuki
Mein Herz schien zu implodieren. Ich stürzte auf allen Vieren nach vorne, starrte in das schwarze Nichts des Risses. Ich spürte den mächtigen Sog in die Tiefe. Meine Sicht verschwamm. Jemand schrie. Schrie ... schrie ... schrie. War ich das? In meinen Ohren rauschte es. Tränen fielen zu Boden. Ich schnappte nach Luft, doch es fühlte sich an, als würde meine Lunge sich weigern, welche aufzunehmen. Jede Zelle meines Körpers schmerzte, verlangte nach Erlösung. Er war gefallen. Shoto war gefallen. Nein, jemand hatte ihn mit sich in die Tiefe gerissen. In die siebte Hölle. Ins Tal der Vergessenen.
Ich kippte zur Seite, mein Körper krampfte sich wie von selbst zusammen und ich lag da wie ein Embryo. Das hier konnte nicht wahr sein. Das war ein beschissener Albtraum. Ein Albtraum, aus dem ich nicht erwachen konnte.
Nein, das war noch nicht das Ende. Es gab Hoffnung. Shoto war ein Teufelssohn. Ein Sturz in die Hölle würde ihn nicht töten. Es gab Hoffnung. Ja, genau. Ich konnte ihn retten. Ich würde ihn retten. Ich bräuchte nur einen Plan. Irgendeinen Plan. Einen scheiß Plan.
Ich versuchte, die beschissenen Tränen aus den Augen zu blinzeln, doch sie wollten nicht versiegen. Verschleierten mir immer noch die Sicht. Was, wenn ich einfach hinterher springen würde. Das war doch ein Plan, oder? Sobald mein Körper aufhörte zu zittern und ich mich bewegen konnte, würde ich springen. Die Tätowierung um meine Hand schien mir in die Haut zu schneiden und riss mich aus meiner Agonie. Der Wald um mich stand in Flammen und der drecks Rauch brannte in den Lungen. Ich hustete. Ganz langsam kam ich auf die Knie.
Auf einmal spürte ich eine Hand auf meinen Schultern. Ich sah auf und blickte in die dunklen Augen von Sensei Aizawa. Er zog mich in seine Arme weg von dem Riss, während Sensei Kayama, ihn versiegelte.
„Was ist los? Willst du dich umbringen?" Seine Stimme klang alarmiert. „Was treibst du hier und was für seltsame Nachrichten schickst du mir? Was soll das heißen, Touya will dich töten und so die Apokalypse auslösen? Und wer zum Teufel ist Shoto? Ich würde ja sagen, du stehst unter Schock, auch wenn ich nicht weiß, was hier passiert ist, aber du hast ihn schon in deiner Nachricht erwähnt. Nimmst du Drogen?"
Ich blickte ihm in die Augen. Suchte nach einem Anzeichen, dass das ein schlechter Witz war, doch alles, was ich sah, war ein ungläubiger Ausdruck.
„Shoto", sagte ich nachdrücklich, als müsste das alles erklären.
„Shoto und weiter?"
„Nur Shoto."
Seine Stirn legte sich in Falten. „Wir reden aber hier nicht von einem entlaufenen Hund oder so?"
Ich schüttelte entgeistert mit dem Kopf. „Wollen Sie mich verarschen? Wir reden hier von dem Austauschschüler aus Kanada, den Sie vor einigen Wochen in unsere Klasse gebracht haben. Wir reden von meinem Unmei no kizuna."
„Hast du dir den Kopf gestoßen?" Er fuhr mir über die Haare.
„Lassen Sie das!", knurrte ich und schlug seine Hand weg. „Wir reden von Shoto, der im Training den Kampf-Androiden geschrottet hat."
„Katsuki es gibt keinen Austauschschüler Namens Shoto an unserer Schule. Du hast den Androiden geschrottet. Die UA nimmt keine Austauschschüler auf."
Ich sah zu Sensei Kayama, die mir einen mitfühlenden Blick zuwarf und fast entschuldigend den Kopf schüttelte. Langsam sickerte die Erkenntnis in meinen Kopf. Die siebte Hölle. Das scheiß Tal der Vergessenen. Die Hölle trug den Namen nicht umsonst. Ich legte die Hand auf meinen Mund und kämpfte gegen den Würgereiz an, der in mir hochstieg.
„Katsuki, was ist hier passiert?"
Ich gab keine Antwort. Er würde mir eh nicht glauben.
Ich ließ den Kopf sinken und starrte auf mein Handgelenk. Das rote Band schmerzte immer noch. So als würde es sich zu eng darum schlingen, und daran ziehen, um es zu zerreißen. Was, wenn ich ihn auch vergessen würde? Jetzt hatte ich das Gefühl, dass sich auch etwas um mein Herz enger zuzog, und ich fasste mir an die Brust. Verzweifelt biss ich mir auf die Unterlippe, bis ich Blut schmeckte. Ich musste etwas unternehmen, bevor das geschah und es keine Hoffnung mehr für Shoto geben würde. Gab es etwas Grausameres? Gefangen bis zum Ende aller Zeiten, von allen vergessen und ohne jegliche Hoffnung. Wieder drängten sich Tränen in meine Augen.
Sensei Kayama reichte mir mein Schwert. „Deine Hand. Sie ist verletzt. Ist das dein Blut?" Sie wies auf mein Shirt. „Komm mit mir, ich verbinde das."
Ich sah auf meine Hand. Sie war bereits dabei zu heilen. Neue Haut hatte sich gebildet, aber da die versengte noch in Fetzen daran klebte, sah es übler aus, als es war. Und mein Shirt sah nicht besser aus, wo mich die Hexe gestochen hatte.
Ich schüttelte den Kopf. „Das ist nichts. Ich muss mit Professor Yagi sprechen." Er würde sich auch nicht an ihn erinnern, aber er würde mir glauben. Ganz bestimmt würde er mir glauben.
„Du solltest erst mal zurück in die Akademie. Du hast offensichtlich einen Schock und du musst die Hand behandeln lassen. Der Hubschrauber bringt dich zurück."
„Ich muss mit Yagi sprechen!", wiederholte ich mit Nachdruck.
„Er ist auf dem Weg zu UA. Du kannst dort mit ihm sprechen!", mischte sich Aizawa ein und half mir auf die Beine.
Ich nickte kurz und folgte Professor Kayama.
Yagi sah mich ernst an. Ich hatte ihm erzählt, was in den Bergen passiert war. Natürlich konnte er sich auch nicht an Shoto erinnern, aber er wusste, was die siebte Hölle war und glaubte mir, obwohl ich mich selbst nicht an alles erinnern konnte, was auf der Lichtung geschehen war. Es war so verrückt.
„Ich werde ihn da rausholen, egal wie."
„Du kannst nicht einfach in die Hölle marschieren. Die Hölle ist toxisch für Menschen."
„Ist mir egal und ich bin nur ein halber Mensch."
„Katsuki ..."
„Nein! Ich werde auf jeden Fall gehen. Er ist mein Unmei no kizuna", erinnerte ich ihn und streckte ihm meinen Arm entgegen.
Seine Augen weiteten sich, als er die Bindungen sah. „Es sind drei", stellte er unnötigerweise fest.
„Ja, ganz genau, es sind drei. Auch der verfickte Tod kann uns nicht trennen. Aber noch lebt er. Ich wüsste es, wenn es anders wäre."
„Verstehe."
Ich ging zurück auf mein Zimmer. Ich brauchte eine Dusche. Auch wenn ich wusste, dass Shoto jede Sekunde, die verging, mehr litt, brauchte ich noch dringender etwas Schlaf. Wenn ich erst in der Hölle war, würde ich jedes bisschen Kraft brauchen, um durchzuhalten. Zuvor hatte ich noch einen Abstecher in die Mensa gemacht und mir ein Sandwich mitgenommen.
Wahrscheinlich, weil ich völlig erschöpft war, hatte ich tatsächlich wenige Stunden Schlaf gefunden. Ich stand auf und sah mich in meinem Zimmer um. Was sollte ich mitnehmen? Was gab es, das ich besaß, und was mir helfen könnte, durch die Hölle zu gehen? Nichts. Das Einzige, was ich mitnahm, waren Dynamight, meine Fluchklinge, und das Amulett, das ich von Shoto bekommen hatte. Dann machte ich mich auf den Weg.
Yagi fuhr mich zum Pandämonium. Als ich aussteigen wollte, hielt er mich am Arm fest und sah mir mit seinen stechenden Augen in meine. Doch dann ließ er mich los und wendete den Blick ab. Was sollte man auch jemandem sagen, der dabei war, in die verfluchte Hölle zu fahren? Ich öffnete die Beifahrertür.
„Pass auf dich auf!", sagte er noch.
Ich gab ihm keine Antwort. Ich ging nicht in die Hölle, um auf mich aufzupassen.
Unschlüssig stand ich vor der Eingangstür des Pandämoniums. Würde ich Fumikage davon überzeugen können, dass er mir half? Ich straffte die Schultern und trat ein. Noch bevor die Tür hinter mir ins Schloss gefallen war, schnappte mich Fumikage und zog mich hinter sich her in den Keller.
„Hey!"
„Da bist du ja endlich. Was hat dich so lange aufgehalten?"
Er zog mich in ein kleines Zimmer, in dessen Mitte ein runder Tisch stand und auf dem ein Rucksack lag. Mein Blick fiel auf eine reichlich verzierte Tür, die ein wenig aussah wie eine goldene Fahrstuhltür.
„Warte! Du kannst dich an Shoto erinnern?"
Er senkte den Kopf. „Nein, nicht wirklich. Nur an manches. Es ist seltsam. Das Bild, das ich von ihm habe, scheint vor meinen Augen zu verschwimmen. Aber ich kann mich erinnern, dass er mir sehr wichtig war, und du warst ihm sehr wichtig."
„Aber woher ..."
Bevor ich die Frage stellen konnte, drückte er mir einen altertümlich wirkenden Zylinder in die Hand.
„Teufelsdepesche."
„Wieso sieht das Ding aus wie ein scheiß Rohrpostbehälter?", sagte ich mehr zu mir selbst und zog den Deckel ab und entnahm das Pergament. „Das ist nicht japanisch. Ich kann das nicht lesen."
„Die ist von Seiner Majestät. Da steht, dass du der Einzige bist, der seine zwei Söhne aus der siebten Hölle retten kann und ich dich zum Tartaros bringen soll."
„Der Einzige? Und wieso ich? Und wieso zwei Söhne?"
Fumikage zuckte mit den Schultern. „Ich habe keine Ahnung. Das wird dir dann Ihre Majestät erklären."
„Warte! Du bringst mich zum Teufel?"
Sein Blick fiel auf mein Handgelenk und er griff danach. „Ich bringe dich zu den Eltern deines Unmei no kizuna." Er ließ meinen Arm los und drückte mir den Rucksack in die Hand. „Das ist etwas Verpflegung für dich. Du darfst nichts, was aus der Hölle kommt, essen oder trinken, oder du wirst zum Dämon. Vergiss das nicht."
„Tss ... wie könnte ich das vergessen!"
„Ich öffne jetzt das Portal. Es führt uns in die erste Höllendimension. Du wirst eine Weile brauchen, bis du dich daran gewöhnt hast."
Er entriegelte das Siegel, das auf der Tür lag, und sie fuhr auf. Eine grausame Dunkelheit starrte mir entgegen, als würde ich in mein eigenes scheiß Grab blicken. Etwas schien sich um meinen Hals zu schlingen und mir die Luft zu rauben. Panik stieg in mir auf. Schien wie Gift durch die Adern zu rauschen. Ich konnte mich nicht bewegen. Mein Herz hämmerte wie ein Vorschlaghammer in meinem Kopf. Ich wollte fliehen. Kapitulieren vor dem Grauen. Es wäre so viel leichter. Aber Shoto ...? Nein! Wenn ich ihn aufgeben würde, ihm diesem Schicksal überlassen würde. Mein Herz wäre für alle Zeiten in tausende winzige Scherben zertrümmert. Ich könnte nie wieder heilen, nie wieder ganz sein. Die Schuld würde mich zerfressen. Selbst wenn ich meine Seele mit einer Taubheit überziehen würde, um nichts mehr spüren zu können, würde es in mir immer einen Teil geben, der lautlos schrie. Das macht mir mehr Angst, als die unheilvolle Hölle vor mir. Mein beschissenes Schicksal lag in der finsteren Dimension. Wie von selbst setzte sich mein Körper in Bewegung und ich folgte Fumikage.
Ich hatte das Gefühl, wie in einem viel zu schnellen Fahrstuhl in die Tiefe zu rasen. Schwarze Funken tanzten überall. Mir schwindelte und mir wurde schlecht. Auf meine Brust legte sich ein unguter Druck, der nach meinem Herzen zu greifen schien, und wenn ich auch nicht wusste warum, schwand die Hoffnung, die gerade noch in mir brannte.
Wir traten aus dem Portal. Ich roch Ozon und augenblicklich hatte ich den Eindruck, nicht genügend Luft zu bekommen, und jeder Atemzug schmerzte wie Säure in meinen Lungen. Meine Augen tränten. Ich ging in die Knie und schnappte panisch nach Luft, die gleichzeitig meine Organe zu durchbohren schien.
Fumikage legte beruhigend die Hand auf meine Schulter. „Ich weiß, es tut weh, aber es wird gleich besser werden. Du bist ein Halbgott, dein Körper wird schnell damit klar kommen."
Verdammtes Schattenreich! Das hier war die verfluchte Hölle. Allein das Wort erfüllte mich mit so tiefem Grauen, dass ich mir selbst den Tod herbeisehnte. Ich spürte, wie sich unbarmherzige Klauen wie nackte Angst um meinen Brustkorb legten, bereit, sich jeden Augenblick in mein beschissenes Herz zu graben.
Er behielt Recht. Nach wenigen Minuten bekam ich einigermaßen Luft und der Schmerz ebbte etwas ab, verschwand aber nicht.
Ich kam auf die Beine und erst jetzt konnte ich mich umsehen. Meine Augen hatten sich zwischenzeitlich auch an dieses seltsame Licht gewöhnt, das von den zwei schwarzen Sonnen ausging. Zudem leuchtete mein Talisman wie eine kleine Taschenlampe, und sein Licht schien bis in meine Seele zu strahlen und begann langsam, die aufziehende Dunkelheit zurückzudrängen.
Ich hatte erwartet, dass es heiß sein würde, doch das Gegenteil war der Fall. Es war unangenehm kühl.
Fumikage griff nach dem Amulett. „Der Stein ist mit Mana gefüllt. Er wird die Finsternis dieses Ortes, bis zu einer gewissen Schwelle, von deinem Herzen fernhalten. Verlier ihn nicht."
Shoto
Mein Bewusstsein kehrte zurück. Langsam, als müsste es sich schwerfällig durch dickflüssigen, klebrigen Sirup kämpfen. Irgendetwas Grundlegendes war falsch. Stimmte ganz und gar nicht. Ich spürte es in jeder Faser meines Körpers, noch bevor es mein lädierter Geist begreifen konnte.
Als ich die Augen aufschlug, war mein erster Gedanke – Katsuki. Die Melodie, die in meinem Herzen erklungen war, seit wir Unmei no kizuna waren, war verhallt. Ich fasste mir ans Handgelenk, das schmerzte, als hätte jemand eine Fessel zu fest angelegt. Kälte durchdrang meinen Körper, meine Gedanken, mein Herz. Raubte alles Schöne, jedes Lächeln, jeden glücklichen Gedanken. Raubte mir jegliches Gefühl von Wärme, schien sogar die Erinnerung daran zu rauben. Mein Herz hämmerte wie wild gegen den Brustkorb und ich richtete mich vorsichtig auf. Mein Körper schmerzte.
Es war dunkel hier. Dunkel und kalt. Das magische Licht der zwei Sonnen erreichte diesen Ort kaum noch. Ich fror erbärmlich.
Aus der Ferne hörte ich überall um mich herum die gedämpften Schreie. Bilder, die ich nicht sehen wollte, formten sich in meinem Kopf. Gequälte, verrottende Seelen. Gefangen für die Ewigkeit. Vergessen von allen Welten. Keine Hoffnung auf Erlösung. Keine Hoffnung auf ein Ende. Keine Hoffnung.
Natürlich hatte ich von diesem grausamen, albtraumhaften Ort gehört. Das Tal der Vergessenen. Die Hölle in der Hölle. Ein Ort nicht enden wollender Pein. Ohne Chance auf Rettung.
Langsam setzte ich mich auf. Die Luft war selbst für mich schädlich. Jeder Atemzug schmerzte. Von meinen sonst so prächtigen Flügeln war nicht mehr viel übrig. Was nicht eh schon verbrannt gewesen war, hatte der Höllensog zerstört oder ausgerissen. Hier würden sie sicher nicht heilen. Dieser Ort hatte mich jeglicher Kräfte beraubt. Vergeblich versuchte ich, mein Feuer zu entzünden, um besser etwas erkennen zu können. Ich sah mich um. Das hier war ein hermetisch abgeschlossener Raum, nur vier teerschwarze Wände. Touya lehnte zusammengesunken an der kahlen, kalten Wand gegenüber. Seine Flügel waren gebrochen und bar jeder Feder. Blut sickerte aus einem Schnitt an seinem Kopf. Sein gesamter Körper schien eine einzige blutverkrustete Wunde zu sein. Wieso war ich nicht verletzt? Hatte er meinen Sturz abgefangen?
Die unnatürliche, drückende Schwere, die auf meiner Seele lastete, raubte mir jegliche Kraft und hinterließ ein brennendes Nichts. Ich hatte noch nicht mal die Kraft, ihn zu hassen. Verdammt Touya. Warum?
Sein Blick war leer, sein Körper geschwächt von den Qualen, die er durchlitt. Er zitterte wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Der kalte Hauch der Verzweiflung kroch offensichtlich auch unaufhaltsam in ihn. Noch nie hatte ich meinen Bruder so gesehen.
Wir beide hatten uns bereits seit unserer Kindheit entfremdet, was auch die Schuld meines Vaters war. Ich hatte immer geglaubt, er würde mich auf den Tod hassen, doch jetzt hatte er versucht, mich zu schützen? Das passte nicht zu dem Bild, das ich von ihm hatte.
„Bruder?" Meine Stimme klang rau und tonlos, als hätte ich sie seit Wochen nicht benutzt. Wie lange war ich ohnmächtig gewesen?
Er hob schwach den Kopf, sah mich für eine Sekunde an, um sofort wieder den Blick zu senken. Und dennoch erkannte ich, dass seine Augen erfüllt von Qual und Verzweiflung waren.
„Ich habe ihn endgültig verloren." Er sprach so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte. Seine Stimme von endloser Müdigkeit gezeichnet und bitterschwarzer Schwermut. „Es gibt keine Hoffnung. Wir sind alle verdammt."
„Wen hast du verloren?"
„Hawks." Seine Stimme brach.
„Wer oder was ist Hawks?"
Er gab keine Antwort. Rannen da Tränen über seine Wangen? Ich biss die Zähne zusammen, krabbelte auf allen Vieren zu ihm und setzte mich direkt neben ihn. Um das bisschen Wärme unserer Körper zu teilen. Ich hörte Touya kaum vernehmlich schluchzen. Wer immer Hawks war, er schien jemand Wichtiges für ihn zu sein. Jemand Besonderes.
„Erzähle mir von ihm!"
Er schüttelte den Kopf.
„Wieso, hast du etwas Besseres zu tun?"
Mein Bruder schwieg, und ich bedrängte ihn nicht weiter und hing meinen eigenen Gedanken nach. Wie es wohl Katsuki erging? Jetzt stiegen auch mir die Tränen in die Augen. Wir würden uns nie wiedersehen. Aus dieser Hölle gab es kein Entkommen. Das hier war endgültiger als der Tod. Das Gefühl der absoluten Hoffnungslosigkeit fraß sich in mein Gedärm und saugte langsam meine letzten Kräfte auf.
„Er ist mein Freund", murmelte Touya auf einmal. „Mein Seelengefährte. Meine einzige Liebe." Ich antwortete nicht und er sprach weiter. „Hawks ist ein Engel. Ein Schutzengel. Ein gefallener Engel. Er hatte mich beschützt, weil er glaubte, ich sei in Gefahr. Ich hatte mich mit einem beschissenen Todesengel angelegt. Sich mit einem Todesengel anzulegen, ist so, als ob man sich mit dem Schicksal, anlegen will. Sie sind die Einzigen, die in das Schicksal eingreifen können. Und dieser Sensenmann wollte nur unsere beiden Fäden durchtrennen. Weil sich Hawks einmischte, riss dafür ein Faden eines Menschen, dessen Zeit noch nicht gekommen war. Ein Mensch, den er hätte beschützen sollen. Es war meine gottverdammte Schuld, nicht seine. Ich wollte ihn nicht gehen lassen. Das wissen diese heuchlerischen Götter genau. Aber mich können sie nicht bestrafen. Also haben sie ihn bestraft. Er wurde nicht einfach nur aus dem Himmel ausgewiesen, nein, er wurde ins Tal der Vergessenen verbannt. Diese Mistkerle wollten ihn ausradieren. Niemand sollte sich daran erinnern, wie ein Engel dem Sohn des Teufels verfallen war."
Ich sah, wie er die Hände zu Fäusten ballte. Sein Körper bebte. Ich legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. Er war also der Grund, warum mein Bruder immer seltener in der Hölle anzutreffen gewesen war.
„Aber es ist ihnen nicht gelungen. Denn du erinnerst dich an ihn."
„Nein, das ist es nicht. Aber er leidet, Shoto. Ich spüre jeden Tag seine Qualen. Er ist eine unschuldige Seele und leidet wegen mir. Ich habe Vater angefleht, ihn da herauszuholen, aber der Drecksack meinte nur, dass er die Regeln der Hölle nicht für einen gefallenen Engel ändern kann. Ich wollte ihn retten. Um jeden Preis. Doch jetzt ist alle Hoffnung verloren. Obwohl er das alles nie gewollt hätte. Für ihn, für mich und für dich. Und all das ist meine Schuld."
„Nein, Bruder! Du darfst die Zuversicht nicht fahren lassen. Glaub mir, irgendwo da draußen gibt es Hilfe. Katsuki ... er würde mich niemals im Stich lassen. Katsuki wird uns finden. Er wird uns retten. Wenn es einer schafft, dann er. Egal, wie aussichtslos es scheint", versuchte ich, die winzige Flamme der Hoffnung am Leben zu erhalten, die nicht nur Touya dringend brauchte.
Er hob den Kopf und betrachtete mich fast ungläubig. „Dein Vertrauen in deinen Freund scheint unumstößlich zu sein."
„Das ist das Einzige, das ich noch habe, und ich kann es mit dir teilen."
Er schloss die Augen und drehte den Kopf zur Seite. „Es tut mir leid, Shoto. All das ist allein meine Schuld. Ich habe deine Freundlichkeit nicht verdient. Ich habe dir so viele schlimme Dinge angetan."
Da war er nicht der Einzige. Wieso fiel es mir weitaus leichter, ihm zu vergeben als meinem Vater?
„Ich vergebe dir", sagte ich leise.
Er sah mich mit großen Augen an, und als hätte ich ihm ein Geschenk gemacht, lächelte er und auch ich musste lächeln. Und ich spürte, wie sich etwas in meinem Innern erwärmte und ein wenig die Kälte aus meiner Seele vertrieb.
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Unmei no kizuna - Band des Schicksals
FanfikceYōkai, Engel, Dämonenjäger, Götter und Menschen... Die Fäden des Schicksals sind unfassbar stark, wenn auch oft verworren. Kann am Ende das zusammenfinden, was zusammengehört? Oder schaffen es, die dunkelsten Mächte sie für alle Zeiten zu zertrennen...