Queenstown, 11. April 1912
Das Schiff hielt am Vormittag in Irland, um die letzten Passagiere und Post einzuladen.
Anschließend nahm die Titanic Kurs auf den Atlantik, ließ die Küstengewässer langsam hinter sich.
Harry erwachte am nächsten Morgen in seiner engen Kabine, das rhythmische Rauschen des Ozeans klang gedämpft durch die Wände des Schiffes.
Die Dunkelheit der Nacht wich einem fahlen Licht, das durch das kleine Bullauge hereindrang.
Einen Moment lang erinnerte er sich nicht an die Ereignisse des vergangenen Abends, bis sein Blick auf den Mantel fiel, der ordentlich über dem Stuhl hing. Louis' Mantel.
Und die Taschenuhr, die immer noch auf dem Nachttisch lag.
Er setzte sich auf, rieb sich die Augen und ließ das Geschehen Revue passieren.
Der Spaziergang auf dem Promenadendeck, die flüchtigen Blicke, Louis' scherzhafte Bemerkungen – und schließlich die Uhr, die Harry versehentlich mitgenommen hatte.
Mit einem leisen Seufzen nahm er die Taschenuhr in die Hand und wog sie in seinen Fingern.
Er wollte Louis Mantel und Uhr noch vor dem Abendessen zurückgeben.
Er hatte zwar noch keine Ahnung, wie er mitten untertags in die Räumlichkeiten der ersten Klasse kommen sollte, aber ihm würde schon etwas einfallen.
Harry zog sich an und faltete den Mantel sorgfältig zusammen, die Uhr behutsam in der Innentasche verstaut.
Doch als er den Raum verließ, fühlte er plötzlich eine schwere Hand auf seiner Schulter.
Er drehte sich überrascht um und sah sich einem bulligen Mann gegenüber, einem der Offiziere des Schiffes.
Sein Gesicht war streng und in seiner Stimme lag ein Vorwurf, der Harry sofort in Alarmbereitschaft versetzte. „Was haben wir denn hier?"
Der Offizier musterte ihn kühl und deutete auf den Mantel, den Harry unter den Arm geklemmt hatte. „Das gehört Ihnen wohl kaum."
Harry zog die Augenbrauen nach oben, verwirrt von dem plötzlichen Tonfall. „Es gehört mir nicht, aber..."
„Also ein Dieb." Der Offizier schnaubte, bevor Harry auch nur einen vollständigen Satz zustande bringen konnte. „Wir haben bereits von einem verschwundenen Mantel und einer Uhr gehört. Dritte Klasse, was? Was haben Sie in den Bereichen der ersten Klasse zu suchen?"
Harry spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. „Das ist ein Missverständnis."
Doch der Offizier unterbrach ihn schroff: „Sparen Sie sich Ihre Ausreden. Kommen Sie mit."
Bevor Harry protestieren konnte, legte der Mann ihm mit geübten Handgriffen die Hände um die Gelenke und zog ihn grob mit sich.
Der Weg durch die engen Gänge der dritten Klasse zog sich in die Länge.
Harrys Herz schlug schneller, und er wusste, dass er in einer gefährlichen Lage steckte.
Panik machte sich in ihm breit.
Wie sollte er Louis finden?
Wie sollte er erklären, dass alles nur ein Missverständnis war?
Die anderen Passagiere warfen ihm neugierige Blicke zu, als der Offizier ihn vorbeiführte, und einige flüsterten bereits.
Er wurde zu einem Raum gebracht, der als provisorisches Büro der Sicherheitsleute des Schiffs diente.
Zwei weitere Männer standen hinter einem Schreibtisch, und als Harry hineingeführt wurde, sahen sie ihn prüfend an.
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Titanic
FanfictionAuf der Titanic, dem größten und luxuriösesten Schiff der Welt, kreuzen sich die Wege zweier Männer aus vollkommen unterschiedlichen Welten. Louis, ein wohlhabender Erbe, reist in der ersten Klasse, voller Erwartungen auf ein neues Leben in New York...