Neues Selbstbewusstsein im Traumkleid

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Seit dem Unfall waren zwei Wochen vergangen, und ich fühlte mich mittlerweile wieder richtig gut. Meine blauen Flecken waren fast vollständig verschwunden, und Kopfschmerzen hatte ich nur noch selten. Einzig mein Arm schmerzte noch, wenn ich ihn versehentlich belastete – wie zum Beispiel beim Socken anziehen. Das war die absolute Hölle. Einhändig ging da gar nichts.

Während wir beim Frühstück saßen, tippte Jessy eifrig auf ihrem Handy. Sie sah mich an und sagte: "Die anderen fragen, ob wir heute Abend mit in die Aurora wollen. Da ist Karaokeabend, der ist immer gut besucht." 
"Oh ja, gerne!", sagte ich begeistert. Ich liebte Musik und Singen, auch wenn ich das bisher nur alleine zu Hause gemacht hatte.

In den letzten Tagen war ich öfter in der Aurora gewesen und hatte viel mit Phil geredet. Es war immer das gleiche Spiel: Er flirtete, was das Zeug hielt, und ich ließ ihn abblitzen. Mittlerweile war das schon zu einer Art Spiel zwischen uns geworden. Thomas, Hannah, Lilly und Cleo hatte ich dort auch schon kennengelernt – allesamt super nett. Dan würde ich erst heute Abend treffen.

Ich biss in mein Brötchen, als mir plötzlich einfiel, dass ich nichts zum Anziehen hatte. 
"Ach Jessy," nuschelte ich mit vollem Mund, "ich muss unbedingt noch einkaufen. Für heute Abend habe ich nichts Passendes." 
"Klar, kein Problem. Wir können in die nächste Stadt fahren und shoppen gehen."

Nach dem Frühstück machten wir uns auf den Weg in die Stadt. Wir gingen in eine kleine Boutique mit wunderschönen Kleidern. Jessy kam mit einem roten Kleid für mich an. Ich verzog das Gesicht. 
"No way. Ich hasse Rot, egal bei was." 
Sie drehte sich ohne Kommentar um und lachte leise. Ich stöberte weiter durch die Kleiderstangen, bis ich es sah: Mein Traumkleid. Ich nahm es und ging in die Umkleidekabine. Als ich es anzog und vor den großen Spiegel trat, war ich sprachlos. Das Kleid war einfach perfekt. Es war schwarz, ärmellos und hatte einen schönen, dezenten Ausschnitt. Es war weder zu kurz noch zu lang, schmiegte sich an meine Brüste und Taille und war ab der Taille weit geschnitten. Das Kleid endete knapp vor meinen Knien und hatte feine Glitzerelemente.

"Jessy, ich hab mein Traumkleid gefunden!", rief ich ihr zu. 
Sie kam sofort angelaufen und ihre Augen weiteten sich. 
"Wow, Lia, das ist wunderschön!" 
"Ja, oder? Ich bin total verliebt!", antwortete ich glücklich.

"Jetzt noch die passenden Schuhe dazu, und die Männer laufen dir heute Abend sabbernd hinterher!", sagte Jessy lachend.

Ich fand schwarze Stilettos mit Schnürungen um die Knöchel sowie eine Halskette mit passendem Armband. Mein Outfit war jetzt perfekt. Ich bezahlte die neuen Sachen, und wir fuhren voller Vorfreude zurück nach Duskwood. Ich konnte es kaum erwarten, bis der Abend endlich begann.

Gegen 19 Uhr waren Jessy und ich fertig gestylt und angezogen. Wir riefen uns ein Taxi, damit Jessy auch etwas trinken konnte und keiner von uns den Fahrer spielen musste. Wir wollten noch etwas in der Aurora essen, deshalb fuhren wir so früh los.

Als der Taxifahrer uns vor der Aurora absetzte, bezahlte ich und bedankte mich. Wir gingen hinein und setzten uns an unseren, mittlerweile, Stammplatz – nah an der Bar und mit gutem Überblick über den Raum. Von Phil war noch keine Spur zu sehen, er fing wohl später an, was bedeutete, dass er mit einem langen Abend rechnete. Wir bestellten uns etwas zu essen und aßen in aller Ruhe.

Gegen 20 Uhr füllte sich die Aurora langsam, und unsere Freunde trudelten nach und nach ein. Wir standen auf, um jeden zu begrüßen und zu umarmen. Als ich zu Dan kam, musterte er mich von oben bis unten. 
"Halleluja, du bist also Lia. Jessy hat nicht übertrieben – du siehst umwerfend aus." 
Ich wurde rot. "Hi Dan," sagte ich schüchtern und umarmte ihn. "Danke für das Kompliment." Ich lächelte ihn an.

Wir saßen noch eine Weile zusammen und unterhielten uns, als ich Phil an der Bar entdeckte. 
"Ich geh mal eben Phil Hallo sagen", sagte ich zu Jessy. Sie nickte und lächelte.

Ich ging zu Phil rüber. 
"Na, altes Haus. Heute mal später angefangen?" 
Phil drehte sich zu mir um und verschluckte sich fast. 
"Wow, Lia. Was hast du heute Abend vor? Die Männer verrückt machen?" 
"Haha", sagte ich spöttisch. "Ich fand das Kleid einfach wunderschön, also musste ich es kaufen." 
"Ja, wunderschön ist das Kleid, aber vor allem du darin", sagte er bewundernd. Ich boxte ihm leicht gegen den Oberarm. 
Er sah mich skeptisch an. "Dieses Spielchen hatten wir doch schon, Lia. Nur heute kann ich für nichts garantieren." 
"Okay, dann halte ich heute lieber Abstand", sagte ich lachend. Ich setzte mich auf einen Hocker an der Bar, um mich noch ein wenig mit Phil zu unterhalten, bevor er später keine Zeit mehr haben würde.

Mittlerweile war die Aurora gut gefüllt, und die ersten Gäste trauten sich ans Karaoke-Mikrofon. Bei manchen Auftritten musste ich schmunzeln, aber darum ging es ja nicht – es sollte Spaß machen.

Als fröhlichere Lieder gespielt wurden, kam Jessy zu mir an die Bar und fragte, ob ich tanzen wollte. Freudig stimmte ich zu, und sie zog mich lachend auf die Tanzfläche.

Jessy und ich tanzten ausgelassen zu den fröhlichen Rhythmen, die durch die Aurora hallten. Der Raum vibrierte förmlich vor Energie, und die Leute auf der Tanzfläche schienen sich genauso von der Musik mitreißen zu lassen wie wir. Der Schmerz in meinem Arm war längst vergessen – das Adrenalin und die gute Laune ließen mich alles andere ausblenden.

Zwischendurch konnte ich aus den Augenwinkeln Phil beobachten, der hinter der Bar emsig Getränke mischte, dabei immer wieder einen kurzen Blick zu mir warf. Ich musste grinsen. Es war mittlerweile ein vertrautes Spiel zwischen uns, und ich konnte seine Scherze genauso gut erwidern wie er meine. Doch heute Abend hatte ich keine Lust auf Flirts. Ich wollte einfach nur Spaß haben, und die Stimmung in der Aurora war perfekt dafür.

Jessy und ich drehten uns lachend im Kreis, als plötzlich das Licht etwas gedimmt wurde und der DJ ankündigte, dass nun die ruhigeren Lieder für den Abend starten würden. Ich spürte, wie Jessy aufhörte zu tanzen und mich schmunzelnd ansah. „Na, willst du nicht doch mal auf die Bühne?“

Ich lachte und schüttelte den Kopf. „Nee, das traue ich mich nicht. Vielleicht irgendwann mal – aber nicht heute!“

„Ach komm schon! Du singst doch immer, wenn wir alleine sind, und du hast eine so schöne Stimme!“, drängelte sie weiter. Ich überlegte kurz. Es wäre schon eine Herausforderung, hier vor allen Leuten zu singen, und tief in mir drinnen reizte mich die Idee. Aber heute Abend? Ich war mir nicht sicher.

„Ich schau mal noch ein bisschen zu. Vielleicht später“, sagte ich schließlich und wir setzten uns wieder an unseren Tisch, wo Dan und die anderen bereits auf uns warteten.

„Habt ihr euch ausgetobt?“ fragte Dan grinsend, während er sich auf seinen Stuhl zurücklehnte und uns beiden ein Getränk anbot. „Ja, fürs Erste“, antwortete Jessy und nahm einen Schluck. „Aber ich glaube, Lia wird heute noch auf der Bühne landen.“

Dan sah mich neugierig an. „Oh, wirklich? Das würde ich ja gerne sehen!“

Ich winkte ab. „Mal schauen... vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich lass es euch wissen.“

Die Zeit verging schnell, die Stimmung wurde immer lockerer und ich fühlte mich rundum wohl. Irgendwann, als ein besonders schönes Lied lief, ertappte ich mich dabei, wie ich leise mitsang, ohne es richtig zu merken. Jessy sah das natürlich sofort und boxte mir grinsend in die Seite. „Du willst es doch! Los, auf die Bühne mit dir!“

Ich lachte und hob die Hände abwehrend. „Okay, okay, vielleicht doch."

Ich ging Richtung Bühne, wartete, bis der Mann vor mir mit seiner Performance fertig war, und stieg die drei Stufen hinauf. Oben angekommen, ging ich zum DJ und sagte ihm: „Hi, ich würde gerne Shallow von Lady Gaga singen.“ Er nickte und fragte: „Hast du einen Duett-Partner oder soll ich jemanden für dich finden?“

„Ähm, nein, ich habe niemanden. Mal sehen, ob sich jemand traut,“ antwortete ich lachend, doch innerlich war ich unsicher.

Der DJ nahm sein Mikrofon und verkündete: „Hey, Party People, die junge, hübsche Dame hier sucht einen Duett-Partner für Shallow.“ Doch niemand machte Anstalten, sich Richtung Bühne zu bewegen. Langsam wurde mir die Situation unangenehm, und ich überlegte schon, ob ich lieber einen anderen Song wählen sollte.

Der DJ ließ nicht locker: „Ach, kommt schon, Männer! Seid keine Feiglinge. Es geht hier um Spaß, nicht um Talent!“ Seine Worte hallten durch den Raum, aber es tat sich immer noch nichts. Gerade als ich ihm sagen wollte, dass ich auch etwas anderes singen könnte, sah ich, wie sich ein großer, athletischer Mann durch die Menge auf die Bühne zubewegte.

Vergiss mich nicht - eine Duskwood StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt