ZWEI

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IVÁN

Meine Faust landete auf dem Schreibtisch. Das Glas mit dem Whisky klapperte dadurch. So wie das eingerahmte Foto von Sina und mir im Urlaub. Wenige weitere Sachen machten ebenfalls Geräusche.

Die Wut gemischt mit meiner Verzweiflung zerfraß mich innerlich. Ich wusste nicht, wo meine Frau und der Bastard waren, was sie taten und ob es ihr gut ging. Ihr konnte jede Sekunde aus unterschiedlichen Gründen, wer wusste schon, was angetan werden. Sie konnte von ihrem besten Freund belästigt oder Schlimmeres werden. Von irgendeinem fremden Mann. Sie konnte sich freiwillig mit jemanden vergnügen.

Die Vorstellung war genauso schlimm, wie zu erfahren, sie wurde, entführt.

Ich kippte den Rest Alkohol hinunter. Die bernsteinfarbene Flüssigkeit brannte leicht in meiner Kehle. Das Glas musste mein fünftes möglicherweise auch siebtes Glas sein. Der Alkohol machte sich schon länger bemerkbar.

Am liebsten würde ich mich weiter besaufen. Leider machte sich die Arbeit nicht von selbst. Ich musste mich konzentrieren, herausfinden wo sie sich versteckten. Irgendwo musste ein Fehler gemacht worden sein. Wenn man nicht mächtig war, passierte so etwas recht zeitig. Leute wie ich hingegen, fanden schnell einen Weg, kamen mit diesem durch.

Die Flucht von ihnen musste überstürzt gewesen sein. Somit fand ich schon bald heraus, wo sie sich aufhielten.

Auf der Geburtstagsfeier meines Großvaters hatte sie ausgelassen ausgesehen. Ich dachte, wirklich in dieser Ehe ging es nun voran, wir führten eine richtige Partnerschaft, wie ich eigentlich immer wollte. Obwohl ich sie gleichzeitig auf Abstand halten wollte. Zu meiner Verteidigung, ich besaß dafür meine Gründe.

Nun lief alles anders wie gedacht. Erst kam der Vorfall mit dem besten Freund meines Cousins – die Gabel in seinem Auge befriedigte mich zutiefst – und am nächsten Tag verschwand sie von der Bildfläche. Sina hätte nie davon erfahren dürfen, genauso wie sie nun erst recht nicht von meinen Gefühlen für sie erfahren durfte.

Erstmal musste ich sie nun finden, um ihr zu zeigen, was für ein Fehler sie gemacht hatte. Ich warnte sie von Anfang an davor.

Ewig konnten Noah und Sina nicht in ihrem Versteck bleiben. Sina besonders. Ich kannte diese Frau. Sie brauchte Abenteuer, Beschäftigung. Sie war keine Frau, welche gerne zu Hause blieb.

Bald wirst du wieder bei mir sein, princesa.

Ich musste mir weiterhin überlegen, wie ich sie bestrafen sollte. Anstatt ihren Geburtstag morgen zu planen, plante ich ihre Strafe. Bevor ich das tat, musste ich mich abreagieren. Hinterher nahm ich mein Büro noch auseinander. Wichtige Dokumente zerstört auf dem Boden aufzufinden konnte ich nicht gebrauchen.

Ich stand auf, dabei stellte ich das Glas auf dem Schreibtisch ab. Meine Wut an einem Boxsack auszulassen, half mir hoffentlich für mehrere Momente mich abzureagieren.

Ich verließ das Büro. In schnellen Schritten machte ich mich auf den Weg in mein Schlafzimmer. Dort angekommen umhüllte mich ein Luftzug. Die Fenster standen sperrangelweit offen. Das Bett war ungemacht und der Geruch von Reinigungsmittel vermischte sich mit der frischen Luft. Wie jeden Tag wurde meine Räumlichkeiten geputzt. Die Uhrzeit unterschied sich manchmal. Es kam ganz drauf an, welche Schlafzimmer zuerst gemacht wurden. Nun hatten wir es gegen 15:00 Uhr.

Im Ankleidezimmer holte ich mir eine knielange Jogginghose, ein T-Shirt und Sportschuhe. Gerade als ich mit Letzterem beschäftigt war, hörte ich zarte kaum hörbare Schritte auf dem Boden. Sie erinnerten mich an meine Frau. Da sie es nicht sein konnte, überraschte es mich nicht, dass Audrey reinkam.

Überrascht sah mich die Blondhaarige an.

»Iván«, ertönte ihre nervige Stimme. »Mr. Hernández, du hast kein Recht, mich bei meinem Vornamen zu nennen«, gab ich streng zurück.

Dachte sie ernsthaft, ich wusste nicht, was für ein Spiel sie spielte? In den zwei Jahren, in welchen sie hier mittlerweile arbeitete, musste sie eigentlich wissen, dass ich Menschen leicht durchschauen konnte.

Jetzt wo Sina weg war, wollte sie die Chance ergreifen. Weil sie wusste, dass sie mit ihrer schlampigen und aufdringlichen Art nicht weiter kam, probierte sie es nun anders. Auf die unschuldige Art. Sie wollte meine Frau sein, nur könnte sie nie so sein wie meine princesa. Niemand konnte es, außer Sina selbst.

Mal sehen, wie lange Audrey ihr Getue noch durchhielt. Gut möglich, dass sie jetzt gleich ihre Chance ergreifen wollte.

Ich wandte mich wieder meinen Schnürsenkeln zu. Je eher ich sie gebunden hatte, desto schneller konnte ich hier verschwinden.

Ich nahm wahr, dass der weiße Wäschekorb mit meinen gewaschenen Klamotten neben mir auf die Sitzbank abgestellt wurde.

Audrey stellte sich davor, somit gleichzeitig neben mich. »Wie geht es Ihnen? Das mit Ihrer Frau tut mir leid. Ich hoffe, Sie finden Mrs. Hernández bald«, heuchelte sie. Ich schnaubte abfällig. »Lass den Scheiß. Ich weiß ganz genau wie glücklich du darüber bist.« Ich stand auf, drehte mich in ihre Richtung. Sie tat mir nach. Wir standen uns nah gegenüber.

Audrey war um die 1,75 Meter groß, trotzdem musste sie ihren Kopf in den Nacken legen. In ihrem Gesicht schwang Hoffnung, Hoffnung, dass ich ihr mehr gab als einen schnellen Fick oder eine Abfuhr. Ich glaubte, ihr ging es nicht wirklich um mein Geld, vielleicht war das mal so gewesen. Mittlerweile merkte man ihr ihre Gefühle mir gegenüber an. Zu keinem anderen meiner Brüder war sie so anhänglich wie bei mir. Eigentlich war ich sogar der Einzige, welcher von ihr genervt wurde. Sie wollte nur mich.

Die Kälte, welche ich ihr zeigte, sollte sie eigentlich verschrecken, stattdessen starrte sie mich hypnotisiert wirkend an. Oder wie ein verliebter Welpe.

»Geh an deine Arbeit, du wirst dafür bezahlt, nicht um mich wie ein verliebter Teenager anzusehen«, befahl ich ihr barsch.

Audrey kam in das Hier und Jetzt zurück. Man sah ihr an, wie meine harten Worte sie verletzten. Schnell riss sie sich zusammen und setzte eine Maske auf. Man sah ihr das Ziehen, welches durch meine Abfuhr in ihrem Herz verursacht wurde, dennoch an. Das interessierte mich keineswegs.

Nur einer Frau gehörte mein Herz – meine Schwester und meine Mutter ausgeschlossen.

Hätte ich mich Sina gegenüber anders verhalten, ihr gesagt wie ich für sie empfand, wäre alles anders gekommen. Nur konnte ich nicht. Es wäre zu gefährlich, wenn jemand abgesehen von dieser Familie erfuhr, dass ich sie liebte. Würde Sina es wissen, würde das viel ändern. Lieber hielt ich sie auf Abstand, ließ sie mich hassen.

Liebe konnte in meiner Welt gefährlich sein. Dieser Meinung waren auch Alvaro und Rico mal. Nun würde Alvaro in wenigen Wochen heiraten und Rico war frisch in einer Beziehung mit der besten Freundin meiner Ehefrau. Wie schnell sich etwas ändern konnte.

Patricia traute ich nicht wirklich. Sie konnte heimlichen Kontakt mit Sina haben. Solch eine leichtsinnige Aktion konnte ich mir von den beiden gut vorstellen. Sollte das der Fall sein und ich es irgendwie herausfinden, gab es einen weiteren Grund, wütend auf meinen kleinen Bruder zu sein. Hätte er sich nicht von seiner Freundin ablenken lassen, wäre meine Frau nun bei mir. Durch seinen Flirt, seine Unachtsamkeit war nun das Gegenteil der Fall.

»Kann ich Ihnen eine Frage stellen, bevor ich weiter arbeite?«, riss mich Audrey aus meinen Gedanken. Sie wirkte nervös. Ich zog meine Augenbraue in die Höhe. »Mach schnell, ich habe noch eine Menge zu erledigen.«

Nervös spielte sie mit ihren Fingern. Noch nie sah ich diese Frau so. Sonst zeigte sie sich immer selbstbewusst. Mit ihrem eigenartigen Verhalten machte sie mich selbst ein wenig nervös. Der Alkohol in meinem Blut lag wohl zum Großteil daran.

»Was würden Sie machen, wenn ich von Ihnen schwanger wäre?« Mein Herz bekam einen Aussetzer. Mit dieser Frage rechnete ich nicht.

Señora Hernández - Der FehlerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt