1.Die alte Schule

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"Kopf hoch, Schatz.", versucht meine Mutter mich aufzuheitern. "Das sagst du so leicht! Du bist doch schuld dran, dass ich wieder hier auf die Schule muss!", fauche ich unfreundlich. Meine Mutter seufzt auf. Wir sitzen auf dem Parkplatz in dem dunkelblauen Passat meiner Mutter. "Ach Avril, du hast doch selbst gesagt, dass du Phil nett findest.", wendet Mama ein. "Ich habe nur gesagt, dass ich ihn ok finde und nichts dagegen habe, dass du ihn heiratest. Aber davon, dass ich wieder auf meine alte Schule gehen muss, war nicht die Rede.", knurre ich. Ich habe keine guten Erinnerungen an diese Schule. Ein Mitschüler namens Kyle hatte damals mich so richtig fertig gemacht.

Mama seufzt:"Komm direkt nach der Schule nachhause. Dein Stiefbruder wird auch da sein."
"Ich will nicht irgendeinen Typen als Stiefbruder haben, den ich nicht mal kenne.", setze ich die Diskussion fort. Mama presst die Lippen zusammen. Ein eindeutiges Zeichen, dass sie gleich sehr sauer ist. "Klassenzimmer 102", sagt sie tonlos. Ich merke, dass es zwecklos ist, ihr zu widersprechen und steige aus.
Die Schule sieht noch genauso aus, wie ich sie in Erinnerung hatte.
Groß, grau und mit einem schmiedeeisernen Tor. Wie ein Gefängnis oder ein Folterkeller.
Also, tief durchatmen und rein da. Ich laufe durch den Gang, ein paar Schüler stehen rum, aber die meisten sind wohl schon im Klassenzimmer.
Jetzt rechts und geradeaus, auf der linken Seite ist Klassenzimmer 102.

Vor der Tür bleibe ich stehen und zücke erstmal meinen Mini- Taschenspiegel, den ich zum 16. Geburtstag bekommen habe. Meine Hüftlangen, blonden Haare umranden mein Gesicht. Grüne, ängstlich aufgerissene Augen schauen mich im Spiegel an. Ich seufze und packe den Spiegel weg.
Ich klopfe und öffne die Tür. Herr Wel steht an der Tafel. Er schaut mich erfreut an:" Avril! Schön, das du wieder da bist!"
"Ja...finde ich auch...toll.", nuschel ich. "Avril.", kreischt eine Mädchenstimme. Ich drehe mich zur Klasse und sehe gerade noch wie ein Mädchen aufspringt und mich umklammert.
Es ist Charleen. Ich schiebe sie ein Stück von mir weg und schaue sie prüfend an:"Mensch, Charleen, du bist ja gewachsen!"
In meiner Erinnerung ist Charleen einen Kopf kleiner als ich. "Toll, nicht wahr?", quietscht sie.
Jetzt kommen auch die anderen Schüler zu uns. Von allen Seiten werde ich umarmt, geherzt und getätschelt. Ich komme mir vor, wie auf einem Teekränzchen mit lauter älteren Damen.
Nachdem sich der erste Ansturm gelegt hat, kann ich meine Klasse näher betrachten. Scarlett ist inzwischen ein Traum auf zwei Beinen. Sie hat lange braune Haare, ein offenes Lächeln und große grün-braune Augen.
Debbie, die ich als kleines Mädchen mit Zahnspange in Erinnerung habe, hat jetzt schön gerade Zähne und ist sogar größer als ich. Was nebenbei bemerkt nicht schwer ist, da ich mit meinen 1,65 nicht zu den größten gehöre.
Plötzlich stehe ich vor einem Jungen, der gut ein Kopf großer ist als ich. Moment, das kann jetzt nicht sein oder? Ist dieser heiße, muskulöse Typ mit dem makellosen Gesicht, den hohen Wangenknochen und den fast schulterlangen, schwarzen Haaren wirklich Kyle? Ich starre Kyle nur mit offenem Mund an. "Mund zu.", bemerkt er trocken und dreht sich um. "Av, du sitzt neben mir.", jauchzt Charleen.

In den restlichen Schulstunden merke ich, dass sich Kyle nicht sehr geändert hat. Im Abstand von wenigen Minuten tritt er von hinten gegen meinen Stuhl. "Lass das!", zische ich ihn an. Zumindest in meiner Vorstellung zische ich ihn an. In Wirklichkeit klingt es eher wie eine Frage. Aber Kyle grinst nur hämisch und entblößt eine Reihe blenden weißer Zähne. "Hör auf.", fauche ich erneut. Kyle zeigt mir den Mittelfinger. Seufzend drehe ich mich wieder nach vorne. Ich stelle mir einfach vor, dass Kyle Stuhltreterei eine hervorragende Rückenmassage ist.
Der Gong zum Schulschluss ist eine Erlösung.

Nach der Schule verabschiede ich mich von meinen Klassenkameraden und gehe nachhause. Kyle sieht mittlerweile schon sehr gut aus, aber er hat immer noch einen miesen Charakter. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich wirklich Angst vor ihm. Seufzend sperre ich die Haustür auf. Was denke ich denn da für einen Mist? Ich lasse mich doch nicht von so einem Blödmann wie Kyle einschüchtern.
"Und wie war es in der Schule? ", ruft meine Mufter aus der Küche. "Nicht schlecht.", rufe ich betont lässig zurück. "Das sind doch gute Neuigkeiten! ", strahlt mich mich Phil, Mamas neuer Mann an.
"Dein Zimmer ist im 1. Stock, die letzte Tür. Es hängt ein Schild mit deinem Namen dran.", ruft Mama. "Cool!", sage ich laut. Da klingelt es. Das ist wahrscheinlich mein neuer Stiefbruder an der Tür. "Ich mache auf!", rufe ich Phil zu, der schon zur Haustür gehen will. Ich kann es plötzlich kaum erwarten, meinen Stiefbruder kennen zu lernen.
Ich reisse die Tür auf. Ich starre in ein Paar hypnotisch blauer Augen. Umrandet von dichten, schwarzen Wimpern. Das Gesicht kenne ich doch! Ich weiche ein paar Schritte zurück. Ich kann nicht aufhören Kyle anzustarren. "Hallo Schwesterherz.", grinst Kyle spöttisch.

Mr. Badboy || Abgeschlossen✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt