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Die Schreie begannen leise. Ich versuchte, sie zu ignorieren, als ich in meinem Zimmer saß, mein Schulbuch vor mir aufgeschlagen, aber die Worte verschwammen vor meinen Augen.

Die angespannte Stille zwischen den Schreien machte es nur schlimmer – diese Pausen, in denen ich genau wusste, dass der nächste Ausbruch noch lauter sein würde.

„Hör auf, so mit mir zu reden! Du bist der Grund, warum alles hier kaputt geht!", brüllte mein Vater plötzlich, seine Stimme klang, als hätte er etwas zerbrochen.

Vielleicht war es nur seine Wut, vielleicht etwas auf dem Tisch. Ich presste die Hände gegen meine Ohren, doch es half nichts. Ich kannte den Rhythmus dieser Streits zu gut. Es war immer dasselbe, und trotzdem erschreckte es mich jedes Mal aufs Neue.

„Ich? Ich bin der Grund?" Meine Mutter schrie jetzt zurück, und ihre Stimme überschlug sich fast. „Du kommst nach Hause, betrunken, und alles, was du tust, ist zu brüllen! Denkst du, so kann man eine Familie führen? Du kümmerst dich um nichts!"

Dann folgte ein lautes Krachen. Vielleicht war es der Tisch, vielleicht eine Vase – es war immer etwas. Mein Herz setzte einen Schlag aus, und ich starrte auf die Tür meines Zimmers.

Ich wusste, dass ich dort rausgehen sollte. Vielleicht sollte ich dazwischengehen. Aber meine Beine fühlten sich schwer an, als wären sie aus Blei. Angst lähmte mich. Was, wenn ich mich einmischen würde und es noch schlimmer machen würde? Was, wenn...?

„Schrei mich nicht an, verdammt nochmal!" Die Stimme meines Vaters schoss wie eine Peitsche durch die Wände, und meine Mutter schrie zurück, doch ihre Worte verschwammen, wurden undeutlich, als sie anfing zu weinen.

Ich spürte, wie mir selbst die Tränen in die Augen stiegen. Dieses Haus war ein Gefängnis aus Lärm und Gewalt, und ich konnte nichts tun, um das zu ändern.

Es gab einen dumpfen Aufprall – ein Geräusch, das mir durch Mark und Bein ging. Mein Atem stockte. Ich wusste, was das bedeutete. Ich hatte es schon oft gehört. Mein Vater hatte wieder zugeschlagen.

„Lass mich in Ruhe!" Meine Mutter schluchzte, ihre Stimme war jetzt brüchig. Der Raum schien sich zu drehen. Ich wusste, dass ich raus musste, aber ich war wie erstarrt.

Das Geräusch ihrer Schritte, schnell, schwer, folgte – sie rannte ins Schlafzimmer, die Tür knallte zu.

Dann trat Stille ein, eine schreckliche, zermürbende Stille. Nur das Rauschen meines eigenen Blutes in meinen Ohren füllte den Raum.

Ich atmete flach, meine Brust zog sich zusammen. Es fühlte sich an, als würde der Boden unter mir brechen.

Endlich riss ich mich los. Ich schnappte mir meine Jacke, griff nach meinem Handy und eilte zur Tür.

Bevor ich das Haus verließ, sah ich meinen Vater im Wohnzimmer stehen, eine Bierflasche in der Hand. Sein Blick war leer, als hätte er vergessen, was gerade passiert war.

Doch ich konnte die Wut noch immer in seinen Augen sehen, wie ein Schatten, der sich in die Falten seines Gesichts gegraben hatte.

Ohne ein Wort rannte ich die Treppe hinunter und trat hinaus in die Nacht.

Ich renne die Treppe hinunter, ohne mich umzusehen. Die Haustür knallt hinter mir zu, und für einen Moment umfängt mich die kühle Nachtluft. Ich bleibe kurz stehen, um tief durchzuatmen, doch meine Brust schnürt sich nur noch enger zu. Mein Herz rast, als würde es gegen meine Rippen schlagen, um zu entkommen.

Samet. Ich muss zu Samet.

Ich ziehe meinen Mantel enger um mich und gehe zügig die Straße entlang. Die vertrauten Gassen Istanbuls wirken jetzt wie ein Labyrinth, das mich verschlucken könnte, wenn ich nicht aufpasse.

Iki Yol, bir hedef Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt