Ben

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"Und was soll ich tun?"

Daisy war zwar häufig am Hafen, aber nur um die Seele baumeln zu lassen. Sie war noch nie auf einem Boot gewesen. Völlig überrumpelt rappelte sie sich auf. Das Boot war unterdessen bereits einige Meter weiter getrieben.

"Ich werfe ihnen jetzt dieses Seil hier zu!"

Der Mann hielt ein beiges Seil in die Luft, das kaum dicker war als Daisys Unterarm.

"Sie fangen es auf und knoten es dann an unten an dem Pfosten fest. Aber passen Sie auf, dass Sie dabei nicht ins Wasser fallen!"

Daisy nickte nur. Sie zweifelte aber stark daran, dass ein einfacher Knoten das Boot stoppen konnte. Vermutlich hielt der Mann sie für stärker, als sie es tatsächlich war.

"Bereit?"

"Ja!"

Er holte weit aus und schleuderte dann ein Ende des Seils zu ihr herüber. Daisy fing es, noch bevor sie sich darüber wundern konnte.

"Und jetzt knoten Sie es unten fest. Schnell!"

Sie kniete sich auf die Holzplanken und lehnte sich etwas nach vorne. Der Pfosten war ein Teil der Konstruktion, die den Steg trug.  Das Wasser war so klar, dass sie fast bis auf den Grund des Sees sehen konnte.

Vorsichtig versuchte Daisy einhändig, das Ende des Seils um den Pfosten zu knoten. Mit der anderen Hand umklammerte sie die Holzplanke, um nicht nach vorne zu fallen. Schnell stellte sie fest, dass sie einhändig unmöglich einen Knoten machen konnte.

Hilfesuchend sah sie zum Mann auf dem Boot hinüber, das weiter abgetrieben war. Sein Blick verriet, dass er sich gefühlsmäßig irgendwo zwischen ungläubig und amüsiert befand.

"Sie müssen sich hinlegen!", rief er.

"Dann wird es gehen!"

Sie folgte seinem Rat. Die Holzplanken unter ihr waren warm und gaben ihr Sicherheit. Sie schaffte es schließlich, das Seilende am Pfosten festzubinden. Mit aller Kraft zurrte sie den Knoten zu.

"Fertig!"

Sie sprang auf und sah, dass der Mann das andere Ende des Seils an einem Eisenring befestigt hatte, der sich am Bug des Bootes befand. Zwar konnte man es so trotzdem nicht steuern, aber immerhin war es jetzt festgemacht und konnte nicht mehr ziellos umhertreiben.

Zur Sicherheit kniete sie sich noch einmal hin und hielt das Seilende mit beiden Händen fest. Sie wartete so lange, bis sich das Seil straff gespannt hatte und das Boot ein wenig ruckte. Der Mann taumelte, konnte aber das Gleichgewicht halten.

"Super, das haben Sie gut gemacht!"

Der Mann zog sein Hemd aus und warf es auf den Boden des Bootes. Dann nahm er Anlauf, sprang kopfüber ins Wasser und kraulte zum Steg. Als er dort angekommen war, hielt er sich an den Holzplanken fest und grinste sie an.

"Ich könnte eine helfende Hand gebrauchen."

Daisy reichte ihm ihre rechte Hand. Er nahm sie. Mit der anderen Hand zog er sich an den Planken hoch. Pudelnass stand er vor ihr.

"Ohne ihre Hilfe hätte ich sicher noch ein paar Stunden auf dem Wasser verbingen müssen"

Sie lachte verlegen. Gleichzeitig spürte sie, dass ihr Herz stärker klopfte. Das bisschen Aufregung hatte es wohl aus dem Takt gebracht. Schnell warf sie einen Blick zu Timmy, der auf der Wiese mit den anderen Kindern spielte. Was ihr Sohn wohl davon hielt, dass seine Mutter hier mit einem halbnackten Mann stand?

Aber der Kleine hatte von dem Vorfall anscheinend nichts mitbekommen. Er war viel zu vertieft in das Spiel und hatte sie offensichtlich vergessen.

"Ich bin Ben", sagte der Mann freundlich und streckte ihr abermals die Hand entgegen. Seine nassen Haare hingen ihm in die Stirn. Er lächelte und sie bemerkte die Grübchen auf seinen Wangen und seine weißen Zähne.

"Mein Name ist Daisy." sie schlug in die ausgestreckte Hand ein.

"Und du hast mich ganz schön erschreckt."

"Dann hast du dich ja umso mutiger verhalten", grinste er.

"Ich habe heute den ersten Ausflug mit dem Boot unternommen. Wollte sehen, ob es auch wirklich seetauglich ist. Offensichtlich muss das Ruder nochmal überarbeitet werden."

Dann ging er an ihr vorbei, beugte sich zu dem Seil und begann, kräftig daran zu ziehen. Er wollte das Boot zum Steeg holen. Verstohlen betrachtete sie seinen nackten Oberkörper. Sie kam sich reichlich komisch dabei vor, entschuldigte ihr Verhalten aber damit, dass er gut gebaut und sonnengebräunt war. Eine kleine Abwechslung zu ihrem blassen, in  den letzten Tagen sehr kränklichen Mann. Sofort schämte sie sich für diesen Gedanken. Sie fand ihn reichlich gemein und versuchte, sich abzulenken.

"Du hast  das Boot erst vor kurzem gekauft?"

"Ja und nein. Gekauft habe ich es schon letzten Sommer. Ich bin Leiter einer Jugendgruppe und zusammen mit den Kids haben wir das Boot wieder fit gemacht. Wir wollen ein paar Segeltouren unternehmen"

Daisy fand, dass er für den Leiter einer Jugendgruppe reichlich jung war. Dann musste sie daran denken, dass viele Leute sie warscheinlich auch für eine zu junge Mutter hielten.

"Das klingt spannend. Ich bin noch nie gesegelt, aber ich bin gern am Hafen. Zusammen mit meinem Sohn."

Den letzten Satz hatte sie ein bisschen leiser ausgesprochen. Ben lächelte jedoch nur.

"Du hast einen Sohn? Das ist ja super. Wie alt ist er?"

"Timmy ist 5 Jahre alt."

Ben hatte das Boot mittlerweile bis an den Steg gezogen. Er wischte sich mit der Hand über die Stirn und sprang dann an Deck.

"Willkommen auf der M.S.Hope! Darf ich bitten?"

Er streckte ihr beide Arme entgegen und half Daisy an Board. Das Boot schwankte leicht.

"Als Dankeschön für deine Hilfe möchte ich dich gerne zu einer kleinen Rundfahrt einladen. Und Timmy natürlich auch. Aber erst, wenn ich den Kahn wieder reperiert habe. Ist das ein Angebot?"

Bevor Daisy überhaupt darüber nachdenken konnte, klingelte ihr Handy.




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