Ein Kaffee unter Freunden

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"Daisy, warte!"

Sie hatte den Parkplatz schon halb überquert. Jetzt drehte sie sich noch einmal um. Ben kam ihr entgegengelaufen.

"Hättest du vielleicht noch Zeit für einen Kaffee? Um die Ecke gibt es einen tollen kleinen Laden, die haben wirklich leckeren Kaffee. Ich geb dir auch einen aus", zwinkerte er ihr zu.

"Ja gerne", sagte Daisy. Sie war noch ganz überwältigt von dem netten Empfang, den man ihr eben bereitet hatte. Außerdem wollte sie ihre neugewonnene Freiheit noch ein bisschen genießen. Endlich kam sie mal raus, endlich war sie nicht mehr nur Hausfrau und Mutter. Endlich hatte sie ein Leben außerhalb der täglichen Pflichten wie Einkaufen gehen, Timmy zur Tagesmutter bringen und abholen und das Haus zu putzen. So viele Leute wie heute hatte sie warscheinlich in den letzten drei Jahren nicht kennen gelernt. Und sie hatte oft ein bisschen neidisch auf ihre Freundinnen geblickt, die interessante Jobs hatten und nach Feierabend mit ihren Kollegen ein paar Cocktails trinken gingen.

"Super"

Ben wirkte ehrlich begeisters. Auf dem Weg zum Cafè erkundigte er sich nach Timmy. Dann wollte er wissen, ob es David schon besser ging und ob sie ihn schon im Krankenhaus besucht hätte. Daisy musste schlucken. Sollte sie Ben erzählen, dass David schon wieder zuhause war und sie einen Riesenkrach gehabt hatten? Oder sollte sie so tun als sei alles in Ordnung? Einerseits empfand sie es als unhöflich, Ben mit ihren Problemen zu belästigen. Andererseits war er ihr innerhalb weniger Tage so vertraut geworden. Und sie sehnte sich eigentlich nach jemandem, mit dem sie ihre Sorgen bequatschen konnte.

"David ist wieder zu hause", begann sie und fuhr schnell fort, als Ben nachhaken wollte.

"Unsere Nachbarin hat ihm von dem Einbruch erzählt. Ich wollte ihm nichts sagen, damit er sich so kurz nach der Operation nicht aufregt. Jedenfalls fand er es unpassend, danach noch weiter im Krankenhaus zu bleiben. Er meint, er muss auf uns aufpassen und uns unterstützen"

Sie hatten das Cafè erreicht. Ben deutet auf einen Sonnenplatz auf der Terrasse und rückte ihr den Stuhl zurecht. Nachdem sie sich gesetzt hatten, reichte er ihr die Karte.

"Ich kann das verstehen", meinte er. "Wenn ich im Krankenhaus läge und bei meiner Frau würde eingebrochen werden, würde ich auch alles dafür tun, um zuhause bei ihr zu sein. Sonst könnte ich vor Sorge sicher nicht schlafen."

"Du hast ja Recht.", bestätigte Daisy. "Aber er hat sich total darüber aufgeregt, dass ich ihm nichts erzählt habe. Er versteht einfach nicht, dass das keine böse Absicht war. Ich wollte ihn nur schützen. So wie er mich jetzt."

"Ist er sauer geworden?", frage Ben.

Daisy nickte. "Und wie.", fügte sie leise hinzu. Davon, dass er sie so fest angefasst hatte, erzählte sie nichts.

Ben fuhr sich durchs Haar.

"Das kriegt ihr wieder hin, keine Sorge. Er braucht jetzt warscheinlich Zeit für sich, um sich ein bisschen zu beruhigen. Und dann wird er sicher auch deinen Standpunkt verstehen."

Die Kellnerin kam vorbei und Ben bestellte zwei große Milchkaffees, weil Daisy sich nicht entscheiden konnte, was sie nehmen wollte. Während sie auf ihre Getränke warteten, bat Daisy Ben, noch etwas mehr von dem Bootsprojekt zu erzählen. Sie ertappte sich dabei, dass sie wieder nicht aufmerksam zuhörte, sondern sich mehr dem Klang von Bens Stimme widmete. Sie war tief, aber ncht bedrohlich, sondern angenehm und beruhigend. Außerdem erzählte er mit so viel Emotion in der Stimme, dass ihr Klang allein sie schon fröhlich machte.

Ben hielt plötzlich inne, dann begann er zu lachen.

"Hörst du mir eigentlich zu?", wollte er wissen. "Du guckst so, als wären deine Gedanken in einem anderen Universum unterwegs."

Daisy wurde ein bisschen rot.

"Tut mir leid. Ich habe nur gerade darüber nachgedacht wie gut mir die Teamsitzung gefallen hat und wie froh ich bin, bei euch mitmachen zu dürfen."

Bleib ehrlich, dachte sie sich und fuhr fort.

"Und wie schön ich es finde, jetzt mit dir hier zu sein. Als Mutter kommt man einfach nicht viel raus. Schön, dass wir Freunde geworden sind, Ben."

Das hatte sie einige Überwindung gekostet, obwohl es ja wirklich die Wahrheit war. Sie war nicht sehr gut darin, Komplimente auszusprechen. Aber ihr Herz war gerade so voller Glück, dass es einfach keine passendere Situation hätte geben können.

Ben lächelte. War das eine optische Täuschung oder war er etwa auch ein bisschen rot geworden?

"Danke.", sagte er und ja wirklich, er war auch errötet.

"Ich finde es auch toll, dass ich dich getroffen habe. Ich stecke immer bis zum Hals in Arbeit, da bleibt nicht viel Zeit, neue Leute kennen zu lernen. Das mit uns war quasi ein Zufallstreffer. Aber ein Guter!", fügte er hinzu.

In diesem Moment brachte die Kellnerin den Kaffee. Daisy trank vorsichtig den ersten Schluck. Der Milchschaum schmeckte süß und kitzelte an ihrer Oberlippe. Das herbe Aroma des Kaffees ließ sie einen Moment die Augen schließen.

"Du hattest Recht, der Kaffee hier ist wirklich total lecker. Ich war noch nie in diesem Laden, obwohl ich schon eine gefühlte Ewigkeit hier wohne. Du kennst anscheinend die besten Plätze in der Gegend. Lebst du schon lange hier?"

Ben schüttelte den Kopf.

"Vor ein paar Monaten bin ich hergezogen. Aber ich mache mich immer schnell mit der Umgebung vertraut, in der ich mich aufhalte. Ich will halt einfach nichts verpassen." Er grinste verschmitzt und seine Grübchen kamen wieder zum Vorschein.

"Wo hast du vorher gewohnt?", wollte sie wissen.

Das Thema schien ihm unangenehm zu sein. Seine Augen, die eben noch fest in die ihren geblickt hatten, ließ er jetzt zur Seite schweifen. Er machte eine kleine Pause und zuckte mit den Schultern.

"Mal hier, mal da. Ich hab ein paar schwierige Monate hinter mir."

Er schien unschlüssig zu sein, ob er mit ihr darüber reden wollte oder nicht. Daisy ärgerte sich, das Thema angeschnitten zu haben. Eben war die Stimmung noch locker gewesen und nun hatte sie alles kaputt gemacht. Aber woher hätte sie denn ahnen sollen, dass Ben nicht unbedingt der Sunnyboy war, als den sie ihn kennen gelernt hatte?

"Du musst nicht darüber reden, wenn du nicht willst."

"Sei mir nicht böse, aber das will ich im Moment auch noch nicht."

Er legte seine Hand auf ihre Hand. Sie fühlte sich warm an und es war so eine ungewohnte Geste, das Daisy führ einen Moment völlig perplex war.

"Ich bin froh, dich kennen gelernt zu haben. Ich will dich nicht mit meinem Problemen belasten. Du hast ja selbst im Moment genug um die Ohren."

Genau das Selbe habe ich eben auch gedacht, grübelte Daisy. Ich wollte ihn auch nicht mit meinen Problemen belasten.

"Ich habe eben auch überlegt, ob ich dir von meinem Streit mit David erzählen soll. Weil ich dich auch nicht belasten wollte. Aber ich bin über meinen Schatten gesprungen und habs gemacht. Und jetzt geht es mir viel besser. Manchmal hilft es, einfach über seine Probleme zu reden. Sie werden dadurch zwar nicht kleiner, aber man kann leichter mit ihnen leben."

Ben nickte langsam. Er wollte gerade etwas sagen, da klingelte plötzlich Daisys Handy. Zuerst wollte sie den Anruf ablehnen, aber dann sah sie, wessen Name im Display aufleuchtete.

Und auch, dass David schon sechs Mal probiert hatte, sie zu erreichen.




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