Ein Anfang

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Als  Daisy ihren Wagen startete und langsam vom Krankenhausparkplatz rollte, war sie  nicht mehr ganz so nervös wie zu Beginn des Tages.

David fühlte sich zwar miserabel. Aber das waren die Nachwirkungen der Operation. Er war außer Lebensgefahr und würde sich schon bald erholen.

Daisy bog links auf die Turnpike Avenue ab. Auf dem Weg nach Hause musste sie Timmy von der Tagesmutter abholen. Ihr Sohn hatte von dem Trubel um David wenig mitbekommen. Er wusste, dass sein Vater im Krankenhaus war. Er wusste auch, dass sein Vater operiert werden musste. Den Ernst der Lage hatte er aber noch nicht begriffen.

Daisy nahm sich vor, Timmy ein wenig aufzumuntern. Sie wollte etwas schöner mit ihm unternehmen. Vielleicht hatte er Lust, in den Zoo zu gehen? Er sollte den Tag mit einem schönen Erlebnis verbinden. Gleichzeitig wollte sie feiern, dass es David gut ging und sie sich nun keine Sorgen mehr machen musste.

Vom Krankenhaus bis zur Wohnung der Tagesmutter brauchte sie knappe zehn Minuten. Während der Fahrt überlegte Daisy, dass es bald Zeit für einen Urlaub war. David brauchte nach der OP seine Ruhe. Und ein Luftwechsel würde ihm sicher gut tun. Vielleicht könnten sie für ein Wochenende in die Berge fahren. Kleine Kurztrips hatten sie in den ersten Monaten ihrer Ehe häufig unternommen. Auch als Timmy noch ein Baby war, war das junge Paar regelmäßig verreist. Erst seit David seinen neuen Job begonnen hatte, waren diese Reisen weniger geworden.

Daisy hielt vor dem Mehrfamilienhaus, in dem die Tagesmutter eine geräumige Erdgeschosswohnung besaß. Mrs. Miller betreute neben Timmy noch vier weitere Kinder. Ihrem Sohn gefiel es dort so gut, dass er an manchen Tagen gar nicht mehr nach Hause wollte.

Heute war das jedoch anders. Kaum hatte Mrs. Miller die Tür geöffnet, da stürmte Timmy auch schon an ihr vorbei und warf sich Daisy in die Arme.

"Mama, wie geht es Papa?"

Mrs. Miller lächelte und streichelte dem Jungen sanft den Kopf.

"Er hat den ganzen Tag nicht aufgehört nach seinem Vater zu fragen." Ihre Miene drückte Besorgnis aus. "Ist mit David alles in Ordnung?"

Daisy nickte. Sie drückte ihren Sohn fest an sich.

"Deinem Papa geht es noch ein bisschen schlecht. Aber das ist normal, wenn man operiert wurde. Wir können ihn morgen besuchen und dann wird er sich gleich besser fühlen!"

Sie gab Timmy einen Kuss auf die Stirn und ließ ihn dann wieder los.

"Na, wollen wir zur Feier des Tages etwas unternehmen? Wir können alles machen, was du willst!"

"Auch zum Mond fliegen?"

Timmys Frage brachte Mrs. Miller und Daisy zum Lachen.

"Na, das sparen wir uns besser für deinen nächsten Geburtstag auf"

"Ich will zum Hafen. Schiffe gucken. Und Eis essen!"

"In Ordnung, ab zum Hafen!"

Daisy reichte Mrs. Miller zum Abschied die Hand. Timmy war schon zum Auto gestürmt und wartete dort auf sie.


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Als Daisy den Wagen am Hafen parkte und Timmy aus seinem Kindersitz befreit hatte, schloss sie für einen Moment die Augen. Sie fühlte die Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht, den sanften Wind in ihren Haaren. Gleichzeitig konnte sie hören, wie die Wellen gegen die Boote klatschten. Für diesen kurzen Moment verspürte sie so viel Ruhe und Frieden, wie in der gesamten letzten Woche nicht mehr.

Timmy stürmte an ihr vorbei. Sie musste sich beeilen, um mit ihm Schritt zu halten. Der Junge wollte auf den Steg und sich die Jachten aus der Nähe ansehen. Sie hielt nicht viel von Müttern, die ihrem Kind jeden Schritt verbaten und sie permanent überwachten. Das sorgte nur für Verunsicherung. Aber Timmy allein auf dem Steg war auch keine gute Idee. Eine unvorsichtige Bewegung konnte böse enden. Ihr Sohn konnte noch nicht ohne Flügelchen schwimmen.

Das Wetter war wirklich ideal für einen Besuch am Hafen. Die leichte Brise lies die zusammengerollten Segel der Boote gegen die Masten klappern. Auf den Decks sonnten sich ein paar ältere Herrschaften, die es sich leisten konnten, unter der Woche ihre Freizeit auf ihren eigenen Booten zu verbringen. Ein paar Kinder, vermutlich die Enkel einiger Bootsbesitzer, spielten unweit des Hafens auf einer Wiese irgendein Ballspiel. Während Timmy die Boote bestaunte, beobachtete sie die Kinder und versuchte zu verstehen, welches Spiel da gespielt wurde. Aber es kam ihr nicht bekannt vor.

"Mama, darf ich ein Eis haben?"

Timmy zupfte sie am Ärmel und wirkte leicht ungeduldig. Der Eismann am Hafen war bekannt für seine ausgefallenen Eissorten. Eine Kugel Cheesburgergeschmack schien Timmy viel attraktiver zu sein als das langweilige Schokoladeneis in der Stadt.

"Na klar." Daisy zwinkerte ihrem Sohn zu und war wieder einmal froh, dass er seinen Tag so unbeschwert verbingen konnte.

"Aber diesmal nur zwei Kugeln. Du hast bei Mrs. Miller ja schon ein Mittagessen gehabt"

Timmy wählte tatsächlich die Geschmacksrichtungen Cheesbuger und Schinken und ärgerte sich darüber, dass seine Mutter keine der Kugeln probieren wollte. Daisy entschied sich für einen schlichten Frozen Joghurt. Gemeinsam schlenderten die beiden an den Booten vorbei und träumten ein bisschen davon, wie schön es wäre, ein eigenes Segelboot zu besitzten.

"Wenn Papa wieder gesund ist, kann er uns dann nicht ein Segelboot kaufen?"

Daisy lachte und stricht ihrem Sohn über den Kopf.

"Das wäre toll, oder? Ich gucke mal, ob ich ihn überreden kann."

Sie wusste natürlich, dass David sehr gut verdiente. Das Gehalt reichte dennoch kaum, um sich mal eben so eines dieser Boote kaufen zu können. Der Hauskauf im letzten Jahr hatte den Kreditrahmen der kleinen Familie bereits vollständig ausgereizt.

Timmy schien das Thema Bootskauf abzuhaken, als auch er die spielenden Kinder entdeckte. Schneller als nötig gewesen wäre, verschlang er sein Eis und bat dann um die Erlaubnis, mitspielen zu dürfen. Daisy, die die Aufgeschlossenheit ihres Sohnes im Stillen beneidenswert fand, ließ ihn laufen.

Dann wanderte sie allein zum Ende des Stegs. Sie setzte sich auf die breiten, festen Holzplanken, zog ihre Sandalen aus und plantschte mit den Füßen ein wenig im Wasser. Dabei genoss sie die herrliche Aussicht, die sich ihr bot. Der See lag ruhig und klar vor ihr, das Wasser glitzerte in der Sonne. Und es fühlte sich einfach herrlich an ihren Füßen an.

Daisy war so entspannt, dass sie das Boot nicht bemerkte, dass sich dem Steg von links näherte. Sie zuckte zusammen, als sie das laute Rufen eines Mannes vernahm:

"Aus dem Weg! Ich kann sonst für nichts garantieren!"

Gerade rechtzeitig zog sie ihre Beine zurück. Sonst wäre sie mit dem kleinen Segelboot kollodiert, das seltsam unkoordiniert an ihr vorbeitrieb.

"Hey, was soll das denn?"

Sie hatte sich richtig erschrocken und fand so ein rowdyhaftes Verhalten alles andere als nett.

Der Mann auf dem Boot drehte sich zu ihr um. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn.

"Sie müssen wir helfen. Mein Ruder ist kaputt. Ich kann das Boot nicht mehr steuern!"


Nur ein WortWo Geschichten leben. Entdecke jetzt