Zwischen Leben und Vergessen

19 1 0
                                    


**Lias Sicht**

Das Meer zog mich unbarmherzig in die Tiefe. Panik schoss durch mich hindurch. Ich, die Wasserratte, ertrank in meinen eigenen Ängsten. Ein schrilles Piepen durchdrang den Albtraum und riss mich zurück in die Wirklichkeit.

Ich schlug die Augen auf und blickte mich desorientiert um. Weiße Wände, das monotone Piepsen eines Herzmonitors - ein Krankenhaus. Wie war ich hierhergekommen? Mein Kopf pochte wie ein Vorschlaghammer, und jeder Atemzug schmerzte. Verwirrt tastete ich nach meinem Kopf und fühlte einen Verband. Mein linker Arm war unbeweglich in einer Schiene fixiert.
„Hallo Frau Hansen, schön, dass Sie wieder wach sind", ertönte eine sanfte Stimme. Eine Krankenschwester stand am Bett und lächelte mich an.

„Was ist passiert? Wo bin ich?", hauchte ich.
„Sie hatten einen schweren Unfall an einem Wasserfall in Duskwood. Ihre Mutter ist auch schon da."

Duskwood? Ein Wasserfall? Die Namen hallten in meinem Kopf wider, ohne dass sie irgendwelche Erinnerungen hervorriefen. Ein dunkler Schleier lag über meiner Vergangenheit. Je mehr ich versuchte, mich zu erinnern, desto stärker pochte mein Kopf.
Ich schloss die Augen und gab mich der Ohnmacht hin. Wo war mein Leben vor diesem Unfall? Wer war ich wirklich? Die Fragen schwirrten in meinem Kopf herum, während ich langsam wieder in den Schlaf glitt.

Als ich später wieder aufwachte, saß meine Mutter auf einem Stuhl neben meinem Bett. Sie las in einem Buch, aber als ich mich zu ihr drehte und heiser „Hallo, Mama" flüsterte, legte sie es sofort beiseite. „Lia, mein Schatz, endlich bist du wach", sagte sie mit zittriger Stimme und griff nach meiner Hand, die sie sanft streichelte. „Wie geht es dir?"

Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen, aber alles fühlte sich wie ein Nebel an. „Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht. Ich bin verwirrt. Ich kann mich an nichts erinnern. Was mache ich hier, Mama?" Meine Stimme wurde panisch, als die Leere in meinem Kopf immer bedrückender wurde.

„Ganz ruhig, Liebes", sagte sie beruhigend, doch in ihren Augen lag tiefe Besorgnis. „Ich kann dir nur das erzählen, was ich von der Polizei weiß. Du hattest mir gesagt, dass du hier in Duskwood Freunde besuchen wolltest, nur für ein paar Tage. Deswegen hattest du Mila zu mir gebracht, damit es für sie nicht so stressig würde. Aber die Polizei hat mir erzählt, dass du in einen Entführungsfall verwickelt warst."

„Wie bitte? Ich?", entfuhr es mir. Der Schock ließ meinen Puls rasen. „Was habe ich mit einer Entführung zu tun?"

Meine Mutter zögerte kurz, als ob sie die richtigen Worte suchte. „Ja, eine junge Frau namens Hannah Donfort ist vor zwei Wochen spurlos verschwunden. Die Polizei hatte keinerlei Anhaltspunkte, bis gestern Abend. Da ist Hannah völlig unterkühlt hier ins Krankenhaus gekommen. Du wurdest währenddessen schwer verletzt und bewusstlos an einem Wasserfall gefunden. Lilly, Hannahs Schwester, hatte den Rettungswagen gerufen. Hannah hat der Polizei erzählt, dass du sie vor Richy, dem Täter, gerettet hast. Sie ist zu deinem Auto gelaufen, aber du kamst nicht hinterher. Also ist sie, wie du ihr wohl vorher geraten hattest, mit deinem Auto ins Krankenhaus gefahren."

Mir wurde schwindelig. Das waren zu viele Informationen auf einmal. „Was ist mit diesem Richy passiert?", fragte ich mit zittriger Stimme, während mir die Bedeutung ihrer Worte langsam bewusst wurde.

Meine Mutter sah mich ernst an. „Er wurde tot in einer ausgebrannten Mine gefunden, oder besser gesagt, das, was von ihm übrig geblieben ist. Es sieht so aus, als hätte er dich den Wasserfall hinuntergestoßen und danach Selbstmord begangen."

Ich war sprachlos. In was für eine Situation war ich da bloß geraten? Und warum konnte ich mich an nichts erinnern? „Und was ist mit meinem Arm passiert?", fragte ich, als mir plötzlich der Schmerz in meinem geschienten Arm bewusst wurde.

„Der ist zum Glück nur gebrochen. Du hast dort jetzt ein paar Schrauben drin, aber der Arzt meinte, das heilt schnell wieder. Du hattest unglaubliches Glück, Lia." Sie zog mich vorsichtig in eine Umarmung. „Und jetzt ruh dich erst mal aus. Wenn alles gut läuft, kannst du schon morgen auf die normale Station. Dann können deine Freunde dich besuchen. Jessy war schon hier und hat nach dir gefragt. Ein ganz liebes Mädchen." Sie lächelte mich an, aber ich konnte die Erleichterung in ihrem Gesicht sehen.

Der Name „Jessy" klang vage vertraut, doch ich konnte mich nicht erinnern, wer sie war. Vielleicht würde alles wiederkommen, wenn ich sie sah und sie mir weitere Details erzählte. Ein Gefühl des Unbehagens machte sich in mir breit, aber zugleich war da diese Dringlichkeit, die Wahrheit herauszufinden. Mein Detektivherz begann zu schlagen. Ich musste unbedingt erfahren, was passiert war.

Meine Mutter und ich unterhielten uns noch ein bisschen, bevor sie schließlich gehen musste. Die Besuchszeit war vorbei, und das Krankenhaus nahm es sehr genau mit den Regeln. Als sie den Raum verließ, blieb ich allein mit meinen Gedanken zurück, die mich nicht zur Ruhe kommen ließen.

Am nächsten Morgen wachte ich erholter auf als am Tag zuvor. Eine leise Hoffnung regte sich in mir: Vielleicht durfte ich heute auf die normale Station. Ich musste unbedingt mit Jessy sprechen. Ich wollte wissen, was passiert war. Doch mein Körper schmerzte noch immer an jeder Stelle, jede Bewegung erinnerte mich daran, wie heftig der Aufprall gewesen sein musste. Kein Wunder, dachte ich, wenn man aus solcher Höhe stürzt, bleibt das nicht ohne Folgen.

Der Arzt kam zur Visite und musterte mich zufrieden. Er bestätigte, dass ich auf die normale Station verlegt werden konnte. "Ich sehe selten jemanden, der sich bei solchen Verletzungen so schnell erholt", sagte er und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. Ich lächelte zurück und meinte: "Ich bin einfach ein positiver Mensch. Ich versuche immer, das Beste aus allem zu machen."

Schon mein ganzes Leben lang war ich so. Immer sah ich das Positive, lachte vielleicht mehr am Tag, als andere in einer Woche. Manche Menschen mögen das als nervig empfinden, aber ich war froh darüber. Verbitterung und Ärger hatten in meinem Leben keinen Platz, vor allem nicht, wenn die Dinge ohnehin nicht zu ändern waren. Was geschehen war, konnte ich nicht rückgängig machen, also musste ich damit leben und das Beste daraus ziehen. Jetzt wollte ich vor allem mein Gehirn wieder in Schwung bringen. Wie konnte ich nur Menschen vergessen, die ich als Freunde bezeichnet hatte?

Langsam und vorsichtig stand ich auf, um meine Habseligkeiten zusammenzupacken. Ich wollte hier endlich raus. Doch der Schmerz, der plötzlich durch meinen Körper fuhr, überraschte mich. Verdammt, dachte ich, im Bett hatte ich mich fitter gefühlt, als ich tatsächlich war. In diesem Moment betrat meine Mutter das Zimmer. "Lia, was machst du da?", fragte sie besorgt. "Ich wollte meine Sachen packen. Ich darf gleich auf die normale Station, aber mein Körper sagt 'nö'", antwortete ich lächelnd. Sie half mir, mich wieder auf das Bett zu setzen und begann, meine Sachen einzusammeln. Plötzlich schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. "Wo ist eigentlich mein Handy? Ich muss doch mit den Leuten geschrieben haben!" Meine Mutter blickte mich bedrückt an. "Die Polizei hat es mitgenommen. Es ist ein Beweismittel."

Schockiert sah ich sie an. "Wie bitte? Das heißt, das kann ich mir erstmal abschminken. Ich sehe es wahrscheinlich nie wieder," sagte ich enttäuscht. Als echter True-Crime-Junkie wusste ich nur zu gut, was das bedeutete: Wochen, Monate oder sogar Jahre würde es dauern, bis ich mein Handy zurückbekam.

"Mama, könntest du mir ein neues besorgen, bevor du abreist?" Sie schaute mich verwirrt an. "Wie, bevor ich abreise? Du kommst doch mit." Wie sollte ich ihr das jetzt erklären? Ich konnte auf keinen Fall abreisen, bevor ich mein Gedächtnis zurückhatte. "Ich muss hier bleiben. Es würde mich wahnsinnig machen, wegzufahren, ohne zu wissen, was passiert ist. Außerdem bin ich krankgeschrieben, also spielt es keine Rolle, wo ich mich aufhalte." Meine Mutter blickte mich skeptisch an. "Bist du dir sicher? Dann würde ich tatsächlich heute noch nach Hause fahren. Du kennst ja deinen Vater, er ist jetzt schon überfordert mit deinen Tieren." Sie lachte, und ich stimmte mit ein, nur um sofort von einem stechenden Schmerz in meinem Bauch bestraft zu werden.

Besorgt sah sie mich an. "Alles gut", sagte ich grinsend. "Ich werde wohl die nächsten Tage das Lachen etwas einschränken müssen." Sie lächelte zurück. "Alles klar. Ich besorge dir ein neues Handy, bevor ich fahre. Aber du musst mir versprechen, mich jeden Tag auf dem Laufenden zu halten. Und wenn du nach Hause willst, dann komme ich und hole dich."

Kurz darauf kam eine Krankenschwester mit einem Rollstuhl, um mich auf die normale Station zu bringen. Kaum angekommen, legte ich mich hin und spürte, wie die Erschöpfung über mich hinwegrollte. Ich schloss die Augen und schlief ein.

Vergiss mich nicht - eine Duskwood StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt