Unverstanden

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So leise wie möglich öffnete Daisy die Haustür. Alles war dunkel, nirgendwo brannte mehr Licht. Scheinbar war Maggy schon schlafen gegangen. Davids Wagen hatte nicht in der Einfahrt gestanden. Daisys Magen krampfte sich zusammen bei dem Gedanken daran, dass er immer noch mit dieser fremden Frau unterwegs war.

Noch stärker wurden die Krämpfe, wenn sie daran dachte, was sie gerade getan hatte.

Sie versuchte, sich auf die nächsten Schritte zu konzentrieren. Den Mantel aufzuhängen, ihre Handtasche abzulegen und keinen Lärm zu machen. Aber so richtig gelang ihr das nicht. Eigentlich hatte sie das, was eben in Bens Auto passiert war, genossen. Kaum war es vorbei fühlte sie sich jedoch, als sei sie aus einem seltsamen Traum erwacht. Nun war sie wieder zurück in der Realität. Die Vernunft war wieder stärker als das Verlangen, ihr Kopf bestimmte wieder über ihr Herz und sie fühlte sich so furchtbar, wie seit langem nicht mehr. Vielleicht hatte sie sich auch noch nie zuvor so schlecht gefühlt, wie in diesem Moment.

Irgendwie schaffte sie es ins Bett. Aber einschlafen konnte sie nicht. Daisy schaltete die Nachttischlampe ein und versuchte ein wenig zu lesen, um müde zu werden. Bald stellte sie jedoch fest, dass sie sich überhaupt nicht konzentrieren konnte. Zu stark lastete das, was in den letzten Stunden passiert war, auf ihren Schultern.

Irgendwann fiel sie doch in einen erschöpften, aber wenig erholsamen Schlaf, voll von wirren Träumen. In einem dieser Träume rannte David vor ihr davon. Sie wusste nicht wieso und versuchte, ihn einzuholen, doch es gelang ihr nicht. In einem anderen Traum sah sie Ben, gemeinsam mit einer anderen Frau in einem Boot sitzen. Die Beiden küssten sich. Dann drehten sie sich zu Daisy, die am Ufer stand, und lachten sie aus.

Als Daisy am nächsten Morgen erwachte, warf sie als erstes einen Blick nach links. Doch David lag nicht neben ihr. Seine Seite des Bettes war zerwühlt, also musste er hier geschlafen haben. Ein Blick auf den Wecker verriet ihr, dass es bereits später Vormittag war. Wie ein Blitz schoss Daisy aus dem Bett. Sie hatte verschlafen! Bevor sie ins Bad rannte, warf sie einen Blick in Timmys Zimmer. Der Kleine war nicht da. Dafür konnte sie Maggy in der Küche hantieren hören. Sie ging nach unten, wo Maggy gerade das Geschirr vom Vorabend spülte.

"Da kommt ja unsere Schlafmütze!" Maggy lächelte sie an, aber Daisy erkannte sofort, dass ihre Schwiegermutter in Sorge war.

"Ich wollte dich nicht wecken, weil ich gehört habe, dass du ziemlich spät nach hause gekommen bist. Timmy liegt im Wohnzimmer auf der Couch und schaut sich Cartoons an. Es geht ihm schon ein bisschen besser, aber er ist noch nicht fit genug, um zur Tagesmutter zu gehen"

Daisy ließ sich auf einen Stuhl sinken.

"Wo ist David?", fragte sie.

Maggy runzelte die Stirn, stellte das Geschirr beiseite und seufzte tief.

"Ihr habt also noch nicht miteinander geredet?"

Daisy schüttelte den Kopf.

"Ich bin gestern abend bei seinem Büro vorbeigefahren, aber er war nicht da" Dass sie ihn später doch gefunden hatte, verschwieg sie lieber.

"Und was hast du dann so lange noch draußen gemacht?" Maggy nahm ihr gegenüber platz.

"Ich bin ein bisschen herumgefahren. Spazieren gegangen. Habe nachgedacht" Und Ehebruch begangen.

Plötzlich und ohne dass sie es wollte, brach Daisy in Tränen aus. Sie schluchzte so laut, dass Maggy sie bestürzt umarmte.

"Schätzchen, was ist denn eigentlich mit euch beiden los? Ich möchte euch doch helfen, aber dazu muss mir endlich einmal jemand die Wahrheit sagen!"

Daisy schniefte.

"Wenn ich das überhaupt wüsste! Seitdem David aus dem Krankenhaus zurück ist, behandelt er mich wie Dreck. Ich habe ihm nichts von dem Einbruch erzählt, aber auch nur, um ihn zu schonen. Dass er mir das übel nimmt, kann ich ja verstehen. Aber ich habe in der Zwischenzeit ein Ehrenamt gefunden, das mir viel Spaß macht. Und einen netten Mann kennen gelernt, mit dem ich mich sehr gut verstehe"

Daisy wischte sich mit dem Handrücken über die Wangen.

"Und wenn du willst, dass ich ehrlich zu dir bin, musst du auch verkraften, dass ich glaube, dass David eine Affäre hat. Und auch, dass ich mich zu diesem anderen Mann hingezogen fühle und nicht weiß, wohin mein Herz gehört!"

Eine Weile war es still in der Küche. Daisy wagte nicht, Maggy direkt in die Augen zu sehen. Ihre Schwiegermutter sah aus dem Fenster, den Kopf in die Hände gestützt, so als würde sie dort im Vorgarten eine Antwort auf all die Probleme suchen. Endlich wand sie sich wieder Daisy zu.

"Ich möchte, dass du mit diesem anderen Mann sprichst und ihm klar machst, dass du verheiratet bist und du für ihn nicht in Frage kommst. Dann setzt du dich mit David zusammen. Heute abend noch. Ich werde dabei sein und wir werden ihm von deiner Befürchtung erzählen. Ihr werdet euch aussprechen und dann will ich von dieser Sache nichts mehr hören!"

Mit diesen Worten erhob sie sich und verließ die Küche.

Daisy verfluchte sich innerlich. Es war ein Fehler gewesen, Maggy alles zu erzählen. In diesem Moment klingelte das Telefon in der Diele. Als Daisy den Hörer abnahm, meldete sich eine Frauenstimme, die ihr nicht bekannt vorkam.

"Kann ich mit David sprechen?"

Daisy lief es kalt den Rücken herunter. Trotzdem versuchte sie, ruhig zu bleiben.

"David ist nicht da. Darf ich fragen, wer Sie sind?"

Statt zu antworten, legte die Frau einfach wieder auf.

Daisy wollte gerade zurück in die Küche gehen, als das Telefon erneut klingelte.

"Wer sind Sie?!"

Am anderen Ende meldete sich eine leicht irritierte, männliche Stimme.

"Mrs. Everlane? Hier ist Officer Stewart. Ich rufe an wegen dem Einbruch, den sie gemeldet hatten. Könnten Sie im Laufe des Tages vorbeikommen? Wir haben eine Entdeckung gemacht, die wir gern persönlich mit Ihnen besprechen möchten"




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