Kapitel 5

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Der Riese stürzte herein, in der Hand hielt er eine Zeitung. „Soll ich euch mal was sagen? Ich ...". Er stockte, völlig überrumpelt von dem Anblick, der sich ihm bot.

Nici keuchte und duckte sich verängstigt in ihrem Stuhl. Am liebsten hätte ich mich zu einer Kugel zusammengerollt und in einer Ecke Schutz gesucht.

„Ihr zwei haltet euch wohl für besonders schlau, was?". Wutentbrannt kam er auf uns zu - und vergaß dabei, die Tür hinter sich zu schließen. Zu meiner Verwunderung blieb mein Verstand komplett kühl und war dazu fähig, klare Gedanken zu fassen. Mein nächster Blick galt dem Messer, das auf der Werkbank lag. Während der Riese unverständliches Zeug herumbrüllte und dabei wie ein Irrer gestikulierte, rückte ich so unauffällig wie möglich immer weiter zurück, schnappte mir schließlich das Taschenmesser und hielt es hinter meinem Rücken versteckt. Glücklicherweise - oder eher unglücklicherweise? - war der Riese so auf den vor mir stehenden Niall fixiert, dass er mich nicht einmal wahrnahm. Mit jedem Schritt, den er tat, wurde sein Kopf röter; an seiner Schläfe pochte eine Ader, was ihn noch furchterregender wirken ließ. Ohne Niall aus den Augen zu lassen blätterte er noch immer brüllend in der Zeitung, schlug gezielt eine Seite auf, als ob er genau die schon hundertmal gelesen hätte, und hielt sie ihm vor die Nase. „Willst du mich verarschen?".

Die Schlagzeile war so groß, dass ich sie sogar aus dieser Entfernung problemlos lesen konnte: Tragödie bei One Direction: Niall Horan (19) und Harry Styles (19) spurlos verschwunden.

Den Text darunter konnte ich dann doch nicht entziffern, doch die Überschrift reichte, um zu wissen, dass der Riese Niall auf dem Foto unter dem Artikel erkannt hatte.

„Das bist doch du, oder? Nimm diese verdammte Kapuze runter, oder soll ich das für dich erledigen? Dann ist aber der Kopf auch gleich ab!".

Niall warf mir einen gequälten Blick zu und schob mit zitternden Händen die Kapuze nach hinten.

Der Riese lachte freudlos auf. „Wusst ich's doch. Und dein Freund hier ...". Mit wenigen Schritten war er bei Harry, dessen Kapuze ich bereits heruntergenommen hatte, und verglich auch ihn mit den Fotos.  „ ... ist dann wahrscheinlich der andere? Klar. Was sonst? Verdammte SCHEISSE!". Bei dem letzten Wort trat er gegen einen Haufen Kartons, deren Inhalt sich über den Boden ergoss. Ein paar Steinchen sprangen mit leisen klimpernden Geräuschen gegend die Wand und verschwanden hinter all dem anderen Kram im Raum. Wir alle zuckten zusammen und Niall und ich wichen unwillkürlich so weit zurück, wie es die Werkbank in meinem Rücken zuließ. Ich ertappte mich dabei, wie ich mich an seinem Arm festklammerte, als ob von ihm mein Leben abhing, doch da er mich nicht abschüttelte, machte ich auch keine Anstalten, wieder von ihm abzurücken.

Stumm und unfähig, uns zu bewegen, sahen wir zu, wie sich der Mann die Haare raufte und die Zeitung mit einem weiteren Wutschrei gegen die Wand schleuderte. Ein Wunder, dass er uns noch nicht erschossen oder zumindestens angegriffen hatte.

Ohne den Blick von dem tobenden Mann zu wenden, tippte ich Niall an. „Gib das Nici", hauchte ich ihm ohne jegliche Mundbewegung ins Ohr, während ich ihm das Taschenmesser in die Hand drückte.

Der Riese stand inzwischen an der Tür und sprach mit jemandem. Entweder war er seit seinem letzten Besuch blöd geworden oder die Wut ließ ihn unachtsam werden - jedenfalls ließ er uns aus den Augen, während die Tür sperrangelweit offenstand. Niall nutzte die Chance, beugte sich vor und legte Nici, die ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte, das Messer in die gefesselten Hände. Er nickte ihr kurz zu, bevor er sich schnell auf seinen Platz zurückzog. Nici sah aus, als ob sie gleich in Ohnmacht fallen würde; sie stierte Niall an, als ob er eben von der Decke gefallen wäre - ihr Gesicht stellte ein einziges großes OMG dar.

Night Of Captivity (1D-FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt