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Die Luft draußen war kühl und brachte ein wenig Klarheit in das Chaos meiner Gedanken. Ich spürte das Handy in meiner Hand, schwerer als es eigentlich war, und starrte auf den Bildschirm. Ich wartete. Die Nachricht an Kerem war längst gesendet, aber die Stille, die mir entgegenkam, fühlte sich unerträglich an.

Wie konnte ich mich nur in diese Situation manövrieren? Merihs Worte hallten in meinem Kopf wider – „Denk nicht, dass du schlau bist. Ich kenne dein dreckiges kleines Geheimnis." Es war, als hätte er einen unsichtbaren Knoten in meinem Inneren gelöst, etwas Dunkles, das ich verdrängt hatte. Und Samet ... hatte alles mitangesehen, hatte mich ihm geradezu hingegeben, als wäre das hier nichts Außergewöhnliches.

Ein Zittern durchlief mich, und ich zog die Jacke enger um meine Schultern, versuchte die Kälte, die aus meinem Inneren zu kommen schien, irgendwie abzuwehren. Die Realität traf mich mit voller Wucht: Merih war Zümras Ehemann. Meine beste Freundin, die Frau, die mir all meine Geheimnisse und Ängste anvertraut hatte, die Person, die mich immer aufgefangen hatte, wenn ich gefallen war.

Ich fühlte die Tränen aufsteigen, doch ich blinzelte sie heftig weg. Ich konnte jetzt nicht zerbrechen.

Ein Zittern ging durch meinen Körper, als ich mich an die Momente in Merihs Armen erinnerte, an den Raum, die Wärme, die Spannung, die uns beide umhüllt hatte. Es war ein Moment, in dem ich mich lebendig gefühlt hatte, aber auch so unglaublich verloren.

Mein Handy vibrierte plötzlich. Ein Nachrichtenton riss mich aus meinen Gedanken. Ich blickte auf den Bildschirm und mein Herz setzte einen Schlag aus.

Hey, Sila. Was ist los? Wo bist du?", schrieb Kerem. Seine Worte waren schlicht, aber sie brachten eine beruhigende Vertrautheit mit sich, eine Art Anker in diesem Chaos.

Meine Finger zitterten, als ich begann, ihm zu antworten. Ich wollte die richtigen Worte finden, ihm alles sagen, was mich bedrückte, und trotzdem wusste ich, dass ich es nicht konnte. Nicht hier, nicht so.

„Ich musste einfach mal raus. Bisschen Abstand. Kann ich dich sehen?", schrieb ich, bevor ich das Handy fest in meinen Händen hielt und den Atem anhielt.

Es dauerte nur wenige Sekunden, bis seine Antwort kam. „Natürlich. Wo bist du? Ich kann dich abholen."

Ich atmete tief durch und tippte schnell die Adresse ein, bevor ich noch einmal zögerte. Mein Herz klopfte laut, während ich auf „Senden" drückte. Noch immer trug ich das knappe schwarze Kleid, das Merih mir praktisch auf den Leib geschneidert hatte, und spürte die kühle Abendluft auf meiner Haut. Es ließ kaum Raum für Fantasie, und jetzt, wo ich allein draußen stand, fühlte ich mich nur umso verletzlicher.

Wenige Minuten später hörte ich das vertraute Brummen eines Motors, und Kerems Auto bog um die Ecke. Er hielt direkt vor mir und blieb einen Moment im Wagen sitzen, seine Augen auf mich gerichtet. Ich konnte seinen Blick spüren, intensiv und fragend, als er mich musterte. Dann öffnete er die Tür und stieg aus, um mir die Beifahrertür zu öffnen.

„Sila ..." murmelte er, und ich sah den Ausdruck in seinem Gesicht, überrascht und leicht besorgt. Sein Blick wanderte über mich, blieb an meinem Kleid hängen.

Kerem hielt nur kurz meinen Blick, als ich mich auf den Beifahrersitz setzte, und wandte dann sofort den Blick ab, als hätte er plötzlich das Bedürfnis, mir Raum zu lassen. Keine neugierigen Blicke, kein Nachfragen. Er startete den Motor und sah konzentriert auf die Straße vor uns, die Hände fest am Lenkrad, als würde er versuchen, mich mit dieser distanzierten Ruhe nicht zu bedrängen.

Während wir durch die nächtlichen Straßen fuhren, herrschte eine angespannte Stille. Ich beobachtete ihn aus dem Augenwinkel, suchte in seinem Gesicht nach einem Zeichen, ob er etwas bemerkt hatte, ob er sich Fragen stellte – aber Kerem blieb gefasst, beinahe unnahbar.

Iki Yol, bir hedef Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt