o8. Eine Sensation

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Atlantischer Ozean, 11. April 1912

Harry fühlte, wie sein Gesicht heiß wurde, als Niall ihm einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter gab. „Na los, komm schon, Harry! Du kannst doch nicht immer zu allem Nein sagen. Außerdem," fügte er mit einem breiten Grinsen hinzu, „wird das lustig wereen, glaub mir."

Harry verdrehde die Augen. „Klar. Deine Definition von lustig kenne ich schon."

Louis, der neben Harry stand, hatte ein Lächeln auf den Lippen, das so lässig wirkte, als wäre es völlig normal, dass ein Mann aus der ersten Klasse auf eine Party der dritten Klasse eingeladen wurde. „Weniger lustig als die Feiern in der ersten Klasse kann es schließlich nicht sein," zwinkerte er, und seine Augen funkelten leicht im gedämpften Licht der engen Kabine. „Es ist schon lange her, dass ich auf einer richtigen Feier war."

„Das wird definitiv keine Party sein, wie du sie gewohnt bist," murmelte Harry, seine Verlegenheit deutlich spürbar. Er wollte nicht, dass Louis sich fehl am Platz fühlte, aber er hatte das Gefühl, dass es genau darauf hinauslaufen würde. Die einfachen, aber herzlichen Feierlichkeiten der dritten Klasse unterschieden sich stark von den glanzvollen Bällen und Empfängen, die Louis sicher gewohnt war. Nicht nur in der Art der Veranstaltung. Die Leute, ihre Kleidung, die Musik, die Stimmung, das Ambiente, die Gespräche, selbst der Alkohol, der getrunken wurde - einfach alles was anders daran.

„Dann ist es höchste Zeit für einen Kontrast," erwiderte Louis mit einem schiefen Grinsen. „Ein bisschen Abwechslung kann nicht schaden."

Bevor Harry widersprechen konnte, zog Niall ihn und Louis schon durch die Gänge der dritten Klasse in Richtung des Gemeinschaftsraums. Die Luft wurde stickiger und lebendiger, je näher sie der Feier kamen. Schon von Weitem hörte man das Lachen, das Klirren von Gläsern und die fröhliche Musik, deren Lautstärke ebenfalls um einiges höher war, als im Speisesaal der ersten Klasse.

Der Gemeinschaftsraum der dritten Klasse war nicht groß, aber er war voller Leben. Menschen aller Altersgruppen saßen an den Tischen oder standen in kleinen Gruppen beisammen. Einige tanzten in der Mitte des Raumes, ihre Füße klapperten auf dem Holzboden, während andere lauthals Witze erzählten oder Bierkrüge aneinander stießen.

Harry versuchte, die Beklemmung in seiner Brust zu ignorieren, als sie den Raum betraten. Er hatte das Gefühl, dass jeder Louis ansah, als hätte er ein Schild um den Hals hängen, auf dem „Erste Klasse" stand. Gewissermaßen hatte er das ja auch - mit seinem maßgschneiderten Anzug, den fein polizerten Schuhen und den perfekt sitzenden Haaren, während die restlichen Männer im Raum hauptsächlich einfache Leinenhemden und abgesessene Latzhosen trugen. Aber Louis blieb völlig entspannt, lächelte den Menschen um sich herum zu und sah sich neugierig um.

„Das sieht nach Spaß aus," sagte er leise zu Harry, der an seiner Seite blieb.

Niall verschwand sofort in der Menge, rief ein paar Bekannten zu und kehrte kurz darauf mit drei Krügen Bier zurück. „Hier, trinkt," forderte er die beiden auf und zwinkerte. „Deswegen sind wir schließlich hier."

Louis nahm den Krug mit einem dankbaren Nicken entgegen und hob ihn in einem schelmischen Gruß. „Auf eine unvergessliche Nacht."

Harry zögerte, starrte auf den Krug in seiner Hand, bevor er schließlich Louis' Blick erwiderte und ihm ebenfalls zuprostete. „Auf eine unvergessliche Nacht," wiederholte er, wenn auch weniger selbstsicher. Sein Herz schlug schneller, während er einen großen Schluck nahm. Der bittere Geschmack des Bieres half, seine Nervosität ein wenig zu lindern.

Niall, der das Bier schon halb geleert hatte, zog Harry plötzlich in Richtung der Tanzfläche. „Los, zieh' endlich den Stock aus deinem Hintern!"

Harry's Wangen färbten sich blutrot, als ihm die Ausdrucksweise seines besten Freundes auffiel. Er hatte noch nie anders gesprochen, und doch hatte er an diesem Abend plötzlich keine Antwort mehr auf den Lippen.

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