Kälte

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Als Daisy am nächsten Tag erwacht, kam ihr das Chaos von gestern so vor, als läge es schon viel weiter zurück.

Nach dem Frühstück spielte Timmy fröhlich im Wohnzimmer, während sie das Geschirr in die Spülmaschine räumte. Der Kleine hatte gut geschlafen und sie ebenfalls, so müde wie sie war. Sie hatte ihm zwar von dem Einbruch erzählt, nicht aber, dass die Polizei noch niemanden verhaftet hatte.

Nachdem sie Timmy bei der Tagesmutter abgesetzt hatte, wollte sie zur Polizei fahren und sich nochmal erkundigen.

Sie fühlte sich weder müde noch ausgelaugt, sondern war voller Energie. Es schien ganz so, als hätte Bens gute Laune sie gestern Abend angesteckt und ihr den Stress genommen.

Vergnügt pfiff sie einen Song im Radio mit. Die Sonne schien durch die Gardinen in die Küche. Daisy wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab. Sie hätte Ben gerne angerufen, fand aber keinen vernünftigen Grund, wieso sie das tun sollte. Der Gedanke, dass sie jetzt gern seine Stimme hören würde, verwirrte sie ein wenig. Sie schob ihn schnell beiseite und rief Timmy, um ihn für die Tagesmutter fertig zu machen.

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Als Daisy am späten Vormittag in die Einfahrt ihres Hauses einbog, war sie nicht mehr ganz so euphorisch wie am morgen. Das Gespräch mit dem Polizisten war nicht besonders informativ gewesen. Es war ihr nur bestätigt worden, was Mrs. St. Johns bereits erzählt hatte: In der Gegend häuften sich zurzeit die Einbrüche. Anscheinend waren immer mehrere Täter beteiligt und anscheinend hatten sie es auf diese gute Wohngegend abgesehen, wo es offensichtlich viel zu holen gab. Aber wer hinter der ganzen Sache steckte, war noch völlig unklar.

Daisy stieg aus dem Auto und schloss die Tür. In diesem Moment wurde ihre Haustür von innen geöffnet. Einen Moment erstarrte sie. Dann sah sie ein vertrautes, wenn auch furchtbar blasses Gesicht. Es war David.

"Schatz?"

Daisy ging auf ihn zu und versuchte, fröhlich auszusehen. Innerlich war sie jedoch mehr als entsetzt. Abgesehen von der Tatsache, dass David bleich wie der Tod war, was tat er hier? Er war doch gestern erst operiert worden und musste noch mindestens eine Woche im Krankenhaus verbringen?

War er etwa verrückt geworden?

Und wieso sah er sie so seltsam an?

Sie versuchte, ihn zu umarmen, doch er schob sie von sich.

"Wo bist du gewesen?"

Daisy war völlig perplex.

"Die bessere Frage wäre, ob der Doktor weiß, was du hier tust. David, du musst dringend wieder ins Krankenhaus. Du bist noch überhaupt nicht gesund!"

David schnaubte. Nun wusste Daisy, was sein Blick bedeutete. Er war offensichtlich über irgendetwas sehr wütend.

"Anscheinend sollte ich lieber hier bei euch sein. Mrs. St. Johns hat mich heute morgen angerufen und mir von dem Einbruch erzählt."

Sie gingen in den Flur, wo Daisy ihre Jacke auszog und an die Garderobe hängte. Quer vor der Treppe in den ersten Stock stand die große Tasche, die sie David fürs Krankenhaus gepackt hatte. Er schien noch nicht lange zu hause zu sein.

"Schön übrigens, dass ich das von der Nachbarin erfahre, und nicht von meiner eigenen Frau!"

Er funkelt sie böse an.

"Schatz, ich wollte nur nicht, dass du dich aufregst, so kurz nach der OP!"

Erneut versuchte sie, ihn zu umarmen, aber wieder schob er sie weg. Diesmal sogar noch ärgerlicher als beim ersten Mal.

Sie spürte einen Knoten in ihrem Magen. Was war mit ihrem Mann los? Sie hatte David schon öfter wütend erlebt, aber dann führten sie meistens ein langes Gespräch, ohne böse Blicke. David war eigentlich ein Mensch, der Probleme konstruktiv anging. Jetzt benahm er sich aber plötzlich wie ein 12 jähriges Schulmädchen.

Während sie weiter ins Wohnzimmer gingen, sah David sich immer wieder misstrauisch um, so als erwartete er, noch Spuren von dem Einbruch zu finden.

"Wir müssen dringend die Schlösser austauschen? Hast du dich schon darum gekümmert?", überging er ihre Bedenken.

"Du musst als erstes wieder zurück ins Krankenhaus!"

Daisys Stimme wurde lauter, als sie beabsichtigt hatte. Und sie war ein bisschen wütend auf sich selbst, weil ihr der Gedanken mit den Schlössern nicht eher gekommen war.

"Das kannst du vergessen", zischte David.

"Ihr kommt hier ohne mich überhaupt nicht zurecht. Ich bleibe zuhause und werde täglich hinfahren, um mich checken zu lassen. Aber wenn meine Familie mich braucht, dann bin ich da. Oder passt dir das nicht?"

Warum griff er sie so an? Was hatte sie ihm denn getan? Nach all dem Schrecken des letzten Tages, hätte er sie lieber in den Arm nehmen sollen.

"Ja du hast Recht, deine Familie braucht dich. Aber wir brauchen dich gesund. Du siehst völlig fertig aus. Was du hier machst ist fahrlässig!"

"Ich sehe fertig aus? Wie nett von dir, mein Schatz. Du hingegen siehst eigentlich ganz gelassen und glücklich aus. Das hätte ich nach dem Anruf von Mrs. St. Johns überhaupt nicht erwartet."

Daisy wurde rot, ohne es zu wollen. Ihre gute Laune von heute morgen war nun entgültig vorbei. Bestrafte David sie jetzt etwa dafür, dass sie ein bisschen Mut zurückgewonnen hatte? Dass sie für Timmy stark sein wollte? Dass sie sich nicht unterkriegen ließ?

"Glücklich bin ich ganz und gar nicht. Aber wenn du meinst, hier den großen Herren spielen zu müssen, bitte. Ich stehe dir ganz sicher nicht im Weg dabei!"

Sie drehte sich um und wollte hinausgehen, als David sie hart am Arm packte.

Das hatte er bis jetzt noch nie getan.

"Rede nie wieder in diesem Ton mit mir, hast du mich verstanden?"

Sein Blick war so feindselig, sein Gesicht war ihr plötzlich so fremd, dass ihr eiskalt wurde. Sie fühlt sich wie in einem schlechten Science-Fiction Film, in dem ein Alien in Davids Körper geschlüpft war.

Sie wand ihren Arm aus seinem Griff. Ohne ein Wort zu sagen, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen, lief sie durch den Flur, die Treppe hinauf in ihr gemeinsames Schlafzimmer.

Sie schloss die Tür hinter sich ab, dann sank sie zu boden und weinte vor lauter Wut und Verwirrung.



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