Verfolgt

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Daisy versuchte, sich noch kleiner zu machen. Gleichzeitig wurde ihr bewusst, dass sie irgendwie näher an die Beiden herankommen musste. Sie wollte besser verstehen, worüber sie redeten. Sie blickte sich um und suchte nach einer neuen Möglichkeit, die ihr Deckung und Schutz bot und sie besser am Geschehen teilhaben lies. Sie war angespannt, nervös und fühlte sich gleichzeitig völlig taub. Das Gefühl erinnerte sie ein wenig an einen Zahnartzbesuch, nachdem die Wirkung der Spritze eingesetzt hatte: Sie war unheimlich aufgeregt, aber ein Teil von ihr fühlte einfach überhaupt nichts mehr.

In der Nähe der Beiden befand sich ein breites Gebüsch, das sich bis hinunter zum Wasser erstreckte. Ihr war jedoch schleierhaft, wie sie dorthin kommen sollte, ohne gesehen zu werden. Zwar schienen die Beiden angeregt zu diskutieren, trotzdem würden sie sie mit Sicherheit bemerken. So blieb Daisy nichts anderes übrig, als in ihrem Versteck zu bleiben und ihre Ohren zu spitzen. Doch die Frau schien sich nun ein wenig beruhigt zu haben. Auch Davids Stimme klang weniger genervt und angespannt. Stattdessen schien er sie nun von irgendetwas überzeugen zu wollen. Er sprach jedoch so leise, dass sie nicht verstehen konnte, um was es ging.

Daisy versuchte vorsichtig, aus ihrem Versteck heraus die Frau besser sehen zu können. Sie stand etwas außerhalb des Lichtkegels der Laterne. Ihr Gesicht blieb daher verborgen. Daisy konnte nur erkennen, dass sie einen beigen Mantel und hohe Stiefel trug und ihre Haare zu einem Zopf gebunden hatte.

Sie fragte sich, wie lange David und diese Frau sich schon trafen. Wo hatte er sie kennen gelernt? War sie vielleicht eine Arbeitskollegin, oder mit einem seiner Freunde bekannt? Gedanklich scannte sie die Gespräche, die sie mit David in der Zeit vor seinem Krankenhausaufenthalt geführt hatte. Aber sie konnte sich an keine Gelegenheit erinnern, an der er von einer neuen, weiblichen Bekanntschaft erzählt hatte.

Sie war also doch ein Geheimnis. Und so wie sich David hier mit ihr traf, wollte er auch, dass sie eines blieb.

Daisy schreckte aus ihren Gedanken hoch, als David und die Frau sich plötzlich in Bewegung setzten. Zuerst sah es so aus, als kämen sie genau in ihre Richtung. Ihr Herz setzte einen Moment lang aus, bei der Vorstellung, David oder die Frau würden sie im vorbeigehen hier kauern sehen. Doch ihre Befürchtungen blieben unbegründet, es war nur eine optische Täuschung gewesen. Vermutlich verursacht durch das schlechte Licht, oder die Tatsache, dass sie mit den Nerven völlig am Ende war. David und seine Begleiterin bewegten von ihr weg, weiter den Weg für die Spaziergänger hinunter. Daisy wartete einen kleinen Moment, bis der Abstand zwischen ihnen groß genug war. Sie hatte beschlossen, ihnen zu folgen. Auch wenn das, was sie dabei zu sehen bekam, vielleicht schmerzhaft sein würde.

Aber nun war es an der Zeit, die Wahrheit zu erfahren.

Egal, welche Konsezquenzen sich daraus ergeben?

Was wird aus unserem Haus, wenn wir uns scheiden lassen? Was wird aus mir? Ich habe doch noch nichtmal einen richtigen Job...Und was wird aus Timmy? Soll er wirklich in zwei Elternhäusern aufwachsen? Soll diese fremde Frau da etwa seine Stiefmutter werden?

Daisy schob all diese Fragen beiseite. Jetzt konnte sie sich einfach nicht um die Zukunft sorgen. Und eine kleine Stimme in ihrem Herzen flüsterte ihr zu, dass sie sich vielleicht ja auch einfach nur irrte. Womöglich interpretierte sie die Situation falsch. Und was war, wenn es für das geheime Treffen eine ganz logische Erklärung gab?

Dass ihr aber auf die Schnelle keine logische Erklärung für Davids seltsame Aktiitäten einfallen wollte, verursachte ihrem Herzen einen Stich.

Daisy tat so, als sei sie nur eine simple Spaziergängerin, die an diesem Abend ein wenig frische Luft am Hafen schnappen wollte. Den Abstand zwischen sich und David hielt sie bewusst sehr groß, damit er sie nicht direkt erkannte, sollte er aus irgendwelchen Gründen das Bedürfnis haben, hinter sich zu schauen. Trotzdem wurmte es sie, dass sie nicht mehr verstehen konnte, worüber sich die Beiden unterhielten. Warum hatte David der Frau gesagt, sie solle nicht so eine Szene machen? Sie spürte, wie das Gefühl der Aufregung und der absoluten Taubheit einem Gefühl der Wut wich. Ein Szenario tauchte in ihrem Gedanken auf: Sie rennt zu David, packt ihn an den Schultern und stellt ihn brüllend zur Rede. Die Frau neben ihm wird blass, sie fängt an zu weinen und während David alles leugnet und versucht, ihr diese Frau als seine Arbeitskollegin/Steuerberaterin/Cousine zu verkaufen, gesteht diese unter Tränen, dass sie und David schon lange eine Affäre haben. Daisy ohrfeigt David und dieser ist so geschockt, dass er zuerst nicht reagieren kann. Dann dreht sie sich um und geht, während er hinter ihr her läuft und sich tausendmal entschuldigt. Aber soe bleibt stark, zeigt ihm die kalte Schulter, weint nicht, schreit nicht mehr, sondern ignoriert ihn einfach und behält dadurch ihre Würde.

Daisy versank so tief in diese niemals stattfindenwollende Sequenz, dass sie sich fürchterlich erschreckte, als sie plötzlich ein lautes Klirren hörte. Rechts neben ihr befanden sich ein paar Parkbuchten, in denen einige Autos standen. Und in eines dieser Autos wurde gerade eingebrochen. Eine dunkle Gestalt hatte die Fensterscheibe auf der Fahrerseite eingeschlagen und griff nun in den Wagen.

Rasch sah Daisy nach vorn. Hatten David und die Frau das Geräusch etwa auch gehört? Doch die Beiden waren bereits hinter dem Lichtkegel einer weit entfernten Straßenlaterne verschwunden.

Daisy wollte ihnen folgen, so tun als habe sie nichts gesehen bevor die Gestalt sie sah, doch dann hob der Autoknacker plötzlich seinen Kopf, fixierte sie kurz und rief dann ihren Namen.



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